DDR: Grenzbahnhof zerstört:Goodbye, Probstzella

Es war einmal ein deutsches Denkmal: Der Abriss des letzten DDR-Grenzbahnhofs in Probstzella. Tagebuch eines Scheiterns.

Roman Grafe

Der Journalist und Autor Roman Grafe, der 1989 einige Monate vor dem Fall der Mauer aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt ist, hat sich in mehreren Büchern ("Die Grenze durch Deutschland", "Deutsche Gerechtigkeit") mit der Mauer mitten durch das Land beschäftigt. Auch der Grenzbahnhof im thüringischen Probstzella mit großer Kontrollstelle, der zum Schluss noch einzige erhaltene deutsch-deutsche Grenzbahnhof, hat ihn beschäftigt. In diesem Beitrag schreibt er, wie alle Versuche, das Denkmal zu erhalten, scheiterten - und wie sich am Ende der Bahnhof zum Gefallen der meisten Einwohner in Luft auflöste.

DDR: Grenzbahnhof zerstört: Probstzella: Zum Schluss war die Kontrollstelle der einzige noch erhaltene deutsch-deutsche Grenzbahnhof.

Probstzella: Zum Schluss war die Kontrollstelle der einzige noch erhaltene deutsch-deutsche Grenzbahnhof.

(Foto: Foto: Geschichtswerkstatt Jena e. V)

25. Juni 2008

Ein hoffnungsfroher Anfang: "Der Udo Breitenbach meint, wir sollten ein Museum daraus machen", sagt der Bürgermeister von Probstzella und zeigt auf den alten deutsch-deutschen Grenzbahnhof. Im Sommersonnenlicht sieht das dreistöckige Kontrollgebäude selbst 18 Jahre nach Ende der DDR gut erhalten aus.

Marko Wolfram (SPD), der Bürgermeister, hat beim Aschaffenburger Büro Breitenbach eine Studie bestellt, wie man Touristen in das thüringische 1500-Seelen-Dorf an der bayerischen Grenze locken könnte. Schöne Natur gebe es auch anderswo, so die Antwort - aber einen DDR-Grenzbahnhof wohl nicht mehr. Etwa 20 Millionen Deutsche wurden in Probstzella, auf der Hauptstrecke Berlin - München, kontrolliert und gedemütigt.

Die Museums-Idee begeistert mich. Die Grenzgeschichte Probstzellas, einschließlich die des Bahnhofs, habe ich für mein Buch "Die Grenze durch Deutschland" (Siedler-Verlag 2002) umfassend recherchiert. Das Material - Dutzende von Fotos, Dokumenten, Zeitzeugenberichten - würde für zwei Museen reichen. Man müsste sich aber beeilen, sagt Wolfram, für den Herbst sei der Abriss des Kontrollgebäudes geplant.

Die Kosten in Höhe von rund 140.000 Euro sollen durch Kommune, Land, Bund und EU übernommen werden. Am folgenden Tag beschließt der Gemeinderat Probstzellas einstimmig den Abriss der "GÜST" (Grenzübergangsstelle).

9. Juli 2008

Bertram Lucke vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege in Erfurt teilt der Gemeinde mit, man beabsichtige, das Kontrollgebäude (Baujahr 1978) unter Denkmalschutz zu stellen. Nach einer Besichtigung erklärt Herr Lucke am 14. August plötzlich das Gegenteil, weil des Hauses "Zeugniswert nicht mehr in genügendem Umfang gegeben" sei. Intern lautet die Begründung, es sei für die Gemeinde als Eigentümer unzumutbar, die Kosten eines solchen Kulturdenkmals allein zu tragen.

"Fünf vor zwölf für Probstzellas Tränenpalast", heißt am 25. August die Überschrift eines längeren Artikels in der Ostthüringer Zeitung. Eine Woche darauf ist in der Stuttgarter Zeitung zu lesen, in Probstzella könnte demnächst "ein einzigartiges Zeitzeugnis" verlorengehen.

