CDU und Christentum:"Exklusives Verhältnis von Kirche und CDU ist passé"

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Angela Merkel will das christliche Menschenbild wieder zum Fundament ihrer Partei machen. War der Privataudienz beim Papst nur ein PR-Coup oder Teil einer Strategie? Wie wichtig ist das C für die Union wirklich? Fragen an Parteienforscher Frank Bösch.

Christopher Stolzenberg

Frank Bösch ist Juniorprofessor an der Universität Bochum. Der Historiker hat sich in mehreren Veröffentlichungen der CDU beschäftigt (u.a. Macht und Machtverlust: Die Geschichte der CDU, Stuttgart/ München 2002) und leitet zurzeit eine Forschergruppe zur "Medialen Repräsentationen von Kirche und Religion nach 1945".

Frank Bösch (Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: Angela Merkel hat in ihrer Rede auf dem Grundwertekongress das christliche Menschenbild als Fundament der Partei betont. Am Montag war sie beim Papst. Herr Bösch, wie wichtig ist das C wirklich für die Union?

Frank Bösch: Das C hat nach wie vor eine hohe Bedeutung. Schon bei den vergangenen größeren Grundsatzdebatten unter Adenauer und Kohl war die Frage nach dem C ein Schlüsselthema. Doch was genau hinter dem C steht, ist stets recht offen gehalten worden. Das hat sich als Stärke der CDU erwiesen, weil das C so eine gute Integrationsklammer bietet. Es kann ein Argument für eine soziale Politik sein, es kann aber auch zur Betonung des freien Individuums dienen.

sueddeutsche.de: An welchen Stellen wird die genannte Offenheit konkret?

Bösch: Die CDU betont immer wieder an einzelnen symbolischen Schlüsselthemen die Dominanz des Christlichen. Zum Beispiel im Kopftuchstreit. Man muss aber differenzieren, denn die Aussage gilt vor allem für die CDU im Süden und Westen der Republik. In Schleswig-Holstein strebt dagegen die Regierung unter christdemokratischer Beteiligung ein generelles Verbot religiöser Symbole in den Schulen an. Im Norden und Osten sind die Christdemokraten eher pragmatisch und versuchen solche religiösen Fragen aus der Tagespolitik herauszuhalten. Auch in der Frage nach den Grenzen der Genforschung oder der Abtreibung ist die CDU entsprechend gespalten.

sueddeutsche.de: Beweist sich die Integrationsklammer auch in der Wählerschaft der CDU?

Bösch: Ja. Sowohl katholische Arbeiter als auch Unternehmer, die oft in die Kirche gehen, wählen ganz überdurchschnittlich häufig CDU. Die einen erwarten eine soziale Politik, wie der linke, christlich-soziale Flügel der CDU sie vertritt, die anderen präferieren ein liberaleres Menschenbild. Beide Wege sind offen über das C. Daher ist es aber auch schwer zu deuten, wie die künftige Politik aussehen mag.

sueddeutsche.de: Die Betonung des C in einer Programmdebatte ist also nicht etwa ein naheliegendes Mittel, um sich aktuell vom Koalitionspartner SPD abzugrenzen?

Bösch: Das würde ich nicht sagen. Es ist zwar richtig, dass sich Institutionen und Parteien gerne auf historische Traditionen berufen, wenn sie an Profil verlieren. Ich denke aber nicht, dass dies bei der CDU auf die Situation der Großen Koalition zurückzuführen ist. Es hat mehr mit Merkels Rolle als ostdeutscher Protestantin zu tun, die auf der symbolischen Ebene Zeichen setzen will, weil eben die deutliche Mehrheit der CDU-Wähler Katholiken sind. Insofern ist der Papstbesuch an Signal an die "alte" CDU im Westen.

sueddeutsche.de: Welche Bedeutung hat das christliche Menschenbild für CDU-Chefin Angela Merkel?

