Deutsche Geisel ist frei:Handel auf Messers Schneide

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Monatelang zitterte die Familie um das Leben des in Afghanistan entführten Rudolf Blechschmidt - nun ist der 62-Jährige wieder in Freiheit. Wie die Ehefrau und die beiden Söhne des Ingenieurs den Augenblick seiner Freilassung erlebten.

Nico Fried und Peter Münch

Der Fernseher läuft, ohne Ton, die Nachrichten sind ja noch frisch. Am Tisch sitzt Markus Blechschmidt, 32, und erzählt vom Martyrium seines Vaters in den langen Wochen seiner Entführung in Afghanistan.

Diese Bilder von Rudolf Blechschmidt sah die ganze Welt - auch die Familie der Geisel in Ottobrunn (Foto: Foto: AP)

Der Bruder Tobias, 24, hält den Bildschirm im Blick mit dem Videotext. "Es ist verifiziert", sagt er plötzlich, und liest die Meldung vor: "Steinmeier dankt den zuständigen deutschen Stellen und der afghanischen Regierung für ihren unermüdlichen und letztlich erfolgreichen Einsatz.´" Und im selben Augenblick noch kommt die Mutter ins Zimmer und ruft: "Der Paps hat angerufen. Er ist auf dem Weg nach Kabul. Er hat gesagt: Ich hab' geglaubt, ich komm' nie mehr frei."

Nie mehr ... Eine Ewigkeit ist vergangen für die Familie Blechschmidt, eine Ewigkeit ist nun in diesem Moment zu Ende gegangen für den seit dem 18.Juli in den afghanischen Bergen gefangen gehaltenen Ingenieur Rudolf Blechschmidt sowie für seine beiden Söhne und die geschiedene Frau im Haus in Ottobrunn.

Albtraum am Tag und in der Nacht

Zäh war die Zeit, ein Wechselbad, ein Albtraum am Tag und erst recht in der Nacht - und ganz am Ende ging doch plötzlich alles sehr schnell. "Bis gestern Abend stand es auf der Kippe", sagt Markus Blechschmidt. "Um es mal so zu sagen: Die Sache war sehr knapp."

In Kabul hatte, so ist in Berlin zu erfahren, die entscheidende Phase der Befreiung am Mittwochmorgen begonnen. Präsident Hamid Karzai persönlich hatte nach langen Verhandlungen sein Einverständnis gegeben, vier Männer aus dem Umfeld der Entführer gegen Blechschmidt auszutauschen.

Sie sollen zwar dem kriminellen Milieu angehören, nicht aber den islamistischen Taliban. Darauf wurde später auch von deutscher Seite Wert gelegt. Noch im März hatte sich Karsai Kritik aus Berlin anhören müssen, nachdem er mehrere Taliban-Kämpfer im Austausch gegen einen italienischen Reporter freigelassen hatte.

Am Mittwochmorgen machten sich Mitarbeiter des afghanischen Geheimdienstes auf den Weg nach Wardak, der Provinz im Süden Kabuls, wo Blechschmidt und sein Kollege Rüdiger D. vor fast 13 Wochen verschleppt worden waren. Bei einer ersten Befreiungsaktion vor einigen Tagen waren noch Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes losgeschickt worden.

Die Freilassung scheiterte, die Mitarbeiter der Hilfsorganisation wurden kurzzeitig selbst zu Opfern einer Entführung. In Wardak trafen die Geheimdienstleute nun örtliche Stammesälteste, die zunächst die Häftlinge aus Kabul entgegen nahmen und zum Aufenthaltsort der Entführer in den Bergen brachten. Dort nahmen sie im Gegenzug Blechschmidt und seine afghanischen Begleiter entgegen, die im Juli mit den beiden Deutschen entführt worden waren.

Wenig später befanden sich die Geiseln dann in der Obhut der Geheimdienstleute. Ein kurzes Telefonat zwischen Blechschmidt und dem deutschen Botschafter in Afghanistan brachte endgültige Sicherheit über die Freilassung. Unmittelbar danach wurde Außenminister Frank-Walter Steinmeier informiert, der sich am Mittwoch in Frankfurt aufhielt. Blechschmidt wurde am Abend in der deutschen Botschaft in Kabul erwartet - und noch dringender wird er nun in Ottobrunn von seiner Familie erwartet.