27. August 2008

Ich bitte Thüringens Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) um Unterstützung, mein Brief wird ihm umgehend vorgelegt: "In einem solchen Museum soll aufgeklärt werden über die in der DDR verweigerte Ausreisefreiheit, über das schikanöse Kontrollregime an der Grenze, über das Wesen der DDR-Westgrenze als Mauer eines Gefängnisstaates. (...) Mit dem vollständigen Abriss des Kontrollgebäudes ginge eines der letzten authentischen Geschichtszeugnisse zum DDR-Grenzregime von nationaler Bedeutung unwiederbringlich verloren."

Die Sanierung des Kontrollbereiches im Parterre des Hauses für ein Museum würde dagegen, nach Aussage eines erfahrenen Architekten, absehbar maximal 250.000 Euro kosten. Althaus verfügt die Prüfung des Anliegens durch das zuständige Thüringer Kultusministerium.

Ein gleichlautendes Schreiben schicke ich an Kultusstaatsminister Bernd Neumann (CDU) in Berlin. Das Thüringische Landesamt für Denkmalpflege bitte ich, zumindest den Kontrollbereich unter Denkmalschutz zu stellen.

Am Abend läuft im "Thüringen-Journal" des MDR-Fernsehens ein Beitrag zum geplanten Abriss. Darin plädiert die Thüringer Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Hildigund Neubert (CDU), für den Erhalt des Gebäudes. In einem Brief an die Gemeinderäte schreibt sie: "Ich bin überzeugt, dass sich die Gemeinde Probstzella durch den Totalabriss eines Schatzes berauben würde."

1. September 2008

Im Hauptausschuss der Gemeinde Probstzella erläutere ich mein Konzept "DDR-Grenzbahnhof-Museum": Mein Vorschlag zum Erhalt des Erinnerungsortes in seinem Kern ist der Ausschnitt des Kontrollbereiches: eines Wartesaals, zweier langer, enger Kontrollgänge, wo sich die Reisenden durchzwängen mussten, sowie der Kabinen der Pass- und Zollkontrolleure. Dazu ein weiterer Ausstellungsraum und ein Kino- und Vortragsraum. Insgesamt nicht mal ein Sechstel des Gebäudes. Der den Ort Probstzella unschön überragende Bürotrakt könnte wie geplant abgerissen werden.

Als Träger des Museums könnte zunächst die Gemeinde auftreten, später eventuell ein Verein. Unterhalt und Betreuung des Museums könnten überwiegend aus den Eintrittsgeldern finanziert werden, wie es etwa im Thüringer Grenzmuseum Schifflersgrund seit Jahren getan wird.

Die Entwicklungsmöglichkeiten für den früheren DDR-Grenzort würden durch solch ein Museum vergrößert werden: Angesichts der Besucherzahlen anderer Grenzmuseen erscheint die Prognose von 30.000 bis 50.000 Besuchern im Jahr realistisch. "Die Chancen sind gut, das Risiko ist klein", sage ich. "Sollten tatsächlich keinerlei Mittel für den Aufbau des Museums aufzutreiben sein, könnte man letztlich mit relativ wenig Aufwand die restlichen Mauern beseitigen."

Nun bin ich gespannt auf die Reaktionen. "Ich versteh' den Sinn eines solchen Museums nicht", sagt eine Gemeinderätin. Mir fehlen die Worte. Soll ich sie über politische Bildung und historisches Bewusstsein aufklären? "Hast du die Verbindung zu Probstzella verstanden?", fragt eine zweite. "Ob das Kontrollgebäude da steht oder nicht, ist mir egal."

Ein Grenzbahnhof-Museum interessiere niemanden, da gehe sowieso keiner hin. Und wenn doch jemand käme, hätte man ja überhaupt keine Parkplätze für die Reisebusse, erklärt Probstzellas Vize-Bürgermeister, Andreas Gloth-Pfaff. Und die Leute in der Bahnhofstraße wären froh, wenn die GÜST endlich weg sei, ergänzt Gemeinderat Eichhorn, wegen der besseren Aussicht. Henry Eichhorn beteiligte sich bis zum Mauerfall als "Freiwilliger Grenzhelfer" an der Jagd auf DDR-Flüchtlinge.

