Der Papst und seine Kirche:Die katholische Krise

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Papst Benedikt XVI. hat das Verhältnis der katholischen Kirche zur Welt in Frage gestellt. Der deutschsprachige Katholizismus steckt in der tiefsten Krise seit Jahrzehnten.

Matthias Drobinski

Unruhige Zeiten waren das im Frühjahr 1933. Der Reichskanzler hieß nun Adolf Hitler, und ausgerechnet jetzt hatte das Domkapitel zu Münster einen Bischof zu wählen. Man einigte sich auf Wilhelm Heinrich Heufers. Doch der lehnte ab, er fühlte sich politisch überfordert. Für ihn kam ein anderer ins Amt: Clemens August Graf von Galen.

Es gärt im Katholizismus, vor allem in den deutschsprachigen Ländern. (Foto: Foto: AFP)

Man muss weit zurückgehen, um Vergleichbares zum Amtsverzicht des designierten Linzer Weihbischofs Gerhard Maria Wagner zu finden, und selbst dieser Vergleich hinkt mit Hüft- und Knieschaden. Heufers verzichtete still und leise, Wagner aber hat ein noch nie dagewesener Sturm des Kirchenvolkes weggefegt.

Bischöfe, Pfarrer, das kreuzbrave Kirchenvolk, sie alle haben gegen einen Weihbischof protestiert, der einen Wirbelsturm für eine Strafe Gottes hält und die "Harry-Potter"-Romane für vom Teufel inspiriert.

Es gärt im Katholizismus, vor allem in den deutschsprachigen Ländern. Gerade hier schmerzt es, dass der Vatikan die Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen Priesterbruderschaft Pius X. aufgehoben hat, obwohl einer den Holocaust leugnet. Eine Austrittswelle schwappt übers Land. Papst Benedikt XVI. hat den deutschsprachigen Katholizismus in die tiefste Krise seit der Maßregelung des Theologen Hans Küng im Jahr 1979 geführt.

Selbstredend verabscheut der Papst Holocaust-Leugner oder Antisemiten. Doch Benedikt hat das Verhältnis der katholischen Kirche zur Welt in Frage gestellt, wie das besonders in Deutschland und Österreich verstören muss. Im Grunde beruhen die Gnade für die Piusbrüder und die Beförderung des Linzer Pfarrers auf demselben Gedankengang: Kirchenrechtlich, an den Maßstäben des katholischen Amtshandelns gemessen, ist beides in Ordnung.

Kein Ausschlusskriterium

Die Piusbrüder kommen auf Widerruf und vom Amt suspendiert in die Kirchengemeinschaft zurück - ihre Haltung zu Politik und Gesellschaft ist zunächst zweitrangig. Und Pfarrer Wagner hat weder Straftaten begangen noch ein Dogma in Frage gestellt - wo soll da das Problem sein?

Es ist die Idee zweier in sich abgeschlossener und für sich existenter Welten, die Papst Benedikt hier vertritt. Die Idee, dass sich mit der Kirche auf der einen und Staat und Gesellschaft auf der anderen Seite zwei Societates Perfectae gegenüberstehen, die miteinander zu tun haben, aber nach eigenen Gesetzen funktionieren. Nach den Gesetzen der Welt mag es strafbar sein zu behaupten, den millionenfachen Judenmord zu leugnen - für das Leben der in sich abgeschlossenen Kirche ist dies kritikwürdig, aber kein Ausschlusskriterium.

Lesen Sie auf Seite zwei, welches bemerkenswerte Zeichen des Papstes Hoffnung macht.

Erst recht ist es unwichtig, wo und wie einer den Teufel am Werk sieht, wenn er nur einwandfrei innerhalb des Systems funktioniert. Die Panne bei den Piusbrüdern lag so gesehen darin, dass die Aussagen des Holocaust-Leugners im schwedischen Fernsehen nicht schnell genug bekannt waren. Dass man mit Leuten verhandelt, die Juden und Muslime, Protestanten, Homosexuelle oder erwerbstätige Mütter abwerten - das liegt im System.

"Väterlichen Geste"

Die Pastoralkonstitution Gaudium et spes des Zweiten Vatikanischen Konzils hat diesem Denken eine Absage erteilt: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi", heißt es dort. Die katholische Kirche ist, nimmt man das ernst, keine von der Welt geschiedene Sache, sie lässt sich auf die Welt ein, ohne sich mit ihr gemein zu machen. Wer Ökumene, interreligiösen Dialog oder Religionsfreiheit grundsätzlich in Frage stellt, stellt auch das Fundament des Glaubens in Frage.

Es liegt nahe, dass die Traditionalisten im Geiste von Erzbischof Lefebvre Gaudium et spes mit Inbrunst bekämpfen. Doch auch Joseph Ratzinger hat da seine Probleme. Zu ihm gehört auch die Weltentrückung. Die hat ihm eine gesunde Skepsis gegenüber innerweltlichen Heilsversprechen geschenkt, die bereitet ihm aber auch Probleme, in der Regensburger Rede wie bei der "väterlichen Geste" gegenüber den Piusbrüdern.

Freiheit der Kinder Gottes

Darin liegt der grundsätzliche Streit: Wie weit darf eine Kirche ihre eigenen Wirklichkeiten schaffen, ohne ihren Weltauftrag zu verraten? Gerade in Deutschland und Österreich ist das ein schwieriges Thema, haben sich doch die christlichen Kirchen im Dritten Reich zwar ihre Welt bewahrt, darüber aber jene vergessen, die nicht dazu gehörten: politisch Verfolgte, Homosexuelle, Zigeuner, Juden. Auch daher kommt die Empörung, die den Papst aus Deutschland so überrascht und erschreckt: Es geht um die katholische Kirche als Wächterin der Menschlichkeit in der Welt.

Immerhin hat dieser Papst, der sich so schwertut mit der Welt jenseits seiner Welt, nun ein bemerkenswertes Zeichen gesetzt. Auch Wagner ehrt sehr, dass er gemerkt hat, dass auf seinem Amt kein Segen ruhen würde. Es ist eine Geste der Klugheit: Johannes Paul II. hielt gegen alle Ratschläge an Kardinal Hermann Groer in Wien und Bischof Kurt Krenn in St. Pölten fest - sie hinterließen ihre Bistümer als Scherbenhaufen. Der Papst hört auf den Glaubenssinn des Gottesvolkes, wer hätte das gedacht. Es ist ein Schritt hinaus aus der Gefangenschaft im eigenen Denksystem, hinaus in die Freiheit der Kinder Gottes.

© SZ vom 17.02.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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