CSU:Stoibers Wahlkampf-Strategie in der Kritik

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Die CSU hat bei der Bundestagswahl in Bayern 49,3 Prozent der Stimmen erzielt - und damit die magische Grenze von 50 Prozent unterschritten. Entsprechend hagelte es Kritik am Wahlkampf. In die Schusslinie geriet dabei vor allem Parteichef Edmund Stoiber.

Peter Fahrenholz und Kassian Stroh

Bayerns Wirtschaftsminister Otto Wiesheu ist ein Mann mit ziemlich niedrigem Flammpunkt. Als er, von Journalisten umringt, am Wahlabend nach den Ursachen für das Wahldebakel der Union gefragt wird, bricht es aus Wiesheu heraus: "Da sind eine Reihe von Fehlern gemacht worden." Gedrängt von Nachfragen will Wiesheu schon anfangen aufzuzählen, bricht dann aber doch ab. "Na, heute nicht", winkt er ab.

Der Schock des Wahlergebnisses steht Edmund Stoiber ins Gesicht geschrieben (Foto: Foto: Reuters)

Was Wiesheu ganz offen ausspricht, deuten andere nur vorsichtig an. Über die Ursachen für die gravierenden Verluste der CSU müsse gründlich nachgedacht werden, sagen etwa Fraktionschef Joachim Herrmann oder Landtagspräsident Alois Glück.

Nun sei "schon ein bisschen mehr Selbstkritik nötig als sonst", fordert der einstige Justizminister Alfred Sauter - auch wenn das eigentlich kein Markenzeichen der CSU sei. Bei der gestrigen Sitzung des Parteivorstands scheint eine solche Analyse denn auch nicht betrieben worden zu sein. Man habe vor allem über die bundespolitischen Konstellationen diskutiert, berichten Teilnehmer.

"Da wird man wieder alles schön reden"

Nur eines hat man zur autosuggestiven Selbstberuhigung festgestellt: Dass die CSU 55 Prozent der Erststimmen geholt habe, zeige doch, wie fest verankert sie im Freistaat sei, ist die Lesart der CSU - auch wenn jeder bayerische Schüler in der ersten Stunde Sozialkundeunterricht lernt, dass die Zweitstimme über die Kräfteverhältnisse im Parlament bestimmt. Das wussten immerhin die vielen bayerischen Wähler, die aus Sicht der CSU aus taktischen Gründen zur FDP hinüberwechselten.

Ob auch landespolitische Gründe das Wahlergebnis beeinflusst hätten - eine Frage, die am Wahlabend etwa Glück umtrieb -, wurde vom CSU-Vorstand nicht beantwortet. Schon vor dessen Sitzung hatte der Fraktionsvize Max Strehle befürchtet: "Da wird man wieder alles schön reden. Damit ist es aber nicht getan. Die Dinge müssen auf den Tisch."

Mit Sorge blickt manch Abgeordneter auf das Jahr 2008, wenn in Bayern Kommunal- und Landtagswahlen anstehen. Denn das Ergebnis vom Sonntag ist deprimierend: Die drittstärkste Partei im Bund wollte die CSU werden, nach CDU und SPD - und wurde die schwächste Kraft im neuen Bundestag. "50 Prozent plus ein kräftiges X" wollte sie holen - es wurden 49,3Prozent. Die magische 50er-Grenze unterschritten zu haben, ist für viele ein Warnsignal.

CSU-Generalsekretär Markus Söder redete das CSU-Ergebnis nach Meinung von Parteifreunden schön (Foto: Foto: dpa)

Über die Wahlkampagne der Union wird in der CSU eine Debatte in Gang kommen, so viel ist sicher. "Wir haben keinen Fehler ausgelassen", sagt ein Mitglied des Präsidiums. In den Blickpunkt gerät dabei auch Generalsekretär Markus Söder, der den Wahlkampf zu verantworten hatte. Wie der noch am Wahlabend das Neun-Prozent-Minus als großen Sieg der CSU verkaufen wollte - "dümmlicher geht's nicht", ereifert sich ein Landtagsabgeordneter.