Goodbye, Probstzella

3. September 2008

Landeskonservator Stefan Winghart vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege teilt mir mit, "für eine Korrektur der Beurteilung der Denkmaleigenschaft des o. g. Gebäudes ist keine Veranlassung ersichtlich. Die GÜST Probstzella wurde aufgrund des erheblichen Substanzverlustes, der bei dem Bauwerk - namentlich auch im Kontrollbereich - zu verzeichnen ist, nicht als Kulturdenkmal eingestuft."

Dieses Urteil hat Herr Winghart offenbar mit geschlossenen Augen gefällt: Der mittlere Kontrollgang ist so gut erhalten, dass man nur Staub zu wischen brauchte, und die Passkontrolleinheit könnte wieder einziehen. Auch der Wartesaal und die Nebenräume ließen sich mit vergleichsweise wenig Mühe rekonstruieren. Hier soll Denkmalschutz fiskalischen Interessen untergeordnet werden, denke ich.

11. September 2008

Die Süddeutsche Zeitung widmet dem Thema heute eine halbe Seite: "Der Zug ist noch nicht abgefahren." In dem Artikel bittet der Schriftsteller Erich Loest den Ministerpräsidenten Althaus, "den Erhalt des Grenzbahnhofs Probstzella zu seiner Chefsache zu machen". Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet auf Seite zwei von dem Konflikt: "Kein Geld für dunkle Geschichte".

Darin ein Zitat von Karin Gueffroy, der Mutter des letzten an der Mauer erschossenen Flüchtlings: "Es ist nicht zu fassen: Die reißen die ganze DDR-Vergangenheit ab!"

Auch die Regionalpresse wird das Thema in den nächsten Wochen aufnehmen, so die Saarbrücker Zeitung, die Leipziger Volkszeitung und der Berliner Tagesspiegel. Die Ostthüringer Zeitung, das meistgelesene Blatt in Probstzella, berichtet stetig, ausführlich und fair.

Vor der heutigen Sitzung des Probstzellaer Gemeinderates habe ich einige Exemplare von SZ und FAZ verteilt. Dreizehn Räte debattieren über die Zukunft des Grenzbahnhofs; sechs Einwohner sind dazugekommen. Rainer Wohlfarth, CDU, seit 1990 Gemeinderat, protestiert lautstark: "Die Gemeinde hat das Gebäude 2007 vom Bund für 3500 Euro erworben zum Abriss und nicht zur Erhaltung - ich fühle mich betrogen!" Das finanzielle Risiko sei unvertretbar für die Gemeinde, es drohe Handlungsunfähigkeit, warnt Herr Wohlfarth, der ein Planungsbüro betreibt und mit Gemeindeaufträgen gut verdient hat.

Ich weise darauf hin, dass das Restrisiko maximal 10.000 Euro beträgt und die Probstzellaer Unternehmerstochter Sonja Itting dem Gemeinderat schriftlich zugesagt hat, sich daran zu beteiligen. "Die soll erst mal ihre Wiese mähen, bevor sie solche Angebote macht", erwidert Rainer Wohlfarth. Und außerdem fühle er sich unter Druck gesetzt "durch die Pressekampagne".

"Rainer, du sprichst für uns alle!", lobt eine Gemeinderätin, und fast alle applaudieren. Die nächste meint: "Wir sollten in die Zukunft investieren und nicht in die Vergangenheit!" - "Wir sollten in die Zukunft schauen!", bekräftigt Gemeinderat Gloth-Pfaff. "Wir waren 40 Jahre eingesperrt in Probstzella. Irgendwo will der Mensch auch mal was anderes sehen als so ein Kontrollgebäude." - "Die GÜST gehört abgerissen, sagen die Leute im Ort." Man solle das Geld besser in Bildung investieren, als in so ein Museum. (Rund 30.000 Euro gibt die Gemeinde im Herbst 2008 für zwanzig neue Parkplätze aus, 60.000 gibt das Land dazu.)

