Bundeswehr in Afghanistan:"Attentätern nicht in die Hände spielen"

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Verteidigungsminister Franz Josef Jung warnt davor, die Bundeswehr wegen der Anschläge auf deutsche Soldaten aus Afghanistan abzuziehen.

Nico Fried, Peter Blechschmidt

Verteidigungsminister Franz Josef Jung, 59, erläutert, warum der Einsatz in Afghanistan weiterhin notwendig ist. Er versichert, dass alles für den Schutz der Soldaten getan werde. Wenn es aufgrund von Versäumnissen auf diesem Gebiet Verwundete oder gar Tote gäbe, wäre das ein Rücktrittsgrund.

CDU-Verteidigungsminister Franz Josef Jung hält die Bundeswehr dazu in der Lage, ihren Beitrag zu leisten, wenn es um die Bekämpfung der Piraterie vor Somalias Küsten im Rahmen einer EU-Mission ginge. (Foto: Foto: ddp)

SZ: Warum müssen junge deutsche Soldaten ihr Leben lassen in einem Land, in dem der Aufbau so massiv sabotiert wird von al-Qaida, Taliban, Warlords und Drogenbaronen?

Franz Josef Jung: Der Einsatz in Afghanistan hat etwas zu tun mit der Sicherheit hier. Afghanistan war der Ausgangspunkt für die Anschläge vom 11.September 2001. Es ist in unserem Interesse, wenn wir die Risiken dort beseitigen, wo sie entstehen. Wenn Afghanistan wieder ein Ausbildungscamp für Terroristen wird, steigt die Gefahr für Deutschland.

SZ: Laut UN war die Sicherheitslage noch nie so schlecht wie jetzt. 570 zivile Opfer in diesem Jahr durch die afghanische Armee und ihre Verbündeten.

Jung: Natürlich müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um zivile Opfer zu vermeiden und das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Man muss aber auch sehen, dass die Taliban es darauf anlegen, dass es zu zivilen Opfern kommt, um die Diskussion hierzulande zu beeinflussen.

SZ: Es gibt den Eindruck einer Eskalation nicht zuletzt deshalb, weil Zivilisten nun auch von deutschen Soldaten getötet worden sind.

Jung: Unser Problem ist, dass die Wahrnehmung in Deutschland bestimmt wird durch Anschläge und eine kritischer werdende Sicherheitslage. Aber es wird oft nicht gesehen, was durch unseren Einsatz an positiver Entwicklung vorangegangen ist. Wir haben erhebliche Fortschritte in der Bildungs- und der Gesundheitspolitik erzielt. Fünf Millionen Flüchtlinge sind nach Afghanistan zurückgekehrt. Wir kommen beim Aufbau der Infrastruktur voran. Es gibt Erfolge, aber nicht in dem Maß, wie wir uns das gewünscht haben. Das ist sofort zugegeben.

SZ: Sie haben angekündigt, die Afghanen auch bei der Drogenbekämpfung stärker unterstützen zu wollen. Wie soll das konkret aussehen?

Jung: Die Nato diskutiert zurzeit, inwiefern sich die Schutztruppe Isaf stärker engagiert, weil doch immer deutlicher wird, dass die Drogenszene terroristische Aktivitäten finanziert. Der Kampf gegen die Drogen sollte ein afghanisches Gesicht behalten, aber wir können die afghanischen Kräfte unterstützen.

SZ: Wenn demnächst die afghanische Armee Mohnfelder abbrennt, werden deutsche Soldaten das also absichern?

Jung: Wir denken nicht, dass das Abbrennen von Mohnfeldern uns weiterführt, sondern dass wir den Menschen eine Alternative anbieten müssen. Aber wenn es konkret gegen Drogenlabore oder Handelswege geht, dann müssen die afghanischen Kräfte die Unterstützung von Isaf haben.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, ob das Parlament die Verantwortung für die zunehmende Zahl von Anschlägen trägt.

SZ: Man hat mitunter das Gefühl, dass die einstmals hohe Motivation der deutschen Soldaten schwindet aus Sorge, dass so richtig nichts vorangeht.

Jung: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Motivation abnimmt. Ich habe mit den Soldaten in Kundus gesprochen. Die sind rausgefahren und wussten, da sind drei Selbstmordattentäter unterwegs, da sind Sprengfallen versteckt. Ich bewundere die Art und Weise, in der sie ihren Auftrag erfüllen. Und wenn ich Soldaten frage, ob sie schon im Auslandseinsatz waren, dann ist die häufigste Antwort: Leider noch nicht, Herr Minister.

SZ: Es gibt immer wieder Klagen über Ausrüstungsmängel. Im Fall des Hauptfeldwebels, der in Kundus getötet wurde, heißt es, er sei in einem nicht ausreichend geschützten Militärfahrzeug Wolf unterwegs gewesen.

