CDU-Parteitag in Stuttgart:Merkels Melissengeist

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Von der sozialen Marktwirtschaft spricht Angela Merkel wie von Klosterfrau Melissengeist - nie war sie so wertvoll wie heute. Doch Merkel verkauft eine gute Sache schlecht.

H. Prantl

Noch nie hat Angela Merkel so oft und so viel von sozialer Marktwirtschaft geredet. Die soziale Marktwirtschaft war in ihrer Parteitagsrede das Universal-Rezept gegen die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, sie war auch das Heilmittel, um das wankende Vertrauen der Menschen in Wirtschaft und Politik wieder zu stabilisieren.

Der Applaus für Angela Merkel war nur schütter, genau wie ihre Rede. (Foto: Foto: dpa)

Die Kanzlerin sprach von der sozialen Marktwirtschaft wie vom Klosterfrau Melissengeist: Nie war sie so wertvoll wie heute. Also verabreichte Merkel dem Parteitag ihre Medizin mit großen Löffeln. Die Delegierten schluckten, waren aber nicht besonders begeistert, vor allem, weil die Kanzlerin selber nicht sehr begeistert klang.

Sie wusste auch über die Ingredienzien ihrer Medizin nichts zu sagen. Woraus setzt es sich zusammen? Was bedeutet die soziale Marktwirtschaft heute? Angela Merkel verkaufte eine gute Sache schlecht. Ihr Ergebnis bei der Wiederwahl als Parteichefin war gleichwohl sehr gut.

Demonstranten vor den Toren des Parteitags

Vor den Toren des Parteitags standen Demonstranten, die einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro verlangten. Merkel sagte dazu kein soziales Wort. Ihre Laudatio für die soziale Marktwirtschaft war ein Placebo; die Kanzlerin reagierte damit vor allem auf die innerparteiliche Kritik daran, dass Steuerentlastungen auf die nächste Legislaturperiode verschoben werden. Die soziale Marktwirtschaft der Merkelschen Parteitagsrede war keine Lehrformel, sondern eine Leerformel.

Die Kanzlerin will, sagt sie, die soziale Marktwirtschaft nach Europa, ja in die ganze Welt exportieren, sie will diese zum Exportschlager machen, wie Druckmaschinen, Kaffeefilter und Plüschtiere aus Deutschland. Druckmaschinen und Plüschtiere sind greifbar, Merkels soziale Marktwirtschaft ist es nicht.

Sie will etwas exportieren, was sie selber nicht beschreiben kann. Ein solcher Export ist ein Leerverkauf. Merkels Problem ist überdies, dass sie die soziale Marktwirtschaft vor ein paar Jahren noch abschaffen wollte. Also hört man Merkels frohe Botschaft, aber es fehlt einem der Glaube daran, dass sie ernst gemeint ist und auch morgen noch gilt.

Wenn die Kanzlerin von sozialer Marktwirtschaft redet, dann klingt das so, als ob der Papst von den Vorzügen des Protestantismus spräche. Daher spürte man eine merkwürdige Distanz zwischen Merkel und den Delegierten, die nur dann durchbrochen wurde, als sie über die SPD herzog. Ihre Rede war schütter, der Applaus der Delegierten blieb es auch. Den lautesten Beifall erhielt nicht sie, sondern ihre Erwähnung von Horst Köhler.

Merkel hat Deutschland zum bloßen Standort kleingeredet

Wer die soziale Marktwirtschaft exportieren will, der muss sie erst einmal zu Hause bewahren. Wer so tut, als sei dort alles in Ordnung, und Angela Merkel tut so, ist unglaubwürdig: Mehr als zehn Jahre lang hat die Politik, auch die Politik der Angela Merkel, Deutschland zum bloßen Standort kleingeredet. Die deutsche Leitkultur bestand in der Ökonomisierung aller Lebensbereiche sowie im Um- und Abbau des Sozialstaats. Die Wertedebatte beschränkte sich darauf, den Wert von niedrigen Steuern und sinkenden Lohnnebenkosten zu betonen. Und während die Steuern sanken, kroch in den Schulen und Kindergärten der Schimmel die Wände hoch.

"Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben", sagte die Kanzlerin, dies sei der Urgrund der Finanzkrise. Wer ist "man"? Die Verhältnisse auch in Deutschland waren zuletzt so, dass immer mehr Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrückt wurden. Wenn nun der CDU-Parteitag den Wert der Mitte preist, dann ginge es zuvorderst darum, wie man Millionen Randständige wieder in die Mitte der Gesellschaft bringt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Worin Merkels konkreteste Äußerung bestand.

Man habe alles richtig gemacht, man werde alles richtig machen und sich alle Optionen offen halten - so etwa sagte es Angela Merkel. Jürgen Rüttgers, Roland Koch, Friedrich Merz und Peter Müller konnten es sich nicht verkneifen, in dieses Soufflé zu pieksen, indem sie konkreter wurden: Steuerentlastungen, Erneuerung der Kraftwerke, Investitionen in Bildung - über all das kann man streiten. Aber alles ist greifbarer als das, was Merkel vorzutragen hatte.

"Geordnetes Vorgehen"

Die versprach ein "geordnetes Vorgehen" gegen die Wirtschaftskrise auf der nationalen, der europäischen und der globalen Ebene. Dieser Überschrift folgte auf der nationalen Ebene wenig bis nichts. Die Gründung eines "Weltwirtschaftsrats" schlug sie vor; bei dem Stichwort blieb es. Kein Wort zu den Vorschlägen des französischen Staatspräsidenten Sarkozy, keines zu den Plänen des britischen Regierungschefs Gordon Brown. Kein einziges dazu, wie Deutschland als führende Exportnation eine führende Rolle bei der internationalen Krisenbekämpfung spielen will.

Merkels konkreteste Äußerung bestand darin, dass man erstens mehr Breitbandanschlüsse in Deutschland brauche, und zweitens über weitere Details für ein Konjunkturprogramm am 5.Januar 2009 reden werde, beim nächsten Treffen des Koalitionsausschusses.

Das war erstens Larifari und zweitens ein Affront gegen den Parteitag; viele Delegierte murrten auf den Gängen - und wählten Merkel natürlich trotzdem mit einem Superergebnis wieder, wie es sich vor einem Superwahljahr gehört. Die Fragen, ob sie der Wirtschaftskrise gewachsen ist, werden aber lauter werden.

© SZ vom 02.12.2008/segi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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