Ja, man solle "die Ordnungsmaßnahme durchführen", also das Objekt abreißen, stellt der Vize-Bürgermeister fest. Als ihm der junge Andreas Rauch aus Probstzella widerspricht ("Ich möchte, dass dieser authentische Ort erhalten bleibt"), bügelt ihn Herr Gloth-Pfaff nieder mit den Worten: "Mach dich erst mal kundig!"

"Trauen Sie sich doch mal was zu!", appelliere ich schließlich an die Gemeinderäte. "Ohne Risiko werden Sie nichts erreichen." Bürgermeister Wolfram beendet den Tagesordnungspunkt mit den Worten, es müsse schon ein klares Signal von außen kommen, also von Landesregierung und Bund, dass man das Vorhaben unterstützen werde.

25. September 2008

Gestern Abend hat Spiegel-Online das Thema noch einmal einem Millionenpublikum erläutert. Unter der Überschrift "Mahnmal gegen Willkür und Schikane" heißt es: "Ein Abriss wäre für die Aufarbeitung der deutsch-deutschen Geschichte ein herber Verlust." Im Kommentar der Ostthüringer Zeitung steht heute, Probstzella könnte "zum Buhdorf der überregionalen Medien" werden, in dem "Ignoranten den Abriss der letzten GÜST leichtfertig verfügten".

Meine Bittschreiben an Ministerpräsident Althaus und Staatsminister Neumann sind seit einem Monat unbeantwortet, ebenso der Brief des Bürgermeisters, den er vor zwei Wochen an die Landesregierung geschickt hat. Marko Wolfram berichtet, ein Dr. Deppe aus dem Thüringer Kultusministerium habe ihm mitgeteilt, dass man im Moment keine Stellungnahme abgebe.

Gleichzeitig verbreitet der Pressesprecher des Ministeriums, Detlef Baer, über die Nachrichtenagentur ddp: "Wir würden gern weitere Gespräche führen, aber der Bürgermeister hat abgelehnt." Die "geforderte Zusage" über 300.000 Euro könne man "innerhalb eines Tages" jedoch nicht geben.

Gespräche abgelehnt, 300.000 sofort auf den Tisch ... so spricht man über Geiselnehmer, fällt mir auf.

Bürgermeister Wolfram erklärt zu Beginn der heutigen Sondersitzung des Gemeinderates: "Da bisher keine finanzielle Hilfe in Aussicht gestellt wurde und die Risiken zu hoch erscheinen, muss ich die Empfehlung aussprechen, den Teilerhalt des Kontrollgebäudes abzulehnen. Land und Bund hatten 14 Tage Zeit ..."

Heute sind elf Bürger Probstzellas dazugekommen. Ludwig Wehle, so alt wie die DDR, Vorsitzender des örtliches Schützensvereins, schimpft drauf los: "Die GÜST ist ein Fremdkörper im Organismus unseres Ortes! Die Volksseele kocht! Das Scheißding muss weg!"

Jörg Pabst, ein Bahnmanager, angereist aus Frankfurt am Main, wirbt um Verständnis: Er sei 1988 aus der DDR geflüchtet, das Grenzregime der DDR sei auch seine Geschichte. "Geben Sie uns bitte die Chance, dass wir das Kontrollgebäude der Nachwelt erhalten können." - "Leute wie Sie, mit so einem Schicksal, kann man an einer Hand abzählen!", pöbelt Probstzellas Chefschütze. Ein "absolut selbstgewähltes Schicksal" sei das. - "Das verbitte ich mir!", erwidert Jörg Pabst fassungslos.

"Unverantwortlich" nennt Lehrer Joachim Rauch aus Probstzella den beabsichtigten Abriss: "Geschichte braucht einen Raum, wo ich buchstäblich begreifen kann, wo ich's anfassen kann." Dieter Nagel, ein mittelständischer Unternehmer, der das "Haus des Volkes" im Ort hat wieder aufleben lassen, sagt: "Sie beschließen nicht nur den Abriss eines Gebäudes, Sie verhindern eine Chance!"

Günter Schwarze, einst Major der DDR-Grenztruppen: "Wir brauchen kein Museum!"

