Datenschutzbericht:Exorzismus ohne Erfolg

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Lidl, Bahn & Co. praktizieren das, was der Staat ihnen vormacht: exzessive Überwachung. Das dicke Buch des Datenschutzbeauftragten hilft da nichts - die Politik muss die Gesetze überprüfen.

Heribert Prantl

Alle zwei Jahre versucht der Bundesdatenschutzbeauftrage eine Art Exorzismus. Er schreibt ein dickes Buch und streckt es dann dem Staat und den Privatunternehmen mahnend entgegen. Bei jedem Mal wird sein Buch dicker, der Exorzismus beschwörender. Aber es hilft nichts; die Gefahren werden immer größer.

Ob Staat oder Wirtschaft: Deutschland wird überwacht. (Foto: Foto: dpa)

Die Szenerie gemahnt an die, die Dali von der Versuchung des Heiligen Antonius gemalt hat. Der Antonius des Datenschutzes heißt Peter Schaar, und man muss fast Mitleid haben, wenn man sieht, auf welch verlorenem Posten er steht. Es gibt eine große Allianz wider den Datenschutz, und jedes Mitglied verweist auf seine Sicherheitsinteressen.

Rigorose Selbstverständlichkeit

Was für den Staat der Terrorist ist, das ist für Lidl, die Bahn oder den Drogeriemarkt Müller der ungetreue Mitarbeiter. Der Staat hat, um der terroristischen Gefahr zu begegnen, die Kontrolle seiner Bürger massiv verschärft; Lidl, Bahn & Co haben, um der Gefahr von Untreue zu begegnen, die Kontrolle ihrer Mitarbeiter unanständig ausgebaut.

Die Privaten praktizieren das, was der Staat ihnen vormacht: Lauschangriff, Videoüberwachung, Computerkontrolle. Sie tun das mit der rigorosen Selbstverständlichkeit, die ihnen die Politik gelehrt hat.

Vom Stolz auf Bürger- und Freiheitsrechte ist dort immer weniger zu spüren, seitdem ein ungeschriebenes "Grundrecht auf Sicherheit" zum Supergrundrecht aufgestiegen ist. Es hat ein eingebautes Blaulicht, alle anderen Grundrechte sollen beiseite springen.

Dieser Geist der inneren Sicherheit strahlt aus auf die Privatunternehmen: Was Schily und Schäuble recht ist, halten Mehdorn & Co für billig. Die Warnschilder des Datenschutzes sind daher verblasst, die Hürden gegen Ausforschung weggeräumt.

Traditionen der Freiheit

Es sind ja immer gute Zwecke, die staatliche Eingriffe in Grundrechte angeblich erforderlich machen: Erst war es der Kampf gegen die RAF, dann gegen die organisierte Kriminalität, dann gegen den islamistischen Terrorismus und schließlich gegen die Kinderpornographie. Wer kann dagegen schon etwas haben?

So folgt Gesetz auf Gesetz, auf die Vorratsdatenspeicherung der Eingriff in die Computer. Das Verfassungsgericht kommt mit seinen Korrekturen gar nicht mehr hinterher. Es versucht, sich redlich um die Grund- und Freiheitsrechte zu kümmern; Legislative und Exekutive kümmern sich um deren Einschränkung.

Es ist höchste Zeit, die Sicherheitsgesetze zu evaluieren: Es sollte eine Kommission eingesetzt werden, die klärt, welchen Gewinn an Sicherheit die zahlreichen Einschränkungen der Freiheit eigentlich erbracht haben. "Wenn wir in der Selbstverständlichkeit übereinstimmen, dass es eine Welt ohne Risiken nicht gibt - welche und wie viele Risiken sind wir bereit zu tragen, um die Traditionen der Freiheit zu bewahren, die unsere Kultur seit der Aufklärung kennzeichnen?" So fragt Winfried Hassemer, bis vor kurzem Bundesverfassungsrichter, in seinem jüngsten Buch. Er könnte die Kommission leiten, die nach Antwort sucht.

© SZ vom 22.04.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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