Aus Sicht der CSU-internen Kritiker hat alles Unglück mit der Mehrwertsteuererhöhung angefangen. Vergebens hatte etwa Wiesheu im CSU-Präsidium gegen die Maßnahme argumentiert: Das sei politisch falsch und wahlpsychologisch schädlich. Das haben auch am Wahlabend viele so gesehen. "Wir können uns doch nicht sieben Jahre lang als Steuersenkungspartei inszenieren und dann als erstes eine Steuererhöhung beschließen", sagt ein Vorstandsmitglied.

Wirtschaftswahlkampf ohne Kopf

Andere räsonieren darüber, dass es doch ein völliger Irrsinn sei, auf Wahlveranstaltungen vor Tausenden Zuhörern die komplizierten Gründe für die Mehrwertsteuererhöhung zu erklären, das verstehe doch kein Mensch. Überhaupt die Steuerpolitik, die machen nun viele für das Debakel verantwortlich. Wie die Kirchhofschen Pläne mit der Union zusammenpassen, sei den Menschen nicht mehr zu erklären gewesen, heißt es aus der Partei.

Zu den kapitalen Fehlern der Wahlstrategie hat, und das macht für die CSU die Analyse so schmerzhaft, der eigene Parteichef gehörig beigetragen. Mit seiner Weigerung, seine künftige Rolle klar zu benennen, hat Edmund Stoiber aus Sicht seiner Parteifreunde für große Verunsicherung gesorgt und jenes Vakuum erzeugt, unter dem die Union wochenlang gelitten hat: Einen reinen Wirtschaftswahlkampf zu führen, ohne einen Kopf für Wirtschaft und Finanzen anbieten zu können.

Stoiber selbst, so sehen es viele, hätte diese Rolle besetzen müssen. Ein CSU-Präside formuliert es am Wahlabend süffisant: "Da darf man nicht abwarten, was auf der Karte steht und dann a la Carte essen wollen. Weil dann vielleicht bestimmte Gerichte gar nicht mehr auf der Karte stehen." Ein anderer will lieber auch nicht namentlich zitiert werden mit seiner Analyse: "Der Stoiber hätte uns doch den Kirchhof komplett ersparen können."

Stoiber hat diese Stimmung auf dem CSU-Parteitag vor zwei Wochen zu spüren bekommen, und sie ist ihm offenbar unter die Haut gegangen. Bei seiner Wiederwahl zum CSU-Chef musste er einen schmerzhaften Dämpfer hinnehmen. Von da an, so berichten Vertraute, sei Stoiber auf einmal zum Sprung nach Berlin entschlossen gewesen. Doch da war die Kampagne der Union längst aus dem Ruder gelaufen.

"Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium"

Nun muss sich der Ministerpräsident schlechter Stimmung an der Basis erwehren. "Ich bin stockgeladen", sagt ein Landtagsabgeordneter; auch bei vielen Kollegen sei die Stimmung "am Kochen". Mit einem "Eiertanz ohnegleichen" habe der Ministerpräsident den Wahlkampf torpediert. Stoiber solle nun bitte, wenn irgend möglich, nach Berlin gehen, gibt er dem Parteichef mit auf den Weg, "und sei es als Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium".

Noch aber sind das einzelne Heckenschützen, die anonym bleiben wollen. Offene Kritik gibt es nur vereinzelt: "Es muss wieder intensiver bei uns diskutiert werden", fordert etwa die Parteivize Barbara Stamm. In der CSU dürften nicht "nur einige wenige" darüber entscheiden, welche Strategie gefahren werde.

Das heiße aber nicht, dass sie den Parteivorsitzenden untergraben wolle, sagt Stamm. Da gebe es niemandem im Vorstand, der das wolle, beteuert sie. Ihr Wunsch ist zumindest am Montag in Erfüllung gegangen. Er habe in den letzten Jahren keine derart ausführliche Debatte im Parteivorstand erlebt, erzählt Landtagspräsident Alois Glück.

Es war kurz nach halb zwölf, als Stoiber am Sonntag bei den letzten Verbliebenen der CSU-Wahlparty in München vorbeischaute. Nach einem kurzen Wort zum Wahlsonntag zog er sich mit seinen Getreuen zurück, gab der Anhängerschaft zuvor aber noch eines mit: Die Situation sei kompliziert. Deshalb wünsche er allen nun "gute Analysen". Die fangen bei der CSU erst an.

© SZ vom 20.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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