Das Christentum als Weltreligion:Die Glaubensmacht

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Die Welt tickt im Takt der Zeitrechnung Papst Gregors, sie wirtschaftet mit calvinistischem Fleiß und sie feiert auch in Japan Weihnachten: Das Christentum ist zur erfolgreichsten Idee der Welt geworden. Heute ist es jene Religion, die am ehesten der Globalisierung eine globale Ethik zur Seite stellen, die im Zeitalter der weltweiten Konflikte den Frieden fördern kann.

Matthias Drobinski

Am Anfang des Christentums steht das Scheitern. Ein Mann quält sich auf einen Hügel vor den Toren Jerusalems. Der heißt Golgatha, Schädelstätte. Brutal und schändlich endet das Leben des Wanderpredigers Jesus von Nazareth, der von sich gesagt hat, er habe einen Vater im Himmel; von dem die Leute erzählen, er habe Kranke geheilt und Dämonen ausgetrieben. Es gibt kaum eine schrecklichere Hinrichtung als die Kreuzigung. Sie soll nicht einfach einen Menschen vom Leben zum Tode befördern. Sie soll ihm möglichst lange Qualen bereiten, sie soll ihn schänden. Wer so stirbt, ist nicht nur tot, er ist vernichtet.

Der Glaube an den erniedrigten Gott ist die erfolgreichste Religion der Menschheitsgeschichte geworden. Vor allem Ostern geht - viel mehr als Weihnachten - an die Wurzel des Christentums. (Foto: Foto: ddp)

Dann aber geschieht das Unerhörte, Skandalöse: Die Anhänger dieses Jesus, einige Dutzend nur, erzählen, ihr Meister sei von den Toten auferstanden. Eine abstruse Behauptung, geeignet vielleicht, ein paar religiös Entflammte in Jerusalems staubiger Umgebung zu binden.

Und doch ist der Glaube an den erniedrigten Gott die erfolgreichste Religion der Menschheitsgeschichte geworden.

Allein der katholischen Kirche gehören 1,2 Milliarden Menschen an, und es werden jeden Tag mehr, aller Christenangst vor dem Islam zum Trotz. Südkorea ist innerhalb von 50 Jahren ein christliches Land geworden, und auch in Afrika treten mehr Menschen dem Christentum bei als dem Islam. Die Säkularisierung Westeuropas und Nordamerikas ist aus globaler Perspektive eine Ausnahmeerscheinung; auch dort werden die christlichen Kirchen die größten Institutionen bleiben, werden die Menschen mit dem christlichen Werte- und Zeichenvorrat leben. Die Welt tickt im Takt der Zeitrechnung Papst Gregors, sie wirtschaftet mit protestantischem Fleiß, sie feiert auch in Japan Weihnachten. Als Präsident George W. Bush vor fünf Jahren den Angriff auf den Irak verkündete, berief er sich auf das christliche Abendland, so wie Papst Johannes Paul II. im Namen Jesu gegen diesen Krieg protestierte.

Dass das Christentum zur erfolgreichsten Idee der Welt wurde, haben die Christen als Wunder angesehen und auf die Gnade Gottes und das Wirken des Heiligen Geistes zurückgeführt. Skeptiker führten den Zufall ins Feld: Was wäre gewesen, wenn Paulus der neuen Religion nicht die globale Perspektive verpasst hätte? Was, wenn die Türken vor Wien nicht ein paar militärische Fehler gemacht hätten? Die Soziologen und Historiker wiederum haben herausgearbeitet, dass das Christentum zur richtigen Zeit mit den richtigen Themen kam: Die alten Götter verblassten, die kultische Verehrung der Antike für Macht, Schönheit und Erfolg stieß an ihre Grenzen. Die neue Religion sprach mit ihrer Sozialverantwortung, mit ihrer Wertschätzung von Kindern, Familie und Treue die Frauen an, ohne die eine Religion nie funktionieren kann, sie war solidarisch mit den Armen und arrangierte sich dann doch mit der Macht. Und sie war über die Jahrhunderte hinweg erstaunlich flexibel, integrierte aufklärerische Gedanken und sozialistische Forderungen, die Menschenrechtsidee, den Feminismus und die Männerbewegung.

