CDU-Fraktionschef Volker Kauder:Mächtig unter Druck

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Als Fraktionschef der Union sitzt er zwischen allen Stühlen und steckt Prügel ein, die eigentlich der Kanzlerin gelten - so wird auch ein Kämpfer müde.

Stefan Braun

Es macht ihm keinen Spaß, und man merkt es ihm an. Seine Augen sind klein, er ist müde im Gesicht, ausdruckslos, dazu sind seine Stimmbänder angeschlagen. Keine Kampfeslust, nirgends, dabei rauft er doch so gern, politisch versteht sich. Jetzt hingegen sagt Volker Kauder in die Nacht hinein: "Guten Abend, bleiben Sie friedlich." Kauder fordert das nicht. Er bittet darum. Was ist passiert mit dem Mann?

Volker Kauder und Angela Merkel im Bundestag (Foto: Foto: dpa)

Es ist kurz nach Mitternacht. Vier Stunden Koalitionsausschuss sind vorüber. Doch bevor es ins Bett geht, muss Kauder sich noch erklären. Das heißt: Er muss den Ausschuss möglichst vorteilhaft präsentieren. Also muss er behaupten, dass es "eine gute Sitzung war", dass man "ernsthaft und ausführlich" gesprochen habe, und dass die Koalition ihre Handlungsfähigkeit beweise. Kurz: Es sei viel erreicht worden.

Kauder gibt sich Mühe. Beim Reden presst er seine Hände so fest ineinander, dass die Fingerkuppen weiß werden. Und trotz dieser erkennbaren Anstrengung will ihm von den Journalisten so recht keiner glauben. Mindestlohn? Managergehälter? Energiekosten? Die Antworten der Koalition auf diese Fragen kommen nur im Schneckentempo. Kauder weiß das, trotzdem wirbt er dafür. Er erfüllt seinen Auftrag. Einen Auftrag allerdings, über den er müde geworden ist in den letzten Wochen.

Merkels Sandwich-Mann

Dieser Volker Kauder, 58, seit mehr als 40 Jahren in der CDU, ein Herzblut-Konservativer, durchlebt derzeit die härteste Phase seines politischen Lebens. Er ist an der Macht - und wirkt doch ziemlich machtlos. In der Fraktion sprechen böse Zungen "von Muttis Söhnchen" (also Merkels Bürschchen), was zwar zum Geschäft gehört, aber einen wie Kauder nicht kalt lässt. Kauder ist Merkels Sandwich-Mann geworden.

Eingeklemmt zwischen der Kanzlerin und der Fraktion, die von Woche zu Woche rebellischer wird gegen Merkels unbedingten Sparkurs; eingezwängt zwischen seinen Truppen und denen der Sozialdemokraten, deren Fraktionsspitze Kauder als Partner verstand, bis sie bei den Diäten und der Nominierung Gesine Schwans einknickte; zerrissen auch zwischen der Freude am Regieren und den Veränderungen unter Merkel, die gerade den Konservativen viel abverlangen. Kein schönes Dasein.

Was vielleicht gar nicht so auffallen würde, wäre Kauder allein an diesem Abend. Ist er aber nicht. Neben ihm steht Erwin Huber. Spitzbübisch, frech, aufgekratzt - der CSU-Chef ist wie immer ein wenig unsicher im Formulieren, aber selbstbewusst in der Sache. Huber platzt vor Stolz und innerem Jubel. Während Kauder die Koalition gut verkaufen muss, darf Huber auf den Putz hauen und behaupten, er hätte einen Erfolg davongetragen. "Sie wissen, dass ich seit längerem für mehr Netto für alle werbe." Genau das werde nun kommen - mit Kindergelderhöhung und der Senkung der Lohnnebenkosten. Huber strahlt.

Eigentlich kämpfen sie ja auf der gleichen Seite

Kauder könnte jetzt ausflippen. Explodieren. Als Offizier der Kanzlerin mag er beben neben seinem Parteifreund, er muss sich auf die Zunge beißen. Also räuspert er sich, mehr als sonst schon. Räuspern ist eine Botschaft aus Kauders Innenleben. Fällt es weg, ist er ausgelassen; nimmt es überhand, muss man aufpassen. Jetzt will es nicht enden.

Gerade zehn Minuten dauert der Auftritt. Zehn Minuten allerdings, die wie unter einem Brennglas zeigen, wie nah des einen Freud und des anderen Leid beieinander liegen. Selten ist das zwischen CDU und CSU so zu besichtigen gewesen. Hubers zumindest psychologische Erfolge sind für Kauder kleine Messerstiche geworden, wieder und wieder. Die beiden kennen sich gut, sie kommen aus dem Süden, sie haben einander mehr als einmal geholfen.

