Debatte:"Weiteres NPD-Verbotsverfahren jederzeit möglich"

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Mehrere SPD-Politiker haben gefordert, die Hürden für ein Verbotsverfahren zu senken. Der frühere Verfassungsrichter Jentsch sagte jedoch der Süddeutschen Zeitung, dass ein Verbot der NPD ohne eine Gesetzesänderung zu erreichen sei. Dazu müssten nicht auch alle V-Leute abgezogen werden.

Helmut Kerscher und Heribert Prantl

Die Debatte über ein neues NPD-Verbot hatte unter anderen Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) angestoßen. Jentsch hatte das im März 2003 gescheiterte Verbotsverfahren gegen die NPD als Berichterstatter bearbeitet. Die damalige Entscheidung des Gerichts werde, so sagte nun der Experte der SZ, "vielleicht ein bisschen überzogen ausgelegt". Das Gericht habe keineswegs den Abzug sämtlicher staatlicher V-Leute aus der NPD verlangt, sondern nur aus deren Führungsebene.

Hans-Joachim Jentsch, ehemaliger Verfassungsrichter (Foto: Foto: dpa)

Im Kern sei es dem Gericht um die Sicherung eines fairen Verfahrens gegangen. Der Staat dürfe sich einerseits nicht durch V-Leute über die Prozessstrategie einer Partei informieren können. Er müsse aber andererseits nicht auf die Beobachtung einer extremistischen Partei verzichten, sagte Jentsch.

Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg sagte, die Bundesregierung arbeite derzeit nicht an einem neuen Vorstoß beim Verfassungsgericht. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sagte der SZ, es gelte, "dies im Licht der Entwicklung der NPD immer wieder neu zu bewerten". Die Karlsruher Anforderungen bezeichnete die Justizministerin als "sehr hoch".

"Ergänzungsrichter denkbar"

Beim damaligen Verfahren hatte sich zur empörten Verwunderung des Gerichts Anfang des Jahres 2003 herausgestellt, dass der Staat in Gestalt von V-Leuten zahlreich in den Führungskadern der NPD vertreten war - so zahlreich, dass von Kritikern sarkastisch von einer "Staatspartei" NPD gesprochen wurde. In den Jahren vor dem Verbotsantrag arbeitete jeder siebte Funktionär aus der NPD-Führungsebene für den Verfassungsschutz, etwa dreißig von zweihundert Vorstandsmitgliedern also.

Davon hatte kein Wort in den Verbotsanträgen gestanden, die der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung gestellt hatten. Die Aussagen der V-Leute waren dem Verfassungsgericht zunächst als ganz normales belastendes Material präsentiert worden. Das Gericht sah sich deshalb nicht in der Lage, in der Sache zu entscheiden, da in den Worten des Senatsvorsitzenden und Vizepräsidenten Winfried Hassemer die Verbotsanträge "verschmutzt" waren.

Sein Senat wollte es nicht akzeptieren, dass die Antragsteller, um dies zu korrigieren, aus den vorgelegten Beweisen nur die Aussagen einiger V-Leute wie faule Äpfel herausklauben wollten; das Gericht verlangte die Enttarnung aller V-Leute. Die Kläger boten dagegen nur an, alles "in camera" aufzudecken, also in einem Geheimverfahren.

Experte: Reformen des Parteiverbotsverfahrens nötig

Ex-Verfassungsrichter Jentsch sprach sich nun für Reformen des Parteiverbotsverfahrens aus, die aber nicht unmittelbar vor einem Verbotsantrag erfolgen dürften. Insbesondere müsse garantiert werden, dass am Ende eines Verfahrens acht Mitglieder des Gerichts entscheiden würden und nicht bloß sieben oder sechs. Ob dann die jetzt im Gesetz verlangte Zwei-Drittel-Mehrheit oder eine einfache Mehrheit erforderlich sei, nannte er eine zweitrangige Frage.

Der Gesetzgeber, so beklagte Jentsch, habe es bisher versäumt, die seit langem bestehenden Mängel eines Parteiverbotsverfahrens zu beheben. Jentsch wies auf das Risiko des Ausscheidens von Senatsmitgliedern wegen Ablaufs der Amtszeit oder wegen Krankheit hin. Würde beispielsweise im Frühjahr 2007 ein Antrag auf Verbot der NPD gestellt, schiede bereits ein Jahr später der Vorsitzende des dafür zuständigen Zweiten Senats, Gerichtsvizepräsident Winfried Hassemer, aus.

Der Gesetzgeber könne solchen Konstellationen entgegenwirken, indem er die weitere Mitwirkung eines Richters ermögliche. Denkbar sei auch die Bestellung von Ergänzungsrichtern, die im Fall des Ausscheidens eines Richters den Senat komplettieren könnten, sagte er.

Jentsch wies darauf hin, dass ein Parteiverbotsverfahren für das Bundesverfassungsgericht ohnehin untypisch sei, da es eine regelrechte Beweisaufnahme erfordere. Es gebe daher auch den Vorschlag, das Gericht um Bundesrichter zu erweitern. Er selbst habe allerdings Bedenken gegen eine eigens für Parteiverbote geschaffene Institution.

Generell hielt Jentsch die Möglichkeit eines Parteiverbots für richtig. Das Verbannen politischer Meinungen sei zwar problematisch und dürfe nur mit äußerster Zurückhaltung geschehen. "Im Extremfall muss aber der Ausschluss von extremen Meinungen möglich sein." Dies folge aus der Einigung auf die bestehende Staatsordnung und ihre Grundentscheidungen.

© SZ vom 14.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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