Einleuchtende, aber letztlich nicht befriedigende Erklärungen. Es ist wohl tatsächlich der Triumph der Auferstehung über den Kreuzestod, der das Christentum so stark gemacht hat: Der erniedrigte Gott überwindet den Tod. Er leidet mit den Menschen, und selbst der Feind ist ihm der Nächste. Deshalb sind für einen Christen Leid und Tod nicht das Letzte im Leben, ihr Gott verpflichtet sie zu Mitleid und Nächstenliebe. Zu Recht hat der Philosoph Friedrich Nietzsche so wütend gegen dieses Christentum geschrieben - sein Gedanke vom Übermenschen, der sich selbst zum Maßstab macht, ist der Gegenentwurf zu diesem Gottesbild.

Die Christen und vor allem ihre Führer haben diesen Gott des Schwachen und Gebrochenen millionenfach verraten: in den Kreuzzügen und Ketzerverbrennungen, in den antisemitischen Hofpredigten und den "Gott mit uns"-Ansprachen der Militärgeistlichen, im vermessenen Anspruch, der Menschen Herzen und Hirne besitzen zu können. Aber trotzdem ist es den Hasspredigern nie gelungen, die Propheten des mitleidenden Gottes auszurotten. Sie leben und werden verehrt, Franz von Assisi wie Dietrich Bonhoeffer.

Die Erfolgsgeschichte des Christentums ist eine Geschichte der Schuld: Jede Religion hat ihre Abgründe und dunklen Seiten. Sie ist aber gleichzeitig eine Geschichte der Bewährung. Heute ist das Christentum jene Religion, die am ehesten der Globalisierung eine globale Ethik zur Seite stellen, die im Zeitalter der weltweiten Konflikte den Frieden fördern kann.

Kraft im Scheitern

Denn tatsächlich sind die weltweiten Konflikte auch Religionskonflikte. Die Erschütterungen dieser globalen Beben sind bis nach Deutschland zu spüren: Jüdische Gesprächspartner sagen die Teilnahme am Katholikentag ab, weil Papst Benedikt XVI. in der wieder zugelassenen tridentinischen Messe für die Bekehrung der Juden beten lässt. Und in allen großen Städten des Landes gibt es Streit mit den Muslimen um Moscheebau und Religionsunterricht, Kopftuch, Zwangsheirat. Der Islam sucht seinen Platz im Land, und es steigt die Zahl der Muslime, die nichts mehr von ihrer christlichen Umwelt erwarten, es steigt auch die Zahl der christlichen Islamhasser.

Beide Konflikte gehören in all ihren Unterschieden zusammen. Die Auseinandersetzung um die Karfreitagsbitte zeigt, dass die Gewaltgeschichte des Christentums gegenwärtig ist. Wenn der Papst wieder erlaubt, dass am Karfreitag in (zugegeben: wenigen) katholischen Kirchen indirekt doch wieder für die treulosen Juden gebetet wird, dann fördert er nicht einfach eine altehrwürdige Messform. In der alten Karfreitagsbitte schwingen die Schreie der Juden mit, die in den mittelalterlichen Pogromen erschlagen wurden, in ihr vibriert der theologische Antijudaismus. Wer das nicht spürt, trennt die christliche Geschichte der Bewährung von der Geschichte des Versagens.

Die Auseinandersetzung um den Platz der Muslime in Deutschland wiederum geht um die gemeinsame Zukunft der Religionen, darum, ob es gelingt, eine neu auftretende, durchaus schwierige Religion zu integrieren (ohne dabei naiv zu werden). Die Christen könnten dies mit mehr Gelassenheit angehen: Es gibt Probleme, aber es stehen keine Türkenheere vor Wien, es droht nicht die Islamisierung des Landes. Auch im Verhältnis zu den Muslimen gilt: Die Stärke des Christentums ist die Solidarität mit den Schwachen. Sie gilt nicht dem saudischen Königshaus, wohl aber den Menschen, die in der Fremde eine Heimat suchen.

Ostern geht, viel mehr als Weihnachten, an die Wurzel des Christentums. Es ist das Fest, das an den Triumph des Erniedrigten erinnert, an die Stärke des Gebrochenen, die Kraft des Mitleidens. Weihnachten ist niedlich, Ostern lässt den Zusammenhang von Religion und Gewalt spüren. Das Fest macht empfindlich für die Opfer, das Leid. Und es verbreitet Zuversicht: Gerade in der Schwäche und im Scheitern liegt die Kraft zum Jubel am Ostermorgen. Eine Weisheit nicht nur für fromme Christen.

© SZ vom 22.03.2008/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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