Designierter Premier Gordon Brown:Charmant wie eine Bulldogge, schlau wie ein Fuchs

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Seit zehn Jahren ist Gordon Brown Finanzminister in der Labour-Regierung. Nun soll der Schotte Nachfolger von Tony Blair werden. Damit wird eine alte Abmachung eingelöst. Blair und Brown waren Nachbarn und Partner - und sind doch sehr verschieden.

Über den designierten britischen Premierminister Gordon Brown kursieren in London viele spöttische Witze. Einer der bösesten geht so: Er habe die Fähigkeit, jeden Raum zum Erstrahlen zu bringen - sobald er ihn verlasse. Bärbeißig, brummig, übellaunig - diese Worte fallen vielen Briten ein, wenn sie an Brown denken. Erst nachdem sich der Rückzug Blairs immer deutlicher abzeichnete, versuchte man in seinem Umfeld, den heute 56-Jährigen als lächelnden, freundlichen Mann zu präsentieren.

So ganz nehmen es ihm die Briten aber nicht ab, dass er seinen Tag am liebsten mit der Musik der Rockband Arctic Monkeys im iPod beginnt - wie er einer Frauenzeitschrift verriet.

Für echte Sympathie sorgten jedoch Schicksalsschläge in Browns Familie: Der im Juli 2006 geborene zweite Sohn James Fraser ist an der unheilbaren Erbkrankheit Mukoviszidose erkrankt. Das erste Kind von Brown und seiner Ehefrau Sarah, ein Mädchen, war 2002 wenige Tage nach der Geburt an einer Hirnblutung gestorben. Viele Briten beeindruckte, wie das Paar mit den Schicksalsschlägen umgeht.

Die Leichtigkeit, mit der Vorgänger Tony Blair mit den Medien umzugehen versteht und mit der er drei Wahlen gewann, fehlt Brown. Er wuchs in einem armen schottischen Pfarrhaus als Sohn eines presbyterianischen Geistlichen auf und setzte sich mit Fleiß, harter Arbeit und seiner von allen Seiten gerühmten Intelligenz durch - die Fähigkeiten eines Schauspielers waren dort wenig gefragt.

Zwei Klassen konnte er überspringen und begann schon als 16-Jähriger in Edinburgh Politikwissenschaft, Geschichte und Philologie zu studieren. Er arbeitete eine Zeit lang als Dozent, bevor er 1983 in die Politik einstieg und erstmals ins Unterhaus gewählt wurde - natürlich für die Labour-Partei.

Der berühmte Granita-Deal

Es waren die Thatcher-Jahre, in denen nur der Einzelne, aber nicht die Gemeinschaft zählte. Wie Tony Blair stieg der talentierte Brown schnell in der Parteihierarchie auf und spezialisierte sich auf Finanz- und Haushaltspolitik. Seit 1992 galt er als Schatzkanzler im Schattenkabinett. Als Labour-Chef John Smith 1994 starb, fielen zwei Namen für die Parteispitze: Blair und Brown.

In einem Londoner Lokal namens "Granita" schlossen sie den sagenumwobenen Deal: Erst soll der lockere und gewandte Engländer Blair Premierminister werden, bevor ihm der Schotte nachfolgen sollte. Gemeinsam hoben sie das Projekt "New Labour", also eine stärkere Öffnung hin zur Mitte der Gesellschaft, aus der Taufe und konnten 1997 einen großen Wahlsieg erringen. Sie wurden Nachbarn: Blair residierte in 10 Downing Street, Brown kümmerte sich in 11 Downing Street um die Finanzen.

Als Finanzminister war Brown der zweitmächtigste Mann im Kabinett. Der Euro-Skeptiker wird von vielen Beobachtern in London und Brüssel dafür verantwortlich gemacht wird, dass Großbritannien nicht der Eurozone beigetreten ist.