Jung: Diese Klagen haben mit der Realität nichts zu tun. Wir haben mittlerweile 700 geschützte Fahrzeuge in Afghanistan, mehr als alle anderen Nationen. Ich habe angeordnet, es wird nur noch in geschützten Fahrzeugen auf Patrouillen gefahren, und das geschieht auch. Aber welches Fahrzeug genommen wird, das muss schon der Patrouillenführer entscheiden. Die Fahrzeuge müssen da sein, und sie sind da.

SZ: Sie sagen, die Zunahme der Anschläge hat auch das taktische Ziel, die jetzt wieder anstehende Debatte über die Verlängerung der Bundeswehr-Mandate für Afghanistan zu beeinflussen. Könnte man dann die Mandate nicht länger laufen lassen? Im Endeffekt heißt das doch, dass Soldaten, die aufgrund solch taktisch motivierter Anschläge ums Leben kommen, Opfer der Gesetzeslage sind?

Jung: Als Verteidigungsminister sage ich, dort, wo wir wissen, dass ein Einsatz länger dauert, sollten wir auch über eine längere Perspektive sprechen. Aber hier habe ich das Parlament zu respektieren, und das will regelmäßig nur für ein Jahr verlängern. Hier ist das Parlament Herr des Verfahrens.

SZ: Also trägt das Parlament eine gewisse Verantwortung für die zunehmende Zahl von Anschlägen?

Jung: Das ist abwegig. Worum es mir geht: Wenn ein Soldat bei einem Anschlag ums Leben kommt, beginnt sofort eine Diskussion, raus aus Afghanistan. Und damit spielt man den Attentätern in die Hände.

SZ: Demnächst will die Nato - mit deutscher Beteiligung - Awacs-Aufklärungsflugzeuge nach Afghanistan schicken. Bedeutet das nicht eine weitere Eskalationsstufe? Schließlich koordinieren die Awacs-Besatzungen auch den Einsatz von Kampfflugzeugen.

Jung: Es geht beim Awacs-Einsatz um Flugsicherung und nicht um Feuerleitung. Da haben wir doch auch ein Eigeninteresse. Mehr als 40 Prozent des Nato-Lufttransports in Afghanistan übernimmt die Bundeswehr. Wir haben eine Zunahme im militärischen und im zivilen Flugverkehr. Der Luftraum muss sicherer werden. Diese Diskussion hat eine Schlagseite, die mit der Realität nicht übereinstimmt.

Auf Seite drei lesen Sie, welche Bilanz seiner Amtszeit Franz Josef Jung zieht.

SZ: Demnächst wollen Sie sich auch noch an einer Mission gegen Piraterie vor Somalia beteiligen. Gerät die Bundeswehr nicht an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit?

Jung: Das denke ich nicht. Wir haben jetzt circa 6500 Soldaten im Einsatz. Natürlich sind Soldaten mit Spezialkenntnissen auch überproportional stärker gefordert. Aber wir sind schon in der Lage, unseren Beitrag zu leisten, wenn es um die Bekämpfung der Piraterie im Rahmen einer EU-Mission ginge.

SZ: Aber das qualifizierte Personal - Piloten und Ärzte - läuft ihnen weg.

Jung: Deshalb sind wir dabei, die Attraktivität der Bundeswehr zu steigern. Aber für eine Offiziersstelle haben wir immer noch fünf Bewerber.

SZ: Gerade im Sanitätsbereich sind die Klagen sehr massiv.

Jung: Tatsache ist, dass wir 1,6 Prozent unserer Ärzte verloren haben. Tatsache ist auch, dass die Lage bei einigen Fachärzten schwierig ist. Dass wir dort gegensteuern müssen, ist völlig unbestritten. Aber für Panikmache gibt es keinen Anlass. Überall, wo unsere Rettungsketten gefordert waren, haben sie hervorragend funktioniert.

SZ: Herr Jung, Sie sind jetzt drei Jahre im Amt. Beim Start hatten Sie nicht nur gute Kritiken. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus?

Jung: Wenn man in solch ein herausforderndes Amt kommt, braucht man auch ein Stück Einarbeitung. Die Landespolitik ist schon etwas anderes als die Bundespolitik und als ein solches Ministerium. Wenn ich Bilanz ziehe, habe ich nicht nur die Auslandseinsätze im Kopf. Dann nenne ich Ihnen das Weißbuch, das Gesetz über die Weiterverwendung von verwundeten Soldaten, die Erhöhungen des Haushalts, Wehrsolderhöhung, das Ehrenmal - wenn ich mal Revue passieren lasse, kann sich die Bilanz aus meiner Sicht gut sehen lassen.

SZ: Hängt der Job des Verteidigungsministers daran, dass bei den Auslandseinsätzen möglichst wenig Soldaten ums Leben kommen? Wenn etwa wie bei den Franzosen zehn Soldaten auf einmal getötet würden, müssten Sie dann Ihren Hut nehmen?

Jung: Die Frage würde sich so nicht stellen. Aber wenn man sich Vorwürfe machen müsste, dass man nicht das jeweils bestmöglich Erreichbare für den Schutz der Soldaten getan hätte, dann ergäbe sich sicher eine kritische Situation.

© SZ vom 25.09.200/pir - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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