14 Gemeinderäte lehnen den Teilerhalt ab, einer enthält sich: Claus Kochanek von den Grünen.

Bei seinem Beschluss lässt der Gemeinderat ausdrücklich zwei Möglichkeiten offen: Zum einen sei man bereit, erneut zu beraten, wenn quasi im letzten Moment die erhoffte Hilfe aus Erfurt und Berlin käme. Ansonsten würde der Abriss wie geplant Anfang Oktober beginnen. Als zweite Möglichkeit bietet der Gemeinderat den Verkauf des Kontrollbereichs an.

Daraufhin gründen im Anschluss an die Ratssitzung sieben Befürworter aus Thüringen, Bayern und Hessen einen "Förderverein Grenzbahnhof-Museum Probstzella". Zunächst werden noch vor Wintereinbruch 40.000 Euro benötigt für die Mehrkosten eines Teilerhalts, Statikberechnungen, ein Notdach und ähnliches. Diesen Betrag hofft der Verein zum einen von Land und Bund kurzfristig in Aussicht gestellt zu bekommen. Zum anderen bittet er um Spenden.

Goodbye, Probstzella

30. September 2008

Gemeinsam mit Bügermeister Wolfram und dem Vereinsvorsitzenden Jörg Pabst bitte ich im Thüringer Kultusministerium nochmals um Hilfe. Die Leitende Ministerialrätin Elke Harjes-Ecker (SPD) verweist auf die knappen Haushaltsmittel: "Wir können nicht jede Initiative dauerhaft fördern." Ich entgegne, dass nur 20 Prozent der laufenden Museums-Kosten von Land und Bund übernommen werden sollten. - Im Gedenkstätten-Konzept des Bundes seien die Gelder längst vergeben, da hätten wir kaum Aussicht auf Erfolg.

Ursula Heinemann, Leiterin des Referats 5 ("Geschichtsforschung und -darstellung"), fragt betont skeptisch, ob wir denn dort "einfach nur eine Ausstellung machen wollen". Ja, antworte ich, und auf An- frage Führungen und Vorträge. So wie es auch in anderen Museen seit Jahren erfolgreich praktiziert werde, zum Beispiel im Schiller- haus Weimar.

Strafender Blick Frau Heinemanns. Ich habe das Gefühl, dass wir mit unserem beherzten Engagement die Abläufe der Erinnerungskultur-Verwalter stören. Ob wir bereit seien, "das Ganze gemeinsam mit Kooperationspartnern auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen?" Ja, gern. Man wolle das Anliegen prüfen.

"3sat-Kulturzeit" sendet zum Tag der Deutschen Einheit "Bye, Bye, Probstzella". ("Wer wissen will, wes Geistes Kind diese DDR war, hier kann er es noch sehen, fühlen, riechen.") Die Welt bringt am gleichen Tag eine ganze Seite über "Thüringens Tränenpalast".

8. Oktober 2008

Ablehnung des Thüringer Kultusministeriums unter Minister Bernward Müller, CDU: Man wolle keine neuen DDR-Gedenkstätten im Land unterstützen, sondern die bereits bestehenden stabilisieren, erklärt mir Frau Harjes-Ecker am Telefon - "Konzentration der Gedenkstättenland- schaft". Die vorhandenen Einrichtungen sollten "besser vernetzt und dauerhaft auf Basis wissenschaftlicher und geschichtsdidaktisch fun- dierter Konzepte betrieben" werden. Damit seien die finanziellen Mittel absehbar erschöpft. Außerdem habe zuvor auch Kultusstaatsminister Neumann eine Beteiligung des Bundes am Grenzbahnhof-Museum abgelehnt.

Es sei "aber denkbar, die Erinnerung an die Grenzkontrollen der Bahn- reisenden in eines der vorhandenen Grenzmuseen einzubeziehen", meint Kultus-Pressesprecher Detlef Baer gegenüber Journalisten. Genauso gut könnte man vorschlagen, das Wohnhaus Franz Liszts in Weimar aus Kostengründen abzureißen und dafür im Eisenacher Bach-Haus eine Liszt-Ecke einzurichten.

