Chronologie:"Nieder mit der SED, nieder mit den Sowjets"

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Die blutige Niederschlagung des Aufstandes zerstörte innerhalb weniger Stunden die Hoffnung der Menschen der DDR nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen und freien Wahlen - eine Chronologie

Grund für die Rebellion war der Aufbau des Sozialismus streng nach sowjetischem Vorbild. Auch der eingeschlagene liberalere Kurs der DDR-Regierung nach dem Tod Stalins im März des Jahres konnte den Zorn nicht stoppen.

Zwischen 400.000 und über eine Million Bürger gehen auf die Straße. Mindestens 125 Menschen sollen ums Leben gekommen sein. Der Ablauf des Aufstandes:

3. Juni 1953: Wegen der spürbaren Unzufriedenheit in der DDR zitiert die Sowjetführung die SED-Spitze nach Moskau. Bei dem Treffen wird Parteichef Walter Ulbricht eindringlich zur Kurskorrektur aufgefordert. Der im Sommer 1952 beschlossene beschleunigte Aufbau des Sozialismus wird als schwerwiegender Fehler bezeichnet.

4. Juni: Im Eisleben Kohlebergwerk südlich des Harzes streiken die Arbeiter aus Protest gegen die Normerhöhungen. Die örtliche Parteileitung gibt nach - es kann nach den alten Normen weitergearbeitet werden.

9. Juni: Im Stahlwerk Hennigsdorf bei Berlin treten rund 2000 Beschäftigte in den Streik. Die Werksleitung stellt 1000 Ostmark Prämie für die Benennung von "Rädelsführern" in Aussicht. Fünf Streikende werden von der Staatssicherheit verhaftet. Am folgenden Tag gehen die Proteste weiter und die örtliche Parteileitung gibt schließlich nach: Die Gefangenen kommen frei, die Normerhöhungen werden zurückgenommen.

12. Juni: In Ostberlin wird auf der Baustelle "Block C-Süd" der Stalinallee gegen Mittag eine Normerhöhung um zehn Prozent verkündet. Die Arbeiter diskutieren empört mit den Funktionären und streiken schließlich kurzzeitig.

14. Juni: Im Neuen Deutschland erscheint ein Artikel, der sich gegen die "Holzhammermethoden" des SED-Funktionärs Bruno Baum von der SED-Bezirksleitung Berlin richtet. Baum gilt als treuer Gefolgsmann von SED-Chef Walter Ulbricht; der Artikel wird deshalb als indirekte Kritik an Ulbricht aufgefasst.

15. Juni: Auf den Baustellen der Stalinallee in Ostberlin legen große Teile der Arbeiter am Morgen die Arbeit nieder. Es wird zum Streik aufgerufen und die Rücknahme der "freiwilligen" zehnprozentigen Normerhöhung gefordert. Im Verlauf des Tages schließen sich weitere Betriebe und Baustellen in der Stadt dem Streik an.

16. Juni: In der Zeitung Tribüne ein Artikel, der die bereits Ende Mai vom DDR-Ministerrat beschlossene zehnprozentige Normenerhöhung ohne entsprechenden Lohnausgleich ausdrücklich rechtfertigt. Dieser Beitrag verstärkt den Willen der Arbeitnehmer, den Streik gegen diese Regierungsmaßnahme fortzuführen.

Die Bauarbeiter der Stalinallee in Ost-Berlin legen ihre Arbeit nieder und ziehen in Richtung Regierungsviertel. Gegen 14.00 Uhr kommt der auf über 5000 Demonstranten angewachsene Zug am Haus der Ministerien in der Leipziger Straße an. Zur gleichen Zeit nimmt das Politbüro der SED die umstrittene Normenerhöhung zurück.

Der Beschluss bleibt bei den Demonstranten jedoch ungehört. Sie rufen stattdessen zum Generalstreik am nächsten Tag auf. Der West-Berliner Rundfunksender RIAS informiert alle seine Hörer im geteilten Berlin über die Ereignisse und verbreitet die Forderung nach Streik.

17. Juni: Von 7.00 Uhr an wird in fast allen Betrieben Ost-Berlins gestreikt. Am Strausberger Platz und am Alexanderplatz formieren sich erste Demonstrationszüge. Über 40.000 Menschen ziehen mittags durch die Straßen Ost-Berlins. Allmählich fahren im Stadtzentrum sowjetische Panzer auf, um den Aufstand der Arbeiter zu zerschlagen.

Die sozialen Forderungen haben längst eine politische Bedeutung erreicht - "Nieder mit der SED!" und "Nieder mit den Sowjets!" ruft die aufgebrachte Menge. Die Streikwelle greift schnell auf andere Bezirke der DDR über, so auf Leipzig, Magdeburg, Halle, Bitterfeld und Jena, und weitet sich schließlich auf das ganze Land aus. Über Ost-Berlin und fast alle Land- und Stadtkreise der DDR wird um 13.00 Uhr der Ausnahmezustand verhängt.

Jede Demonstration und Ansammlung von mehr als drei Menschen ist verboten. Gegen 13.30 Uhr eskaliert die Situation in Ost-Berlin - sowjetische Einheiten und Polizisten der Volkspolizei rücken gewaltsam gegen über 100.000 Demonstranten vor.

Im Regierungsviertel fahren Panzer in die Menschenmenge hinein, Schüsse fallen, es gibt zahlreiche Tote und Verletzte. Die Stalinallee wird geräumt, das Regierungsgebäude in der Leipziger Straße wird abgeriegelt. Am späten Nachmittag sind die großen Demonstrationen blutig zerschlagen.

Um 17.00 Uhr wird im Rundfunk eine Regierungserklärung von Ministerpräsident Otto Grotewohl übertragen, in der er zur Wiederherstellung der Ordnung aufruft.

Trotz des Ausnahmezustands kommt es bis zum Abend immer wieder zu Unruhen. Zwischen 21.00 und 5.00 Uhr morgens herrscht DDR-weit eine Ausgangssperre.

18. Juni: Auf den Straßen und Plätzen der Republik sind sowjetische Panzer und schwerbewaffnete Polizeikräfte zu sehen. An den großen Baustellen wird teilweise wieder gearbeitet. Einige noch streikende Bauarbeiter fordern, dass die SED-Führung öffentlich Stellung nimmt. Gegen die Streikführer setzt eine Welle von Verhaftungen ein, das erste Todesurteil wird vollstreckt.

19. Juni: Die DDR-Regierung verkündet, dass in allen Betrieben wieder gearbeitet wird. Tatsächlich gibt es aber vereinzelt noch Arbeitsniederlegungen. Die SED gibt erstmals "Ausschreitungen" in der DDR öffentlich zu und beschuldigt westliche Agenten und Provokateure der Anstiftung.

(sueddeutsche.de/dpa/AFP)

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