Bösch: In den ersten Jahren hat das C für sie eine geringe Bedeutung gehabt. Sie hat sich eher mit liberalen Akzenten in der Wirtschafts- und Familienpolitik profiliert, und religiöse Verweise nur am Rand geäußert. Die Religion ist ein Bereich, in dem Angela Merkel, im Vergleich zu früher, stärker Akzente setzt. Sie betont das christliche Menschenbild, um vor der "Arroganz der Macht" zu warnen. Sie sagt in vielen Interviews, dass der Mensch fehlbar sei und dass auch Menschen, die in einer hohen Machtposition wie sie selbst sind, Grenzen gesetzt sind.

sueddeutsche.de: Also war die Privataudienz beim Papst nicht bloß ein "PR-Coup"?

Bösch: Nur zum Teil. Zum einen ist ihr Besuch Teil einer symbolischen Medienpolitik, da der Papst zurzeit eine große Medienaufmerksamkeit genießt, die auf Politiker abfärben kann. Zum anderen positioniert sie so ihre Partei inhaltlich in der Nähe der Kirche. Die symbolische Politik geht also mit der bisherigen Programmatik einher und setzt Akzente für die Zukunft. Die Grundsatzdebatte steht im Zeichen des C, weil somit eine grundsätzliche Ortsbestimmung der CDU möglich wird - jenseits der Tagespolitik, wo das C bisher keine große Bedeutung hatte.

sueddeutsche.de: Angela Merkel hat gesagt, "das christliche Menschenbild hat die CDU stark gemacht". Nun sind aber nicht alle ihre Wähler regelmäßige Kirchgänger.

Bösch: Die Offenheit des christlichen Menschenbilds hat sich lange Zeit als Vorteil erwiesen. Heute kommt es aber darauf an, festzulegen, was hinter dem C wirklich steckt, zu fragen: Wie definiert man sich gegenüber Menschen, die sich selbst nicht als christlich verstehen oder anderen Religionen angehören?

sueddeutsche.de: Also versucht die CDU heute ihren "modernen Konservatismus" über die Religion zu verorten?

Bösch: Nicht unbedingt. Religiosität hängt ja nicht automatisch mit Konservatismus zusammen. Vielmehr gehen Religion und Modernität oft einher, wie man gerade im Zusammenhang mit den aktuellen terroristischen Anschlägen oder den medial verstärkten Massenhuldigungen des Papstes sieht. Der Bezug zum Christentum ist zusätzlich durch den 11. September aufgewertet worden.

sueddeutsche.de: Wie nahe stehen sich die CDU und die Kirchen?

Bösch: Das exklusive Verhältnis von Kirche und CDU, das gerade für den Katholizismus noch bis in die Achtziger galt, ist heute passé. Die anderen Parteien haben sich mittlerweile auf die Kirchen zubewegt, auch wenn die Union die Partei bleibt, die am meisten das Gespräch mit den Kirchen sucht. Dieses Verhältnis ist aber nie ohne Kontroversen geblieben, wenn ich an die Rüstungspolitik oder die Entwicklungshilfe denke, wo es vor allem Widerstände von den Protestanten gab. Auch die Streichung von Sozialleistungen und die Abschaffung des Buß- und Bettages waren Streitthemen. Da protestierten die Kirchen heftig gegen die Regierung Kohl. Heute pflegen CDU und Kirchen die Nähe.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie: Wird die CDU mit der Strategie, sich verstärkt über das christliche Menschenbild zu profilieren, erfolgreich sein können?

Bösch: Das ist nicht gesagt. Der Bezug zur Religion funktioniert nur mit bestimmten Symbolthemen, wie etwa den EU-Beitritt der Türkei, das Familien- oder Ehebild oder das Thema innere Sicherheit, wo man sich von islamistischen Attentätern abgrenzt. Hier kann sich die CDU am ehesten als betonte christliche Partei profilieren, die dann allerdings Gefahr läuft, liberale Wähler zu verlieren.

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