Debatte um Auswirkungen des Fernsehens:Fernsehen macht dick, faul und gewalttätig

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Die deutsche Fernsehlandschaft mit ihren bizarren Auswüchsen ist nicht Ursache, sondern Abbild der neuen Klassengesellschaft.

Heribert Prantl

Vierzig Jahre nach der ersten Bildungskatastrophe konstatiert man in Deutschland eine zweite. Politiker, zuletzt der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger, wissen, wer schuld daran ist: das Privatfernsehen.

Das Fernsehen macht, so hat es Familienministerin Ursula von der Leyen gesagt, "dick, dumm, traurig und gewalttätig"; diese Attribute gelten allerdings nicht unbedingt exklusiv für die kommerziellen Programme. Den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit finde man freilich, so heißt es oft, ganz leicht: Es sei der Ausschaltknopf.

Dass viele den Knopf jeden Tag erst nach fünf oder sechs Stunden finden, ist Teil der Unmündigkeit, und die ist nicht unbedingt selbstverschuldet.

Die Fernsehlandschaft ist nicht Ursache, sondern Abbild der neuen Klassengesellschaft; sie wird aber auch vom Fernsehen zementiert. Die Bildungsoffensive der sechziger und siebziger Jahre ist Geschichte; sie wartet auf Wiederholung.

Damals kletterten die Kinder aus den unteren Schichten auf der Strickleiter, die ihnen das BAföG knüpfte, behende nach oben. Diese Strickleiter ist eingerollt, das Projekt sozialer Aufstieg beendet.

Zermürbte Pädagogen

Viele der engagierten Pädogogen von damals haben sich später, zermürbt von Detailstreitigkeiten wie jenen über die Gesamtschule, in ihre Fachgebiete zurückgezogen und sehen jetzt, wenn sie als Pensionisten durch die Programme zappen, dass sich ein Klassenfernsehen etabliert hat - RTL 2, 9Live, Kanal 1, SuperRTL und DSF für die Unterschicht; dort gibt es Sendungen mit hohem Prol-Faktor und anzüglicher Sex-Werbung mit freiem Übergang zur Pornographie.

Das also ist die sogenannte Meinungsvielfalt und die "geistig-moralische Wende", mit der einst Politiker derjenigen Parteien für die Einführung des Privatfernsehen geworben haben, die heute den Werteverfall beklagen. Am anderen Ende der TV-Skala stehen Sender wie Arte, mit feinen Produktionen für den feinen Geschmack. Die jeweiligen Zuschaueranteile sind auch ein Spiegel der Gesellschaft.

Die jüngste politische Debatte war geprägt zum einen von der Vernachlässigung und Verwahrlosung von Kindern, zum anderen von der Debatte über Jugendgewalt. Bei beidem kommt man am Trash-Fernsehen nicht vorbei.

Selbst die besten Hauptschullehrer haben es in Klassen mit dreißig Schülern ungeheuer schwer, auch nur notdürftig zu reparieren, was dieses Fernsehen kaputtmacht. Soziale Rücksichtnahme wird in Vulgärprogrammen kaputtgesendet.

Ein verzweifelter Pädagoge hat vom Bethlehemitischen Kindermord der Moderne gesprochen. Das klingt dramatisch ausweglos. Ganz so ist es nicht. Es gibt Gegenrezepte.

Schon mit der Einführung des Privatfernsehens hätte man die Ganztagsschule einführen müssen. Sie ist weniger ein Zugeständnis an die zeitknappen Doppelverdiener-Eltern der Mittelschicht als eine Art Internat für Kinder aus der Unterschicht und aus sozialen Randgruppen: ein Ort der Schicksalskorrektur.

© SZ vom 11.01.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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