"So entsorgt man sehenden Auges deutsche Geschichte", erkläre ich gegenüber den Nachrichtenagenturen dpa und ddp. "Während für ähnliche Thüringer Museen Millionenbeträge geflossen sind, will man hier nicht einmal 40.000 Euro Zuschuss hergeben. Und im Gedenkstätten-Konzept des Bundes sind jährlich 35 Millionen Euro für deutsche Diktaturorte vorgesehen! Wer bereits etwas hat, soll noch mehr bekommen. Auch das Thüringische Landesamt für Denkmal- pflege hat hier erbärmlich versagt."

Letzte Hoffnung des Fördervereins sei die Spendenbereitschaft der Bevölkerung: "Wenn nur jeder zweitausendste Bürger zwischen Konstanz und Rostock einen Euro gibt, kann der Totalabriss noch aufgehalten werden. Mal sehen, wie viel den Deutschen dieses nationale Geschichtsdenkmal wert ist." Die Agentur ddp zitiert den Spendenaufruf - kaum eine Zeitung veröffentlicht die Bitte. Die Ablehnung des Kultusministeriums wird knapp erwähnt, kritisiert wird sie fast nirgends. Nun wird schon wieder die nächste Sau durchs Dorf getrieben, denke ich.

Allein die Ostthüringer Zeitung weist auf der Titelseite am nächsten Tag auf die Spendenbitte hin. Das MDR-Fernsehen tut es ebenfalls: Das "Thüringen-Journal" berichtet am 12. Oktober über ein Sonderkonzert des Liedermachers Stephan Krawczyk in Probstzella zugunsten des Grenzbahnhofs. Im "Blickpunkt" des ZDF hingegen, ein paar Tage darauf, ein elegischer Abgesang ("hier verschwindet Geschichte"), und kein Wort vom Spendenaufruf. Bis Ende Oktober kommen 500 Euro zusammen.

11. November 2008

Nach zwei Monaten Schweigen und mehrfachen Nachfragen antwortet aus den Weiten der Bürokratie eine Frau Astrid Kowalik-Bonkat auf meinen Brief an Bernd Neumann, den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM): "Bedauerlicherweise habe ich nicht die Möglichkeit, Ihnen beim Erhalt des Grenzbahnhofes zu helfen. Die Gemeinderäte der Gemeinde Probstzella haben den Abrissbeschluss für den Grenzbahnhof im Rahmen der ihnen durch das Grundgesetz garantierten Kommunalen Selbstbestimmung getroffen. Eine Möglichkeit, diese Entscheidung zu beeinflussen, ist BKM nicht gegeben."

Während also die Gemeinde auf Hilfe oder zumindest eine Antwort aus Berlin wartete, wollte man in der Hauptstadt die kommunale Selbstbestimmung besser nicht beeinflussen. Willkommen im Tollhaus!

Am gleichen Tag teilt mir Werner von Trützschler, Abteilungsleiter Kultur im Thüringer Kultusministerium, noch einmal schriftlich mit: Die Gedenkstättenarbeit sei ein bedeutender Arbeitsschwerpunkt seines Hauses. Erhebliche finanzielle Anstrengungen, daher keine weiteren Möglichkeiten ... Und schließlich: "Ich bin überzeugt davon, dass es gelingen wird, die Erinnerung an das Grenzregime in Probstzella angemessen und dauerhaft wachzuhalten." Da haben Bauarbeiter schon begonnen, das Kontrollgebäude zu "entkernen" und die ersten Museumsstücke rauszureißen.

Goodbye, Probstzella

13. November 2008

Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Die Grünen) sagt am Ende ihrer Plenarrede zum Gedenkstättenkonzept des Bundes im Deutschen Bundestag: "Dass beim einzigen verbliebenen ehemaligen Grenzbahnhof in Probstzella jetzt die Bagger für den Abriss bereitstehen, weil das Geld nicht reicht, um ihn winterfest zu machen, ist sehr bedauerlich. Noch ist er zu retten. Ich hoffe, dass das gelingt, weil er einer der authentischen Orte ist, an denen man die Teilung Deutschlands auf ganz besondere Art und Weise sehen, erleben und nachempfinden kann. Deswegen hoffe ich sehr, dass der Abriss noch verhindert werden kann." Laut Sitzungsprotokoll: "Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP".