Eigentlich kämpfen sie ja auf der gleichen Seite der Fronten. Doch seitdem Huber seine Steuerpläne verkündet hat, seitdem er die Rückkehr zur Pendlerpauschale einfordert, ist er für Kauder zu einem mächtigen Problem geworden. Huber hat den Finger dorthin gelegt, wo es allen weh tut - auf die Kosten. Dorthin also, wo es auch die CDU schmerzt. "Wenn wir da was machen würden, wären wir auf einen Schlag wieder kampagnenfähig."

Im nächsten Teil kommt in einem Moment alles zusammen, was Kauder antreibt.

Kampagnenfähig! Was für ein Wort. Das Zauberwort. Kauder wäre das auch so gern, endlich wieder. Denn genau das ist nicht nur dem großen Rest der Unionisten seit Beginn der großen Koalition abhanden gekommen. Es fehlt auch dem alten Parteisoldaten.

Beifall und kühles Schweigen

Das Wort stammt vom CDU-Fraktionschef eines großen westdeutschen Landes. Er ist dabei gewesen, als Kauder fast noch mehr leiden musste in der vergangenen Woche. Ort war Stuttgart, dort trafen sich alle schwarzen Fraktionschefs der Länder. Und weil die in der Regel viel wissen über die Stimmung ihrer Leute, ist dieses Treffen für Kauder zu einer schmerzhaften Erfahrung mit der Basis geworden.

Auch hier geht es vor allem um die CSU-Steuerpläne und die Pendlerpauschale. Mehr als einer verlangt, endlich eine Botschaft zu geben an jene, die unter den hohen Energiepreisen leiden. Ihr Argument: "Wir können doch nicht den Eindruck erwecken, die Sorgen der Menschen würden uns nicht interessieren." Eine heftige Debatte bricht los, für Hubers Ideen gibt es wiederholt Beifall, bei Kauders Antworten kühles Schweigen.

Zumal der Bundestags-Fraktionschef immer wieder ein Motiv anführt, das nicht besonders gut ankommt: Man müsse aufpassen, dürfe den Kurs jetzt nicht aufgeben, sonst laufe die Kanzlerin Gefahr, ihr Gesicht zu verlieren. Und was schallt ihm da entgegen? "Besser ein Gesicht verlieren als eine Wahl." Das sind für einen wie Kauder Schmerzen.

Die Zigarette ist auf ewig seine beste

Immerhin, der GAU ist ausgeblieben. Es hat keine Abstimmung gegeben. Die wäre verheerend geworden, und das wollte doch keiner. Ein Teilnehmer der Runde sagt: "Vor Kauders Auftritt wäre es 14:2 für Steuersenkungen ausgegangen, hinterher 16:0." Nicht auszumalen, was das für Folgen gehabt hätte. Wie kein anderer in dieser Koalition steckt Kauder zwischen allen Stühlen. "Er ist die ärmste Sau in der deutschen Politik", fasst es ein CDU-Fraktionschef aus den Ländern zusammen. Deftig ist die Wortwahl, aber der Wahrheit kommt sie nahe.

Wie anders sah das aus vor zweieinhalb Jahren. Ein später Abend im November, Kauder hat sich eine Zigarette angezündet, hoch über der Hauptstadt. Der frisch gekürte Fraktionschef steht mit Vertrauten auf der Dachterrasse des Kanzleramts, wenige Stunden zuvor wurde Angela Merkel zur Kanzlerin gewählt. Für Kauder ist dieser 22. November 2005 das Ergebnis eines langen Weges. Sie haben gekämpft und gezittert, Niederlagen weggesteckt und einen Wahlsieg geschluckt, der zugleich ein Debakel war. Die Zigarette ist auf ewig seine beste.

In diesem Moment kommt zusammen, was Kauder antreibt. Er wird 1949 als Sohn aus Jugoslawien vertriebener Eltern geboren, er lernt früh, dass Fleiß und Disziplin unverzichtbar sind, will er Erfolg haben. Mit 15 begegnet er dem Kuratorium Unteilbares Deutschland und wird angesteckt vom politischen Leben. Mit 16 geht's in die Junge Union, mit 18 in die CDU, dann zieht er zum Studium nach Freiburg, rein ins Duell mit den Achtundsechzigern. Kauder liefert sich "verbale Saalschlachten" mit den Jungsozialisten. "Das hat gestählt und Kraft gegeben. Hier habe ich gelernt, für die eigene Position zu kämpfen."

