CDU attackiert SPD:"Das SPD-Programm ist Mottenkiste pur"

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Politiker von CDU und CSU beklagen sich lautstark über einen Linksruck in der SPD. Führende Sozialdemokraten halten das für übertrieben und unberechtigt - und verteidigen ihr Recht auf ein eigenständiges Profil.

Die SPD hat nach Darstellung ihres neuen Vize-Vorsitzenden Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesparteitag in Hamburg keinen politischen Kurswechsel eingeleitet. "Von Linksruck kann keine Rede sein", sagte der Bundesaußenminister der in Hannover erscheinenden Neuen Presse. "Kurt Beck steht nicht für einen Linksruck der Partei. Er ist ein Pragmatiker und wird nicht zulassen, dass sich die SPD von ihrer Politik nah bei den Menschen verabschiedet und weg von der Mitte rückt."

Dagegen sieht Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Sozialdemokraten von ihrem bisherigen Kurs abrücken. "Wir nehmen zur Kenntnis, dass die SPD angesichts von weniger Mitgliedern und auch nicht zufriedenstellenden Umfragen sich gesagt hat: 'Wir machen einen solchen Linksruck'", sagte die CDU-Vorsitzende im ZDF.

CSU-Chef Erwin Huber bescheinigte der SPD einen "Linksdrall". Die SPD "bewegt sich von der Koalition weg", sagte er in der ARD. Huber warf den Sozialdemokraten eine "Anbiederung" an die Linke vor. "Das Regieren wird härter und schwieriger, die SPD wird unberechenbarer und unzuverlässiger."

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Roland Koch warf der SPD vor, sich mit ihren Parteitagsbeschlüssen aus der Verantwortung zu stehlen. Im RBB-Inforadio äußerte sich der hessische Ministerpräsident erstaunt darüber, dass die SPD Oppositionsthesen vertrete, obwohl sie selbst Regierungsmitglied sei.

Immerhin seien die Sozialdemokraten beim Thema Arbeitslosengeld I auf einen Kurs eingeschwenkt, den die Union schon länger verfolge, sagte Koch. CDU und CSU hätten vor zwei, drei Jahren darauf hingewiesen, "dass ein Verhältnis von Lebensalter, Einzahlungsdauer und dem Schutz vor Arbeitslosigkeit durch die Arbeitslosenversicherung vernünftig ist". Er sei überzeugt, dass sich SPD und CDU nun in diesem Punkt pragmatisch einigen könnten.

"Auch die Union profiliert sich"

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla kündigte im Kölner Stadt-Anzeiger an, dass die Union die Umsetzung zentraler Beschlüsse des SPD-Parteitages verhindern werde. "Die CDU wird dafür sorgen, dass die ganzen aufschwungfeindlichen Beschlüsse des SPD-Parteitags nie Regierungspolitik werden." Pofalla nannte den Beschluss für einen allgemeinen Mindestlohn von 7,50 Euro in der Stunde. Zu der vom Parteitag beschlossenen längeren Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für Ältere bekräftigte Pofalla die Forderung nach einer aufkommensneutralen Finanzierung.

Pofalla rechnet damit, dass die Bundestagswahl 2009 zu einer Richtungswahl wird. Pofalla verwies auf das neue Grundsatzprogramm der Sozialdemokraten. Darin beschreibe die SPD die marxistische Gesellschaftsanalyse als eine ihrer Wurzeln und den demokratischen Sozialismus als die Zielperspektive ihres Handelns. Dies sei "Mottenkiste pur", kritisierte der CDU-Politiker im Südwestrundfunk. In der ARD sprach er von einem Rückfall ins "Steinzeitalter". Er forderte eine stärkere Abgrenzung der SPD von der Linkspartei.

Angesichts der Warnungen aus der Union vor einem SPD-Linksruck bekräftigte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück den festen Willen zu einer gemeinsamen Regierung bis 2009. Im RBB betonte der stellvertretende SPD-Vorsitzende: "Wir sagen: Wir haben eine Große Koalition in Deutschland, und die meisten Menschen sagen, die sollen ihre Pflicht tun. Wir haben ein Mandat für vier Jahre."

Zu den Parteitags-Beschlüssen vom Wochenende, die teilweise im klaren Gegensatz zu den Vorstellungen des Koalitionspartners CDU/CSU stehen, sagte Steinbrück: "Die SPD ist in ihrer Programmatik berechtigt, den Stein weit ins Wasser zu werfen." Die Koalitionspartner befänden sich nicht in einer Liebesheirat, sondern in einem Zweckbündnis. Gelegentlich sei es notwendig, dass man sich in einem solchen Zweckbündnis profiliere. Das tue auch die Union. Er werde die Parteitagsbeschlüsse im Koalitionsausschuss vertreten, auch wenn er bei manchen Themen anderer Meinung sei.

Die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti ging in der Hessisch/Niedersächsischen Allgemeinen davon aus, dass der Großen Koalition nun schwierige Verhandlungen bevorstehen.

"Inhaltlicher Neuanfang"

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, sprach von einem "inhaltlichen Neuanfang der SPD". Er sehe nach dem Hamburger SPD-Parteitag "eine neue strategische Hinwendung zu den sozialdemokratischen Grundwerten". Damit wende sich die Partei wieder den "klassischen SPD-Wählern" zu, sagte er der Berliner Zeitung. In der Frankfurter Rundschau mahnte er zugleich weitere Korrekturen an den Sozialreformen an. Die SPD müsse sich bis zur Bundestagswahl 2009 auch von der Rente mit 67 verabschieden. "Sonst wird es die SPD bei den Arbeitnehmern sehr schwer haben."

Der Linke-Vorsitzende Oskar Lafontaine wertete den SPD-Parteitag in der ARD als "Versuch einer Kurskorrektur". Er verwies vor allem auf den SPD-Beschluss zum Arbeitslosengeld für Ältere. Lafontaine kritisierte zugleich, dass die SPD keine Antwort auf die Fragen gebe, die die Menschen wirklich bewegten. "Die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland spürt vom Aufschwung nichts." Dem Berliner Tagesspiegel sagte Lafontaine: "Ohne die Linkspartei hätte Beck die bescheidenen Korrekturen, die die SPD jetzt beschlossen hat, nicht ins Auge gefasst."

Zahlreiche Sozialdemokraten begrüßten die Ergebnisse des Parteitages. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sagte, die Sozialdemokraten hätten nun als Erste ein Programm, das Antworten auf die Fragen der politischen und ökonomischen Globalisierung gebe. Niedersachsens SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Jüttner sprach von einem "Schub" der SPD für die Landtagswahl in drei Monaten. "Das soziale Profil der SPD ist bestätigt und bestärkt worden", sagte er. Sachsen-Anhalts SPD-Chef Holger Hövelmann sagte, er erwarte vom in Hamburg verabschiedeten Grundsatzprogramm "Schwung nach innen und außen".

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