Zahlreiche Kollegen verschiedener Fraktionen sprechen sich im Anschluss gegenüber Frau Göring-Eckardt für einen Erhalt des Bahnhofs aus.

Noch am gleichen Tag bittet die Vizepräsidentin schriftlich Staatsminister Neumann dringend um Unterstützung: Der Grenzbahnhof Probstzella sei "ein unverzichtbarer Teil der nationalen Gedenklandschaft".

18. November 2008

Mit neuer Hoffnung spricht der Vorsitzende des Fördervereins Grenzbahnhof-Museum, Jörg Pabst, in der Thüringer Staatskanzlei mit dem Abteilungsleiter Grundsatzfragen, Klaus von der Weiden, über das Projekt. Herr von der Weiden erklärt sichtlich gutwillig, dass man noch einmal über eine Unterstützung des Vorhabens nachdenken wolle, wobei auch der Bund gefragt sei. Daraufhin schreibe ich am 21. November erneut an Staatsminister Neumann und bitte, den Abriss in letzter Minute zu verhindern.

2. Dezember 2008

Bundestags-Vizepräsidentin Göring-Eckardt schreibt an Thüringens Ministerpräsidenten Althaus: "Seit gestern rollen die Abrissbagger. (...) Ich bitte Sie, eine mögliche Finanzbeteiligung des Landes Thüringen für die Erhaltung des Grenzbahnhofs als nationalen Gedenkort noch einmal zu überprüfen."

Zwei Tage darauf verweist Dieter Althaus in seinem Antwortschreiben allein auf den Ablehnungsbescheid des Thüringer Kultusministeriums und den Vorschlag, "zum Beispiel die Dokumentation des Grenzortes und seiner Geschichte zu unterstützen". Da sind die erträumten Museumsräume bereits zerstört.

22. Dezember 2008

Staatsminister Neumann antwortet der Bundestags-Vizepräsidentin: "Ich habe für den Erhalt des früheren Grenzbahnhofs durchaus Sympathien und daher mein Haus gebeten, noch einmal mit dem Land Thüringen mögliche Lösungen zu erörtern. Da sich aber der Freistaat Thüringen gegen eine finanzielle Beteiligung am Erhalt des Bahnhofes ausgesprochen hat, habe auch ich nicht die Möglichkeit, hier helfend einzugreifen."

Goodbye, Probstzella

2. März 2009

Aus Probstzella erzählt mir Dieter Nagel am Telefon, das Kontrollgebäude sei fast vollständig verschwunden. Nur ein kleiner Schutthaufen sei noch da. Man siebe die letzten Teile des Fundaments. Dann wolle man Muttererde aufschütten und Gras drüber wachsen lassen.

Und dann wird man bald eine Legende erfinden, denke ich: Der letzte DDR-Grenzbahnhof war der Nachwelt einfach nicht als Gedenkort zu erhalten, beim besten Willen nicht. So wie man heute behauptet, in der Euphorie des Mauerfalls habe niemand daran gedacht, auch nur hundert Meter der Ost-Berliner Grenzsperranlage im Originalzustand zu bewahren.

Ex-Bundeskanzler Willy Brandt hatte bereits am 10. November 1989 angeregt, "ein Stück von jenem scheußlichen Bauwerk" als Erinnerung stehen zu lassen. Die Autorin Freya Klier sagt, sie habe Anfang der neunziger Jahre Kniefälle gemacht vor dem Regierenden Bürgermeister Berlins, Eberhard Diepgen (CDU), "mit der Bitte, den Abriss nicht zu überstürzen, sondern erstmal ein Mauer-Gedenkkonzept zu entwickeln". Vergebens. So wie sie auch vergeblich Ministerpräsident Althaus um den Erhalt des Grenzbahnhofs Probstzella gebeten hat.

