CDU wird 70:Sieben Jahrzehnte Schwarz

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Heinz Schwarz war bei allen Bundesparteitagen der CDU dabei. Die Ohrfeige für Kiesinger hat er einst versäumt, dafür erinnert er sich an barbusige Tänzerinnen und die erste Wahl Adenauers.

Von Robert Roßmann, Berlin

Die Sprache klingt noch nach der alten Zeit - dabei wollen die Autoren nichts sehnlicher, als eine neue zu schaffen. "Deutsches Volk!" steht über ihrem Aufruf. Und die zwei Seiten darunter klingen kaum weniger pathetisch. "In der schwersten Katastrophe, die je über ein Land gekommen" sei, rufe man "aus heißer Liebe zum deutschen Volk" zum Aufbau einer neuen Heimat auf. "Die Vergottung eines verbrecherischen Abenteurers" habe Deutschland ins Chaos gestürzt. Um "den Weg der Wiedergeburt" zu schaffen, müsse man sich jetzt auf die "sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums besinnen". So steht es im Berliner Gründungsaufruf der CDU vom 26. Juni 1945.

Es dauerte zwar noch fünf Jahre, bis die CDU ihren ersten Bundesvorsitzenden wählte, aber für die Christdemokraten ist dieser Gründungsaufruf die Geburtsstunde der Partei. 70 Jahre ist die jetzt her. Am kommenden Montag lädt die CDU deshalb zu einem großen Festakt, Hauptrednerin wird Angela Merkel sein.

Die Kanzlerin kam allerdings erst im Oktober 1990 zur CDU. Bis 1989 stand die Mauer, dann machte Merkel noch einen Umweg über den Demokratischen Aufbruch. Wer die Geschichte der CDU aus eigenem Erleben beschrieben haben will, sollte deshalb lieber Heinz Schwarz zuhören.

Bundesparteitage anno dazumal: Mit Orchestermusikern im Theatergraben

Der Mann hat an allen 65 Bundesparteitagen der CDU-Geschichte teilgenommen. Er war 1950 bei der Wahl Konrad Adenauers zum ersten Parteivorsitzenden dabei. Und er hat Aufstieg und Fall von Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger genauso erlebt wie die Ära Helmut Kohl und den Aufstieg Merkels. 86 Jahre ist Schwarz inzwischen alt. Natürlich will er auch auf den nächsten Parteitag Anfang Dezember fahren. Nur einmal drohte die Serie ein Ende zu nehmen. 1960 hätte er wegen einer Angina fast nicht am Parteitag in Karlsruhe teilnehmen können.

Im Odeon-Theater von Goslar hielt die CDU ihren ersten Bundesparteitag ab. Zuvor existierte die Partei nur in Landesverbänden. (Foto: dpa)

Heinz Schwarz wurde am 24. Juli 1928 im rheinland-pfälzischen Weindorf Leubsdorf geboren. 1944 musste er noch als Luftwaffenhelfer in den Krieg. Wegen des Erlebten zog es ihn relativ schnell in die Politik. Am 16. Mai 1947 trat er in die CDU ein. Am 1. April 1949 wurde er hauptamtlicher Kreisgeschäftsführer der CDU Neuwied. "Das war eigentlich absurd, schließlich war ich noch nicht einmal wahlberechtigt", sagt Schwarz. Damals durfte man erst mit 21 wählen. 1950 fuhr er dann zum Gründungsparteitag der CDU. "Das Treffen war in Goslar, weil die Stadt von den Bomben weitgehend verschont geblieben war und sie nah an der Zonengrenze lag", sagt Schwarz. Das habe ein Symbol für die Verbundenheit der CDU mit den Deutschen in der DDR sein sollen.

Angeblich haben auch die guten Beziehungen Adenauers zum Vorsitzenden der CDU Goslar, Otto Fricke, eine Rolle gespielt. Der Parteitag fand jedenfalls im frisch renovierten Odeon-Theater statt. "Da sah man auf einmal all die Prominenz, die man vom Radio her kannte", sagt Schwarz. "Wir waren schon sehr beeindruckt." Adenauer wurde mit 90 Prozent der Stimmen zum ersten CDU-Vorsitzenden gewählt. Im Theatergraben spielten Orchestermusiker.

Aber was sind jetzt die größten Unterschiede zwischen damals und heute? Schwarz fallen da vor allem zwei Sachen ein. "In Goslar waren wir noch ein Männerverein", sagt er. "Es gab nur ganz wenige Frauen unter den Delegierten - die kamen aus der Sozialbewegung und trugen alle schwarze Garderobe bis zu den Knöcheln." Spätestens seit der Einführung des Frauenquorums auf dem Parteitag 1996 in Hannover habe sich das mit dem Männerverein deutlich geändert.

