CDU Sachsen:Jenseits der Totenkopf-Socken

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Besuchte eine Regionalkonferenz der sächsischen CDU: Bundesinnenminister Thomas de Maizière. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Bundesinnenminister Thomas de Maizière spricht in Plauen über das Wesen von Integration und wie sie gelingen kann.

Von Cornelius Pollmer, Plauen

Es ist ein Abend der Fortschritte in Sachsen, und das beginnt ja schon damit, dass der Vertreter der Bundesregierung nicht auf Flughöhe Untergürtel beschimpft wird. Weniger als ein Jahr ist es her, dass in Heidenau der Hass am Straßenrand stand, als die Kanzlerin für den Besuch einer Erstaufnahmeeinrichtung anreiste. In den Nachrichten war Sachsen, wie es leibt und bebt, in aller Breite zu besichtigen - davon übrig geblieben ist an diesem Montagabend in Plauen nur eine Miniatur. Zehn Brüllkörper mühen sich von der Garnitur am Bierstand, als der Bundesinnenminister vorfährt. Auf dem T-Shirt-Rücken des einen steht "National, revolutionär, sozialistisch", auf den Söckchen eines anderen knittern Totenköpfe, ein Dritter schreit in Richtung Thomas de Maizières: "Buh, geh' nach Hause!" Das ist immer noch nicht schön, und doch weniger bedrohlich als Sachsen sich in der jüngeren Vergangenheit zuweilen präsentiert hat. Die noch wichtigeren Fortschritte aber sind im Innern des Konventsgebäudes am Komturhof zu beobachten.

Die sächsische CDU hat zu einer ihrer "Regionalkonferenzen" geladen, das Thema lautet "Integration", und neben allerhand Normalbürgern sind auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich und eben Thomas de Maizière gekommen. Der Bundesinnenminister sieht für seine Verhältnisse auf fast unwirkliche Weise erholt aus, mit entsprechender Heiterkeit durchläuft er seinen eigenen Eröffnungsvortrag, den er in fünf Fragen und mehr Antworten strukturiert. Was ist Integration? Kleine Gruppen müssten zu einem Teil der großen Gruppe werden, mit gemeinsamer Identität. Wer soll integriert werden? Nur diejenigen, die eine Bleibeperspektive hätten. Woraus besteht Integration? Sie müsse, sagt de Maizière, kulturell und strukturell, emotional und sozial gelingen. Letzteres bedeute auch, Beziehungen und Freundschaften "über die eigene Herkunftsgruppe hinaus" zu entwickeln. Wie, viertens, funktioniert Integration? Fördern und fordern, siehe Integrationsgesetz, Betonung gerne auch mal auf letzteres. Letzte Frage: Brauchen wir für erfolgreiche Integration ein Leitbild? Ja, sagt de Maizière, es gebe eine "Leitkultur, die wir verlangen können und verlangen müssen". Dazu gehörten Bach und Goethe, auch das Sonntagsläuten oder die intensive Beschäftigung mit deutscher Schuld im Zweiten Weltkrieg.

Das ist der Rahmen, innerhalb dessen nun im Fishbowl-Verfahren diskutiert werden soll. Fishbowl bedeutet theoretisch, dass jeder in die Mitte kommen und mitreden kann. Fishbowl bedeutet praktisch, dass zunächst oft die in die Mitte gehen, die sich selbst gerne reden hören - und dass sie genau dann abgelöst werden, wenn alle anderen hinreichend genervt davon sind, um ihre Scheu zu überwinden. Und Fishbowl bedeutet auch: viele Einzelfälle, wenig Struktur. Minister und Ministerpräsident machen das Mögliche aus dem Vorgetragenen. Es geht den Bürgern um die Förderung von Behindertensport, um die Erleichterung von Approbationen für Ärzte aus dem Ausland, um Kleinigkeiten. Ein Mann beklagt, dass am Abend in Plauen auf dem Marktplatz Geflüchtete herumsitzen. Stanislaw Tillich antwortet, dass es eben Länder gebe, in denen sitze man abends nicht vor der Glotze, in denen gehe man abends vor die Tür: "Im Urlaub gefällt uns das doch auch, oder?" Sachsens Ministerpräsident erweist sich also als entschlossener Anwalt südländischer Feierabendkultur, ein Feld, in dem er sich bislang noch nicht positioniert hatte.

CDU-Kreischef Sören Voigt definiert sachlich Pflichten und Grenzen des "C" in seiner Partei, eine Arabistik-Studentin echauffiert sich glaubwürdig über das ihrer Meinung nach einseitige Begriffsverständnis vieler Sachsen beim Thema Integration: Ihr seid die Flüchtlinge, ihr müsst euch integrieren. Der Abend entwickelt sich zu einer Art Wir-schaffen-das-Komma-aber, gewidmet der Einsicht, dass vom Reden und Meinen so langsam zur glanzlosen Tat überzugehen sei. Ein engagierter Bürger ärgert sich über die ausbleibende Vernetzungs-E-Mail des Ausländerbeauftragten? Ja, dann schreiben Sie halt selber eine, rät de Maizière. Bund und Land haben im Herbst schlecht kommuniziert? Zustimmung vom Bundesinnenminister, aber das mache man ja jetzt besser. Im übrigen: "Was wir alle zusammen brauchen, ist etwas mehr Geduld, etwas weniger Perfektion." Da sekundiert Tillich zuversichtlich. Er glaube, "dass wir noch vieles richtig machen können". Er beschreibt also die Möglichkeit des Gelingens. In Sachsen gilt so etwas schon als im Grunde unbändiger Optimismus.

© SZ vom 10.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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