Im dritten Teil spricht der müde Kämpfer eine Bitte aus.

Kauder sagt im Rückblick, nicht alles sei schlecht gewesen an seinen Gegnern. Eines aber habe ihn verrückt gemacht: "Mit welcher Überheblichkeit die alles besser wussten." Außerdem hätten sie ihn, der wenig Zeit und wenig Geld hatte, am Studium gehindert. Das sei ein "gewalttätiger Eingriff" gewesen, eine "Zerstörung der Ordnung".

Solange der dabei ist, ist's noch zu ertragen

Man braucht nicht viel Phantasie, um zu kapieren: Der Wahlsieg Schröders und Fischers 1998 ist für ihn ein Eingriff ins Weltbild gewesen. Als Merkel ins Kanzleramt einzieht, verbindet er das mit der Hoffnung: "Es muss wieder Ordnung ins Land, so wie man Ordnung braucht im Leben."

Kauder ist ein Konservativer. Er war lange gegen die Schwulenehe, ist gegen die Stammzellforschung an Embryonen, war stets für strenge Regeln beim Paragraphen 218. Und auch wenn Merkels stille Revolution öffentlich so nicht daherkommt, bei vielen in der Union verrückt die Kanzlerin mit ihrer Gesellschaftspolitik seit zweieinhalb Jahren Weltbilder. Krippenausbau, Klimaschutz, frühkindliche Bildung, Integrationsgipfel - Leute wie Kauder müssen weite Wege gehen, bis sie dies als ihre Position akzeptieren.

Umso wichtiger ist der Mann für Merkel. Ihn an ihrer Seite zu haben, gab ihrer Politik Legitimation und Schutz gegen allzu harsche Kritik von konservativer Seite. Nach dem Motto: Solange der dabei ist, ist's noch zu ertragen. Merkel holte ihn, als sie 2002 nach dem Fraktionsvorsitz griff. Seitdem steht er loyal zu ihr, erst als Geschäftsführer der Fraktion, dann als Generalsekretär, schließlich als Fraktionschef. Dabei wäre er so gern Chef des Kanzleramts geworden.

Er wusste: An der Spitze der Fraktion wird es am schwersten. Diese Wochen bestätigen das. Inzwischen ist er zum Chef-Buhmann geworden, weil viele - sorgenvoll wegen der schlechter werdenden Umfragen - zu feige sind, die Kanzlerin selbst anzugreifen.

Warum eigentlich nicht?

Kauder wusste, dass das seine Rolle werden würde. Aber das macht ihm seine gegenwärtige Lage nicht leichter. Da mag seine Stirn noch so dickschädelig wirken, darunter ist eine sensible Seele zu Hause. Zumal der Lohn für die Last nicht gerade berauschend ist. Dass Merkel ihn öffentlich lobt - das hat es bisher nur sehr selten gegeben. Und seine wenigen Versuche, sich Profil zu geben, waren auch kaum erfolgreich. Als er vor zwei Jahren mit der Vorstellung des Gesundheitsfonds vorpreschte, ließ ihn die Kanzlerin abblitzen mit der Botschaft, mancher Schritt könne auf einem "Holzweg" enden.

Dass er vor einem Jahr mehr Selbstbewusstsein ankündigte, hat auch nichts geändert. Jetzt hat er einen einigermaßen zornigen Brief an den Kanzleramtsminister geschrieben. Selbstvertrauen der Fraktion gegenüber der Regierung soll das signalisieren. Darin freilich beklagt sich Kauder nicht etwa über Merkel, er schimpft gegen die Politik des SPD-Arbeitsministers. An Merkels Weigerung, die Steuern jetzt zu senken, will und wird er nichts ändern.

Warum eigentlich nicht? Warum kämpft er nicht für das, was an der Basis immer mehr und in der Fraktion doch viele möchten? Kauder sitzt in kleiner Runde in seinem Besprechungszimmer. Seine Stimme ist noch immer angeschlagen, und sein linkes Bein wippt heftig. Wie viel Unruhe muss der Mann unter Kontrolle halten. "Gerade für konservative Christdemokraten gilt: Wir müssen verantwortungsvolle Politik betreiben", sagt er. Deshalb müsse Schluss sein mit dem Schuldenmachen: "Wir dürfen jetzt nicht rotieren, wir müssen die Nerven behalten." Eine Bitte ist das, gesprochen von einem müden Kämpfer.

© SZ vom 17.6.2008/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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