Bush in Delhi:Asiatischer Balanceakt

Lesezeit: 3 min

Der US-Präsident kam nach Indien, um die vielleicht wichtigste außenpolitische Initiative seiner Amtszeit anzustoßen. Vordergründig geht es um ein Nuklearabkommen. Tatsächlich handelt es sich um ein anderes Generalthema.

von Stefan Kornelius

Manmohan Singh, der indische Premierminister, musste in die große Historienkiste greifen, um die Weihe des Augenblicks deutlich zu machen. Im Juli vergangenen Jahres erhob er im Weißen Haus in Washington das Glas zum Toast: Jeder kenne die Geschichte von der unvollendeten Reise des Christopher Kolumbus, der Segel setzte, um Indien zu finden und in Amerika landete, sagte Singh. "Heute lade ich die Bürger Amerikas ein, die Reise des großen Entdeckers zu vollenden." Der Aufforderung hätte es nicht wirklich bedurft. Indien ist der neue Superstar der Geopolitik, Darling der Weltwirtschaft und der Strategen.

Neben dem Wirtschaftswunder-Einzelkind China mit seinem vorhersehbaren Aufstieg zur globalen Macht ist ein Zwilling herangewachsen: Indien beherrscht die Phantasien nicht nur der Vorstandsvorsitzenden aus aller Welt während ihrer Winterwoche in Davos. Die politische und militärische Größe des Subkontinents wird auch zum wichtigen Faktor in der permanenten Abwägung von Macht, Einfluss und Führung. Die USA, im Nahen Osten gefangen im Zermürbungskampf um Glauben, Freiheit und Öl, wendet sich mit aller verbliebenen Kraft dieser neuen Herausforderung zu.

Nicht weniger steht auf dem Spiel als die dominierende und ordnende Rolle Amerikas in Asien, ja: weltweit. Während Frankreichs Präsident Jacques Chirac von einer multipolaren Welt mit Europa als einem der Zentren phantasiert, haben sich in den vergangenen Jahren bereits die Koordinaten still und stetig verschoben: Über Führung und Vorbild wird am Pazifik und am Indischen Ozean entschieden, Europa spielt im Kalkül der aufstrebenden Mächte - wenn überhaupt - eine nachgeordnete Rolle.

Die Dynamik Chinas und Indiens ist unvergleichbar, und es ist nur noch eine Frage von wenigen Jahren, bis sich die ökonomische Macht mit einem politischen Anspruch verbindet. Indiens Bruttosozialprodukt wächst mit einer Rate von acht Prozent pro Jahr, das von China gar mit 9,9 Prozent. Nach Kaufkraft ist China nach den USA das zweitstärkste Land der Erde, gefolgt von Japan und Indien. Setzen sich die Wachstumsraten fort, wird China binnen zehn Jahren die weltstärkste Volkswirtschaft aufweisen, Indien die drittstärkste.

Zwischen beiden Ländern hat sich vom Westen nahezu unbeachtet ein dichtes politisches und wirtschaftliches Geflecht gebildet. Das Handelsvolumen übersteigt zehn Milliarden Dollar, der politische Austausch ist intensiv. Beide Volkswirtschaften verfügen über große demografische Vorteile: Im Jahr 2020 werden mehr als die Hälfte aller Inder und ein Drittel der Chinesen jünger als 30 Jahre sein.

Diese Jugend wächst in einem Klima ungebremsten Anspruchs auf, in einer Atmosphäre großen Selbstbewusstseins und im Gefühl kultureller Stärke. In dieser Phase der Weltgeschichte reiste US-Präsident George W. Bush nach Indien und wollte - wie manche seiner Berater sagen - die vielleicht wichtigste außenpolitische Initiative seiner Präsidentschaft anstoßen.

Nein, es geht nicht um die Entradikalisierung des Islam, es geht nicht um Demokratie oder Öl. Es geht in diesem Fall um: ein Nuklearabkommen. Vordergründig. Tatsächlich haben Amerikas Strategen längst erkannt, dass auch die USA nicht unbedingt zu den Gewinnern des pazifischen Jahrhunderts gehören müssen. Amerikas Stärke und Einfluss ist in Gefahr, und Washington reagiert, wie Großmächte immer schon reagiert haben: Sie bilden Allianzen, dämmen ein, setzen neue Spielregeln.

Premierminister Singh mit Präsident George Bush (Foto: Foto: AP)

Der amerikanischen Ouvertüre in Indien liegt ein Generalthema zugrunde: Wie lässt sich Chinas Aufstieg steuern? Washington ist mit sich im Unreinen, ob China eine Bedrohung oder eine Chance ist. Die Regierung Bush scheint zu glauben, dass sie den Aufstieg Chinas wenn schon nicht verhindern, so doch verlangsamen kann.

Das muss kein Fehler sein: Das rapide Wachstum der asiatischen Führungs- und Mittelmächte birgt auch große Gefahren - für die Weltwirtschaft, für das friedliche Zusammenleben der Völker, für die globale Energieversorgung und Umweltbelastung. Eine wirkliche Strategie steckt allerdings nicht hinter der Politik Bushs.

Ein hastig zusammengestelltes Gastgeschenk

Indien mag ein zuverlässiger, demokratischer Partner (nebenbei mit dem zweitgrößten muslimischen Bevölkerungsanteil eines Landes auf der Welt überhaupt) sein. Es wird sich aber nicht als Sandsack gegen die chinesische Flut gebrauchen lassen. Umso mehr, als die amerikanische Operation der Einbindung Chinas mit den falschen Werkzeugen ausgeführt wird.

Der in Delhi unterschriebene Atomvertrag, ein hastig zusammengestelltes Gastgeschenk, führt alle Abkommen über die Atomwirtschaft, ihre Kontrolle und die Nicht-Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln ad absurdum. Er rechtfertigt nachträglich Indiens Nuklearprogramm und fordert atomare Möchtegerns geradezu zur Nachahmung auf.

Bush, der den politischen und moralischen Führungsanspruch der USA in Asien in Frage gestellt sieht, erreicht so das Gegenteil seiner Absichten: Amerika delegitimiert sich selbst, indem es um eines taktischen Vorteils willen Regeln bricht, die es von anderen einfordert.

© SZ vom 3. 3. 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: