Debatte um Kinderrechte:Das verprügelte Christkind

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Christkinder und andere Schutzbedürftige: Brauchen sie ein eigenes Grundrecht und was bringt das?

Heribert Prantl

Auf den Weihnachtskarten, wie sie in diesen Tagen verschickt werden, sieht man Bilder von Rubens oder Rembrandt, welche die Heilige Familie in heiliger Eintracht zeigen.

Ein Mädchen in einem Engelskostüm verfolgt von einer Mauer aus den jährlichen Nikolausumzug in Brandenburg. (Foto: Foto: Reuters)

Gelegentlich sieht man auch die Heilige Familie in romantischer Bedrängnis, nämlich auf der Flucht nach Ägypten. Das alles sind vertraute Sujets.

Max Ernst hat sie 1926 zu zerschlagen versucht, als er ein Bild malte, das wenig weihnachtsgruß-tauglich ist. Es heißt: "Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen".

Man sieht darauf, wie Maria den Jesusknaben übers Knie legt und ihn versohlt; der Heiligenschein ist schon zu Boden gefallen. Die "drei Zeugen" der Szene sind der Surrealist André Breton; er blickt gar nicht hin. Der zweite, der Schriftsteller Paul Eluard, hält den Vorgang offenbar für das Natürlichste auf der Welt. Und der dritte Zeuge ist der Maler selbst; er schaut die Betrachter seines Werkes an.

Auf diese Weise holt er sie und setzt er sie ins Bild: Gewalt kommt in den besten Familien vor. Vielleicht ist es diese Erkenntnis, die manche Politiker davor zurückschrecken lässt, ein "Kinderrecht" in das Grundgesetz zu schreiben: Weil Gewalt in den besten Familien vorkommt, könnte es ja sein, so lautet ihre stille Befürchtung, dass auf einmal der Staat in Gestalt des Jugendamts oder gar der Polizei vor der Tür steht, wenn einem einmal, wie man so sagt, "die Hand ausrutscht".

So hässlich solches Erziehungsversagen ist, so verständlich ist auch die Angst konservativer Rechtspolitiker vor einem Staat als Obererzieher, vor einem Staat also, der sich als pädagogischer V-Mann ins Familienleben einmischt und auf diese Weise das Wort vom "Vater Staat" pervertiert.

Die Nazis haben das gemacht, weil sie andere Gemeinschaften als die braune Volksgemeinschaft nicht dulden wollten. Das Grundgesetz hat auf diese totalitären Erfahrungen reagiert und das Elternrecht stark gemacht, aber auch darauf hingewiesen, dass aus diesem Recht eine Pflicht folgt.

Die Rechte der Eltern (Juristen nennen das "elterliche Gewalt") finden ihre Rechtfertigung darin, dass Kinder des Schutzes und der Hilfe bedürfen. Aber was ist, wenn Hilfe und Schutz nicht gewährt werden? Dann hilft dem Kind auf die Schnelle auch ein Grundrecht "auf Entfaltung" nichts.

Doch ein solches Grundrecht nimmt den Staat anders in die Pflicht als bisher: bei den Vorsorgeuntersuchungen, bei der Unterstützung überforderter Eltern.

Diese Pflicht folgt dann nicht mehr nur allgemein aus dem Sozialstaatsgebot und der Menschenwürdegarantie, die natürlich auch für Kinder gilt. Sie folgt konkret aus dem neuen Grundrecht, das mehr ist als ein Programmsatz. "Jede Mutter", so das Grundgesetz, hat "Anspruch auf Fürsorge der Gesellschaft". Man mag das für selbstverständlich halten. Trotzdem wurde das in die Verfassung geschrieben.

Kinder brauchen diesen Respekt auch. Als Sofortprogramm gegen Gewalt ist so ein Grundrecht untauglich. Es ist kein Schutzschild - aber ein Fundament, auf dem gute Kinderpolitik gedeihen kann.

© SZ vom 17.12.2007/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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