Auf den ersten Blick hat Brown große Erfolge vorzuweisen: In seiner Amtszeit sind mehr als zwei Millionen neue Jobs entstanden, die Arbeitslosigkeit sank und seit 1993 hat das Bruttoinlandsprodukt jedes Jahr um durchschnittlich 2,8 Prozent zugelegt. Noch mehr beeindruckende Zahlen? Nimmt man die verfügbaren Einkommen als Basis, so hat sich der Wohlstand in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt.

Dies liegt jedoch an der enormen Wertsteigerung der Immobilien, von der aber längst nicht alle profitieren - viele Eigenheimbesitzer sind in die Schuldenfalle geraten, weshalb die Zahl der Zwangsversteigerungen deutlich zunimmt. Experten sind sich einig, dass die Kluft zwischen Arm und Reich in den letzten zehn Jahren gewachsen ist. Zudem verlassen viele Briten die Insel, um auf dem Kontinent zu arbeiten. Zwar hat Brown seit 2001 deutlich mehr Geld für das marode Gesundheitssystem und die Schulen ausgegeben, doch noch immer leben vier Millionen Kinder in Armut.

Ein Schotte regiert Großbritannien

Der Schotte hat bereits angekündigt, die Kinderarmut, diesen "inakzeptablen Makel der Gesellschaft", bis 2020 ausrotten zu wollen. Was ist sonst von einem Premier Brown zu erwarten? Nach Angaben der OECD sind in keinem anderen europäischen Land die Steuern so kräftig erhöht worden wie in Großbritannien. Wirtschaftsexperten fürchten, Brown könnte für eine stärkere Rolle des Staates eintreten und weiter die Steuern erhöhen.

Bisher hat der Schotte jedoch stets erklärt, er wolle am Kurs seines Vorgängers Blair festhalten und stehe für "linke Experimente" nicht zur Verfügung. Mitunter spricht er aber auch von einer nötigen inhaltlichen Erneuerung der Partei. In den europäischen Hauptstädten, so war in den meisten Analysen zu lesen, herrscht auch noch Rätselraten über die Agenda des Schotten. Da Brown so lange auf sein neues Amt warten musste, wird er in der englischen Presse gerne als "Prinz Charles der Downing Street" bezeichnet.

Unklar ist auch, ob Brown das Kabinett umformen wird. Handlungsbedarf besteht, denn bisher liegt der jugendlich wirkende Spitzenmann der Tories, David Cameron, in allen Umfragen vor Brown. In den Augen vieler Engländer hat Brown einen Makel, den er nie wird ablegen können: Er ist Schotte.

In der eigenen Labour-Party, die zuletzt bei den Regionalwahlen Stimmen verlor, weiß man, dass man nur eine Chance auf einem weiteren Wahlsieg hat, wenn wieder Einigkeit herrscht. Davon konnte lange keine Rede sein, als sich Brownites und Blairites erbittert gegenüberstanden und dem Brown-Lager Putschversuche gegen Blair vorgeworfen wurden.

Dieses Lagerdenken sei typisch für Brown, urteilte einst die Tageszeitung The Observer: "Als Kollege ist man entweder zu tausend Prozent sein Verbündeter oder man ist sein Feind, dem nie vergeben wird. Als Feind aber wird er nicht ruhen, bis er dich zu Staub zerstampft hat."

Dies hat auch der wahrscheinliche Herausforderer David Cameron einmal plastisch beschrieben. Wenn er als Oppositionsführer im Unterhaus Tony Blair gegenüberstehe, spüre er eine augenzwinkernde Kameraderie. "Aber bei Brown ist es buchstäblich so: Du bist bösartig, du bist so gut wie tot, ich mache dich kalt, ich werde dich in den Boden stampfen, bis mein Stiefel auf dein Gesicht niedergeht."

George Clooney als Darsteller

Über den Privatmann Gordon Brown ist nicht allzu viel bekannt: Er gilt als chaotisch und lesefreudig. Die offizielle Website verrät, dass er sich neben Fußball und Tennis auch für Filme interessiert.

Es spricht also ein Fachmann, wenn Brown in einem Interview darüber nachdachte, welcher Schauspieler ihn irgendwann in einem Spielfilm verkörpern könnte. Gordon Brown nannte: George Clooney.

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