Der wichtigste Unterschied zu damals sei aber, dass heute nicht mehr richtig gestritten werde. "Früher waren die Diskussionen rabiater als heute, da wurde mehr Klartext gesprochen", sagt Schwarz. Heute heiße es dagegen immer: "Seid vorsichtig, tut euch nicht allzu weh." Das sei schade, aber vermutlich nicht zu vermeiden. "Wenn wir früher stritten, hieß es in den Medien, wir hätten diskutiert, heute wird immer von Zank geschrieben." Aber Zank wolle kein Bürger. "Heute darf man sich nicht mehr zanken, heute muss man sich lieben", ätzt Schwarz. Entsprechend langweilig seien die meisten Debatten. Beeindruckende Parteitage habe es aber natürlich trotzdem gegeben. Ihm fallen da vor allem drei ein.

Der Parteitag 1953 in Hamburg: Adenauer sei da gerade von seiner ersten USA-Reise zurückgekommen. Deutschland habe sich wieder ernst genommen gefühlt. Adenauer fuhr damals übrigens mit dem Schiff nach Amerika, allein die Überfahrt dauerte zehn Tage. Merkel fliegt heute schon mal für 36 Stunden nach Japan.

Der Parteitag 1957 sei auch schön gewesen, sagt Schwarz. Da habe sich bereits abgezeichnet, dass die Union bei der Bundestagswahl die absolute Mehrheit holen könnte. Und beim Parteitag 1990 in Hamburg habe man die Wiedervereinigung feiern können. Das sei natürlich auch einzigartig gewesen.

Die Ohrfeige von Beate Klarsfeld für Kurt Georg Kiesinger auf dem Parteitag 1968 hat Schwarz übrigens verpasst, er war gerade nicht im Saal. Die barbusigen Tänzerinnen, die auf dem Parteitag 1979 auftraten, habe er aber "wenigstens aus der Ferne" gesehen.

Schwarz war 1959 in den Landtag von Rheinland-Pfalz eingezogen. 1971 wurde er in dem Land Innenminister im Kabinett von Helmut Kohl. Während der Zeit des RAF-Terrors war er zwei Jahre lang Vorsitzender der deutschen Innenministerkonferenz. 1976 wechselte Schwarz dann von Mainz in den Bundestag, 1990 verabschiedete er sich aus dem Parlament.

Kohls Führung sei "robuster" gewesen, Merkel führe dagegen "feiner"

Wie beurteilt so einer die verschiedenen Kanzler der CDU? "Adenauer war natürlich eine einmalige Erscheinung", sagt Schwarz. Der sei ja schon bei seiner ersten Wahl ein Großer gewesen. Um die Partei habe er sich allerdings kaum gekümmert. Kohl sei da ganz anders gewesen. In seiner Zeit sei aus der Honoratioren- eine Mitgliederpartei geworden. In den Sechzigerjahren hatte die CDU nur eine viertel Million Mitglieder, Anfang der Achtzigerjahre waren es mehr als 700 000. Merkel wiederum habe sich ihre Rolle erst erkämpfen müssen, sagt Schwarz. Inzwischen mache sie "es aber verdammt gut".

Die Frau sei so stark wie Kohl zu seiner besten Zeit. Kohl habe allerdings "robuster" geführt, Merkel mache das "feiner". Sie sei aufmerksamer im Umgang mit anderen Menschen. Wenn bei Merkel der Erfolg allerdings einmal ausbleibe, wenn sie einmal in den Wind komme, dann sei er sich nicht sicher, ob die Partei sie noch so achten werde, hat Schwarz vor drei Jahren einmal gesagt. Bei Kohl hätte er diese Sorge nicht gehabt. Diese Einschätzung hat Schwarz inzwischen revidiert. "Die Art, wie Merkel in der Ukraine-Krise mit Russland umgeht und wie sie in Europa auftritt, hat ihr jede Menge Respekt und Anerkennung in der CDU gebracht", sagt er jetzt.

Dass die CDU 1980 Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidaten habe aufstellen müssen, findet Schwarz noch heute schlecht. Aber das Problem Strauß habe "ja später der liebe Gott gelöst". Der schlimmste aller Parteitage sei aber eindeutig der von Bremen 1989 gewesen, sagt Schwarz. Den "Putschversuch" von Heiner Geißler gegen Kohl verzeiht er Geißler heute noch nicht. "Das war der schlimmste Moment in der Geschichte der CDU."

© SZ vom 24.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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