Debatte um Arbeitslosengeld:Teure Kosmetik für das soziale Profil

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Welche Folgen eine Abkehr von der Agenda 2010 hätte, ist unklar - sicher ist: Sie kostete viel Geld.

Nina Bovensiepen

Vor einem Jahr, als CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sich in der Rolle des Kämpfers für Arbeitslose übte, verschickten Sozialdemokraten empört klingende E-Mails. "Rüttgers gaukelt den Menschen etwas vor", stand darin zu dem Vorschlag des nordrhein-westfälischen Landeschefs, Erwerbslosen mit vielen Beitragsjahren länger Arbeitslosengeld I zu zahlen.

Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck, rechts, und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering, links, haben unterschiedliche Ansichten zum Arbeitslosengeld. (Foto: Foto: AP)

Die Genossen verwiesen auf eine Rüttgers-Rede von 2002, in der er selbst gefordert hatte, die Auszahlung des Arbeitslosengeldes generell auf zwölf Monate zu befristen. Unglaubwürdig sei solch ein Schlingerkurs, der Vorschlag zudem unsozial, so das sozialdemokratische Urteil.

In diesen Tagen werden aus der SPD wieder Mails zum Arbeitslosengeld I verschickt. Darin wird Parteichef Kurt Beck gelobt, wofür Rüttgers einst gerüffelt wurde. Eine "Reformdividende" für die Menschen könne "in einer Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I liegen", heißt es etwa in einem Papier des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Fraktion, Olaf Scholz, zu der von Beck ausgelösten Debatte um das Arbeitslosengeld. Es könne vernünftig sein, die Unterstützung älteren Menschen bis zu 24 Monate lang zu zahlen.

Ein Schlingerkurs der Parteien hat hier Tradition

Derzeit bekommen Erwerbslose das vom früheren Einkommen abhängige Arbeitslosengeld I in der Regel ein Jahr, bevor sie auf das meist niedrigere Hartz-IV-Niveau rutschen. Nur über 55-Jährige haben 18 Monate Anspruch. Das war nicht immer so - ein gewisser Schlingerkurs der Parteien hat hier Tradition. Als die Leistung 1969 eingeführt wurde, betrug die Auszahldauer ebenfalls maximal zwölf Monate.

Die Regierung von Helmut Kohl änderte dies in den Achtzigern. Je nach Alter erhielten Erwerbslose fortan bis zu 32 Monate lang Arbeitslosengeld I. Die Umstellung erfolgte weniger aus arbeitsmarktpolitischen, denn aus finanziellen Gründen. Das Arbeitslosengeld I wird nämlich aus Beiträgen gezahlt, die Firmen und Arbeitnehmer an die Bundesagentur für Arbeit entrichten. Das Arbeitslosengeld II hingegen kommt aus der Steuerkasse. Je länger die Menschen Arbeitslosengeld I bekommen, umso später muss also Geld aus dem Bundeshaushalt fließen. Theoretisch zumindest.

Änderungen führten zu Missbrauch

In der Praxis führten die Änderungen auch zu Missbrauch. Mit Hilfe staatlicher Frühverrentungs-Programme nutzten Firmen die lange Zahldauer des Arbeitslosengeldes, um ihre Beschäftigten in den vorgezogenen Ruhestand zu schicken. Dies war eines der Argumente, warum die Parteien im Zuge der Hartz-Gesetze einmütig beschlossen, das Rad zurückzudrehen.

Seit Februar 2006 gilt wieder grundsätzlich die zwölfmonatige Bezugsdauer. Die kürzere Zahlung der Leistung, so ein weiteres Argument, soll Erwerbslose zudem motivieren, schneller und engagierter nach einem neuen Job zu suchen - ganz nach der Hartz'schen Fördern-und-Fordern-Philosophie.

An diesem Punkt entzündet sich aber viel Streit. Schon als Rüttgers seinen Vorschlag für einen längeren Bezug des Arbeitslosengeldes machte, monierten Kritiker, dass eben dieser Teil der Reformen gerade zu wirken beginne. Wenn das Arbeitslosengeld I wieder länger gezahlt werde, sei "zu erwarten, dass die Personen tendenziell länger arbeitslos bleiben", stellte vor einem Jahr auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur (IAB) fest.

Passend zur aktuellen Debatte erschien diese Woche noch eine IAB-Studie. Darin heißt es, dass "die Arbeitsmarktreform Hartz IV den Beschäftigungsaufbau unterstützt hat". Die Ergebnisse legen nahe, dass viele Erwerbslose heute engagierter als früher eine neue Stelle suchen, und dass sie zu mehr Abstrichen bei Gehalt und Ansprüchen an den Job bereit sein.

Entsprechend der Diskussionen dieser Tage und wie es bei Statistiken und Studien meistens ist, werden die Erkenntnisse unterschiedlich interpretiert: Die einen sehen darin den Erfolg der Agenda-2010-Politik, die anderen warnen, die Menschen seien immer leichter auszubeuten und zu erpressen.

Klingt einleuchtend, ist aber scheinheilig

Wie auch immer man es auslegt - fest steht, dass die Verlängerung der Zahldauer des Arbeitslosengeldes I ein wesentliches Element der Hartz-Reformen verändern würde. Die von Beck beziehungsweise Rüttgers präferierten Modelle unterscheiden sich dabei in Einzelheiten, zielen aber in die gleiche Richtung. Beck stellt sich vor, die Bezugsdauer für ältere Menschen über 45, 50 und 55 in Schritten bis maximal 24 Monate zu verlängern. Rüttgers will Arbeitnehmern, die mindestens 15 Jahre Beiträge in die Sozialkassen gezahlt haben, länger Arbeitslosengeld I zahlen, maximal ebenfalls 24 Monate. Falls das Konzept nichts kosten darf, wie es vor einem Jahr hieß, müsste jüngeren Erwerbslosen die Leistung im Gegenzug allerdings gekürzt werden.

Die Sozialdemokraten kritisieren dies als sozial ungerecht. Das klingt einleuchtend, ist aber scheinheilig. Es war nämlich die SPD, die einst auf einen kostenneutralen Vorschlag zur Umsetzung der Rüttgers-Idee bestanden hatte. Nur unter der Bedingung, dass es keine Veränderung beim Arbeitslosengeld I gebe, die zusätzliche Kosten bedeute, hatte die SPD damals einer weiteren Senkung des Arbeitslosenbeitrages zugestimmt.

Heute können sich daran neben Arbeitsminister Franz Müntefering anscheinend nicht mehr sehr viele Sozialdemokraten erinnern. Immer mehr Genossen gefällt die Idee, ein bisschen mehr für das soziale Profil zu tun. Woher das Geld dafür kommen soll, ist auch schon ausgemacht: Die gut gefüllte Kasse der Bundesagentur für Arbeit soll es richten. Wie viel das alles kosten würde, hat bisher zwar niemand gesagt. Ob die Überschüsse reichen würden, ist also auch nicht sicher. Sicher ist hingegen eins: Hätte Rüttgers einst diesen Finanzierungs-Vorschlag gemacht, hätte er viel sozialdemokratische Empörung geerntet.

© SZ vom 4.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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