China:Prügel in Peking

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Häufig bleibt Chinesen, denen Ungerechtigkeit widerfahren ist, nur noch ein letzter Weg: Sie pilgern zur Petitionsstelle der Zentralregierung in Peking. Statt Gehör zu finden wurden dort jedoch in letzter Zeit Zehntausende Bittsteller von der Polizei eingesperrt und misshandelt.

Von Kai Strittmatter

Chinesen dürfen nicht frei wählen, und auch von den politisch kontrollierten Gerichten des Landes können sie oft nicht ihr Recht erwarten.

So bleibt vielen, denen Ungerechtigkeit widerfuhr, ein letzter Weg - derselbe, den schon ihre Vorfahren zur Kaiserzeit gingen: Sie pilgern als Bittsteller in die Hauptstadt Peking und hoffen, wie ihre Verfassung ihnen das zusichert, in der Petitionsstelle der Zentralregierung Gehör zu finden.

Tausende von ihnen ereilte in der ersten Septemberwoche offensichtlich ein anderes Schicksal: Die Polizei soll sie gewaltsam zusammengetrieben und in die Shijingshan-Sporthalle gesperrt haben, wo sie auf den Abtransport in ihre Heimatprovinzen warten.

Das berichteten am Donnerstag die in den USA ansässige Menschenrechtsorganisation "Human Rights in China" (HRIC) und Zeugen in Peking. "Viele sind brutal geschlagen und anderweitig misshandelt worden", behauptet HRIC.

Die Organisation berichtet von Bittstellern, die mit elektrischen Schlagstöcken ins Gesicht geschlagen oder bewusstlos geprügelt worden seien.

Die Übergriffe ereigneten sich dem Bericht zufolge vor allem bei Festnahmen an Demonstrationsorten wie dem Höchsten Gericht oder aber in den provisorischen Unterkünften der Leute.

Die Zahl der nach Peking reisenden Bittsteller ist in der letzten Zeit stark angeschwollen, manche campen im Süden der Stadt, es sind kleine Siedlungen entstanden. Dem HRIC-Bericht zufolge hat die Polizei bei ihren Aktionen Teile der Siedlungen zerstört.

HRIC spricht von mehr als 36.000 Menschen, die die Polizei in den ersten Septembertagen zusammengetrieben habe; diese Zahl kann jedoch nicht bestätigt werden. Ebenso ist unklar, ob die Aktion mit der bevorstehenden Plenartagung des KP-Zentralkomitees zu tun hat.

Viele Chinesen kommen nach Peking, weil ihnen im Zuge von Immobiliengeschäften der lokalen Behörden ihr Ackerland, ihre Häuser oder Wohnungen weggenommen wurden - das ist mittlerweile der Hauptgrund für Demonstrationen und Unruhen im ganzen Land.

Offiziellen Zahlen zufolge ist die Zahl von "Zwischenfällen mit den Massen" im vorigen Jahr um 15 Prozent auf 58.500 gestiegen. Derweil hat eine von der South China Morning Post veröffentlichte Umfrage des "Instituts für politische Entwicklung und Regierung" der Peking-Universität ergeben, dass mehr als zwei Drittel der befragten Akademiker und Forscher erwarten, dass soziale Unruhen die Wirtschaftsentwicklung Chinas bedrohen werden.

Noch vor der wachsenden Wohlstandskluft nennt die Studie die grassierende Korruption als den wichtigsten Faktor, der "mit hoher Wahrscheinlichkeit" noch vor dem Jahr 2010 soziale Unruhen auslösen könne.

© SZ vom 10.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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