Ceuta und Melilla:Sehr enge Maschen

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Der "Sprung nach Europa": Migranten am Grenzzaun der spanischen Enklave Ceuta. Dass er so inzwischen schwer überwindbar ist, schreckt offenbar ab. (Foto: dpa)

Über die Spanien-Route kommen weniger Flüchtlinge als im Vorjahr - Zäune wurden aufgerüstet.

Von Thomas Urban, Ceuta

"Die Grenze ist dicht, hier kommt niemand mehr durch", sagt nicht ohne Stolz der Kommandant des Kontrollpunktes auf der Avenida Martínez Catena, der Straße von der spanischen Exklave Ceuta in Nordafrika nach Marokko. Nach rechts zieht sich der Grenzzaun auf einen Bergrücken, den eine Burg krönt. Im Grenzstreifen stehen drei Zaunreihen, sechs Meter hoch mit engen Maschen; Rollen von Nato-Draht sollen vor allem Immigranten aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara hindern, auf das spanische Territorium zu gelangen und somit in die Europäische Union. Im vergangenen Jahr wurden die Grenzanlagen weiter aufgerüstet: Bewegungsmelder, verbunden mit starken Scheinwerfern an fast allen Abschnitten.

Der Aufwand hat sich aus der Sicht der spanischen Regierung im fernen Madrid gelohnt: Nur noch durchschnittlich 100 "Grenzverletzer" pro Monat wurden seit Jahresanfang registriert. Ein Teil der jungen Afrikaner kam in Lkws versteckt und wurde von Scannern an den Grenzübergängen entdeckt. Die meisten anderen nahmen den Weg über das Meer, mit kleinen Motorbooten, die sie in Marokko gekauft und manchmal auch entwendet haben.

Auch in der 300 Kilometer östlich gelegenen Hafenstadt Melilla, der zweiten spanischen Exklave an den afrikanischen Küsten des Mittelmeeres, wurde der Dreifachzaun an der Grenze zu Marokko ausgebaut. Nur noch etwa 15 Personen pro Monat schaffen seither "den Sprung über den Zaun", wie es die Afrikaner nennen.

2014 waren es mehrere Tausend. Bilder von Flüchtlingen mit Schnittwunden vom Nato-Draht gingen um die Welt. Überdies ertranken vor anderthalb Jahren in Sichtweite des Grenzzauns von Ceuta 15 Menschen, ihr Boot kenterte bei hohen Wellen in marokkanischen Gewässern. Die Küstenwachen beider Länder patrouillieren deshalb verstärkt.

Weil es so viele weniger sind, hat Madrid den rigiden Kurs gelockert

Das Versickern des Flüchtlingsstroms ist auch Ergebnis neuer Abkommen mit Marokko und Mauretanien, die sich verpflichtet haben, Migranten an ihren Grenzen zurückzuweisen. Über Madrids Gegenleistung schweigen sich die Politiker aus. Die marokkanische Polizei hat die meisten Lager in den Wäldern um Ceuta und Melilla aufgelöst, wo Afrikaner oft monatelang kampierten, um auf die Chance zum "Sprung nach Europa" zu warten. Nach Zeugenberichten ging die Polizei bisweilen überaus hart vor.

Hingegen bescheinigen die Bewohner des Flüchtlingslagers auf einem Hügel über Ceutas Marokkanerviertel den spanischen Behörden, sie korrekt zu behandeln. Über das Lager führt der EU-Kommissar für Migration und Inneres die Aufsicht, das europäische Sternenbanner weht neben der spanischen Fahne.

Circa 600 Afrikaner sind jetzt in der Siedlung aus Fertighäusern in einem Wäldchen untergebracht. Die Bedingungen sind deutlich besser als in den meisten Auffanglagern des Balkan. Die Migranten erhalten Sozialversicherungskarten für kostenlose medizinische Behandlung, haben Ausgang bis 23 Uhr. Eigentlich dürfen sie nicht arbeiten, doch die Polizei schaut weg, wenn sie als Autowäscher oder Parkplatzwächter einige Euro verdienen.

Große Mehrheit aus Mittelstandsfamilien

Knapp 22 Jahre alt sind sie im Durchschnitt, die meisten sind Muslime, jeder fünfte hat die Universität abgeschlossen oder ein Studium begonnen. Die freiwilligen Sozialarbeiter, die die Afrikaner betreuen, sagen, die große Mehrheit komme aus Mittelstandsfamilien, fliehe eher nicht vor blanker Armut. Die meisten verfügen über teure Smartphones, tragen Markenturnschuhe und holen Geld an einem Transferbüro ab.

Fünf, sechs Monate verbringen sie in der Regel im Lager. Die Daten der Einwanderungsbehörde sagen: Die meisten Migranten klagen über schlechte Karriereaussichten in der Heimat, kaum einer macht politische Repression geltend.

Kein Geld für Abschiebungen

Spanien hat mit einem Großteil der Länder südlich der Sahara Rückführungsabkommen geschlossen. Doch wird nach Erkenntnissen des karitativen Vereins Elín kaum jemand abgeschoben. Schwester Paula von Elín, die ihr Büro im Anbau des Karmeliterinnenklosters hat, sagt lakonisch: "Der Staat hat dafür derzeit kein Geld!" Elín möchte Anlaufpunkt für alle Immigranten sein, auch für Muslime.

Die katholische Diözese von Cádiz und Ceuta möchte ebenso beitragen, dass die Einwohner der Stadt sich gastfreundlich zeigen. Die Pfarrei Santa María de Africa lädt katholische Migranten regelmäßig zur Messe ein, einige bekommen vorübergehend kleinere Jobs. Ein Großteil der muslimischen Migranten nimmt am Freitagsgebet in der Sidi-Sebti-Moschee am Nordstrand teil; doch kümmere sich niemand in der islamischen Gemeinde speziell um sie, klagen manche junge Migranten.

Die Hälfte der 85 000 Einwohner Ceutas sind Muslime. Sie ignorieren die Einwanderer meist. Angriffe auf das Flüchtlingslager gab es nicht, Rangeleien oder gar Schlägereien zwischen Einheimischen und Migranten sind laut Polizei äußerst selten. Die Lagerleitung warnt immer wieder, jeder, der in Gewaltaktionen verwickelt ist, werde sofort abgeschoben.

Regierung lockert rigiden Kurs

Wegen der geringen Zahl von Immigranten hat die Regierung ihren früher rigiden Kurs gelockert. Afrikaner aus Ländern, die kein Rücknahmeabkommen mit Madrid haben, werden in kleinen Gruppen mit der Fähre aufs spanische Festland gebracht. Zwei, dreimal im Monat fahren 30 Personen mit der Fähre am Felsen von Gibraltar vorbei nach Algeciras. Jedes Mal begleitet ein Großteil der Zurückbleibenden in einem fröhlichen Zug durch die halbe Stadt die Reisenden zum Hafen.

In den Flüchtlingsheimen auf dem Festland geht es dann meist ziemlich schnell: Wer aufnahmebereite Verwandte oder Bekannte in anderen EU-Ländern nachweisen kann, erhält oft nach wenigen Tagen die Reisedokumente. Die Mehrheit gibt Frankreich oder Belgien als Ziel an, in den meisten Ländern südlich der Sahara wird Französisch gesprochen. Viele wollen auch in Spanien bleiben, sie finden erste Aufnahme in den Afrikanervierteln von Madrid und Barcelona. Doch ihre Aussichten auf Arbeit, geschweige denn Karriere sind sehr schlecht. In die Bundesrepublik will von ihnen nur eine Handvoll.

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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