Von der Polizei verkauft

Seit Tagen war dort die Anspannung enorm gestiegen. Ende voriger Woche hatte Markus Blechschmidt plötzlich einen Anruf aus Kabul bekommen, nachdem vorher für furchtbare sieben Wochen Funkstille geherrscht hatte. "Ein Afghane war am Apparat", erzählt er, "er sprach Englisch und gab mir eine Telefonnummer, die ich anrufen sollte."

Die Botschaft war: "Es geht um Ihren Vater, es ist dringend." Er rief an und konnte - endlich - am Samstag mit dem Vater sprechen. "Er wirkte gut gelaunt, weil wir wieder Kontakt hatten", sagt der Sohn. Da hofften alle, dass das Ganze endlich einen guten Verlauf nehmen würde. Aber noch war es nicht so weit, die Sache ging afghanisch weiter.

Ganz konzentriert erzählt Markus Blechschmidt die Geschichte, Freude und Erleichterung scheinen ihn ganz ruhig zu machen. Er kennt Afghanistan, hat selbst für zweieinhalb Jahre dort mit seinem Vater gelebt und das Baugeschäft geführt. Er weiß, wie viel dort schief gehen kann und dass man immer mit Überraschungen, selbst mit positiven, rechnen muss.

Anruf in Ottobrunn

Am Sonntag hat er wieder angerufen, wieder war es ein gutes, ein hoffnungsvolles Gespräch. Und dann, am Montag, klingte das Telefon in Ottobrunn: "Mein Vater war am Apparat." Rudolf Blechschmidt war aufgeregt, er war geschockt. "Die Taliban wollen mich nach Helmand verlegen", sagte er.

Da kamen sie wieder hoch in ihrem Wohnzimmer in Ottobrunn, all die Bilder aus den drei Videos, die eine erschöpfte Geisel zeigten. Die Angst, dass die Gesundheit des 62-Jährigen nicht mehr mitspielen würde, dass er enden könnte wie Rüdiger D., der von den Geiselnehmern nach einem Schwächeanfall erschossen worden war. Die Familie wusste, was für eine Odyssee Rudolf Blechschmidt schon hinter sich hatte.

Er hatte ihnen am Telefon selbst berichtet davon: dass er von den Polizisten, die ihn eigentlich beschützen sollten bei seiner verhängnisvollen Fahrt in die Berge, an die Geiselnehmer verkauft worden war. Dass er in Gewaltmärschen von einem Versteck ins andere gezogen war. Dass er 15Kilo abgenommen hatte, weil seine wenigen Mahlzeiten im Ramadan aus einem Stück Brot, zwei rohen Zwiebeln und einem Stückchen Melone bestanden. Dass er womöglich von den ursprünglichen Kidnappern an die Taliban weitergereicht worden war, und dass nun auch die Nerven der Geiselnehmer äußerst strapaziert waren seit jener gescheiterten Übergabe Ende September.

"Sie scheiterte, weil sich der afghanische Geheimdienst nicht an die Absprachen gehalten hat", glaubt Markus Blechschmidt. Sein Vater hat ihm am Telefon erzählt, dass zwei der Geiselnehmer am vereinbarten Treffpunkt gefangen worden seien und er seitdem noch mehr um sein Leben fürchten müsse. Steinmeiers Dank an die afghanische Regierung also löst bei der Familie Blechschmidt nur eines aus: Hohn und Bitterkeit.

Verraten haben sie sich gefühlt, und immer wieder auch allein gelassen von den deutschen Behörden, auch das muss jetzt raus in den Augenblicken der Freude, und vielleicht wird sich später manches relativieren. Aber jetzt spüren sie noch den Schmerz darüber, dass sie Hunderte Briefe geschrieben haben, und keiner, fast keiner hat zurückgeschrieben.

"Auf die Antwort von Frau Merkel haben wir vier bis sechs Wochen gewartet", sagt Markus Blechschmidt, "dann kam eine halbe Seite, von der Sekretärin unterschrieben." Viele solcher Beispiele können sie erzählen, vom Papst, vom FC Bayern, vom UN-Generalsekretär. Aber sie wollen auch loben: "Schreiben sie bitte, dass die bayerischen Landtagsabgeordneten sich sehr engagiert haben."

All das ist nun vorbei, der Vater ist frei, und die Anspannung wird abfallen in den nächsten Tagen. "Jetzt soll er erstmal zurückkommen", sagt Markus Blechschmidt. "Dann werden wir sehen, was die Zukunft bringt. Jetzt können wir das alles doch noch gar nicht richtig fassen."

© SZ vom 11.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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