Leider habe man nicht genügend Geld gehabt, wird es heißen. Wofür man gleichzeitig viel Geld hat: Für 27 Millionen Euro von Bund und Land sollen an der Berliner Mauergedenkstätte Bernauer Straße neben einem neuen Informations-Pavillion "erhaltene Spuren der Grenzanlage, etwa der Postenweg, sichtbar gemacht" werden. Zehn Millionen Euro Bundesgeld darf das Einheitsdenkmal auf dem Berliner Schloßplatz kosten. (Daneben bauen wir uns ein Schloss, 480 Millionen Euro bewilligte der Bundestag dafür.)

Drei Millionen Euro stellen Land und Bund für die geplante Dauerausstellung in der Gedenkstätte Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen zur Verfügung. 525.000 Euro hat das Thüringer Wirtschaftsministerium im Dezember 2008 bewilligt für ein neues Empfangsgebäude am Grenzlandmuseum Teistungen. Für 300.000 Euro von Land und Bund stellt man von Mai bis November dieses Jahres fünf begehbare Würfel mit einer Sonderausstellung neben das Thüringer Grenzmuseum Point Alpha.

Für das gleiche Geld hätte Deutschland ein Grenzbahnhof-Museum. Auch die 90.000 Euro für Probstzellas neue Parkplätze hätten für das Museum gereicht, wenn es genügend helfende Hände zur Sanierung des 400 Quadratmeter großen Kontrollbereiches gegeben hätte.

Im sachsen-anhaltinischen Hötensleben, so erzählte mir Dieter Buchwald, seit 1990 CDU-Bürgermeister des Ortes, hatte eine Bürgerinitiative im Januar 1990 beantragt, die Grenzsperranlagen am Ortsrand zu erhalten. Bürgermeister Buchwald unterstützte das Vorhaben. 40.000 D-Mark Zuschuss gab die Gemeinde, später kamen Gelder von Kreis und Land.

Einwohner protestierten und sammelten mehr als 400 Unterschriften gegen die Mauer vor der Haustür. "Das haben wir lange genug gesehen", hieß es auch dort, "alles Quatsch, wer will das überhaupt angucken!"

Dieter Buchwald blieb unbeirrt. Und wurde 1994 mit sechzig Prozent wiedergewählt. Heute ist in Hötensleben eines der bekanntesten Grenzmuseen, mit einer der letzten echten Sperranlagen.

Warum eigentlich, frage ich mich, hat kaum ein Einwohner Probstzellas dem Förderverein Hilfe angeboten? Liegt es auch daran, dass man demütigende Erfahrungen verdrängen will? Die Leute in Probstzella wurden durch die GÜST über Jahre hinweg täglich damit konfrontiert, dass sie unfrei leben, dass sie der staatlichen Gängelei ohnmächtig ausgeliefert sind. Ein Museum würde zu einer erneuten Konfrontation führen, der viele aus dem Weg gehen. Andere möchten nicht an ihr eignes Mitlaufen oder Mittun erinnert werden.

Nein, der Abriss des Kontrollgebäudes auf dem Grenzbahnhof Probstzella war kein unabwendbares Schicksal. Es gab Gründe. Verzagtheit, Gleichgültigkeit, Dummheit - nicht nur in Probstzella. Egoismus, Ignoranz und Kalkül. Es gibt Verantwortliche.

Nach einer Lesung im Saalfelder Böll-Gymnasium erzählte ich im Herbst 2008 den versammelten Neuntklässlern von der Idee eines DDR-Grenzbahnhof-Museums in ihrem Heimatkreis. Ich fragte, wer denn bereit wäre, dort mit Schaufel und Pinsel zu helfen. Nahezu alle Hände gingen hoch.

Am Jahresende 2008 hat die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gemeinsam mit der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen- Thüringen 13.500 Euro bewilligt für eine Ausstellung zum Grenzbahnhof Probstzella. Die könnte man ja nun, vielleicht mit Hilfe der Saalfelder Schüler, im alten Bahnhofsgebäude unterbringen, gleich neben der großen Rasenfläche.

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