Bundespräsident in spe:Köhler verteilt Rüffel

Lesezeit: 2 min

Im Amt ist er noch nicht, die Rolle des Mahners Nummer eins hat er aber schon drauf. Adressat seiner Appelle sind nicht nur Spitzenpolitiker - der oft wegen seiner ökonomischen Denkweise kritisierte Köhler nimmt sich auch die Wirtschaftsführer zur Brust.

Der künftige Bundespräsident Horst Köhler hat an den politischen Entscheidungsträgern und manchen Wirtschaftsführern in Deutschland unmittelbar nach seiner Wahl deutliche Kritik geübt.

"Die Politik ist ein bisschen müde geworden auch zu schauen, was die Bürger wirklich bewegt. Man bewegt sich zu sehr im eigenen Brei", sagte Köhler am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Sabine Christiansen". "Wir verlieren zu viel Zeit durch Übertünchen von Problemen." Er hoffe, als Bundespräsident Anwalt der Bürger zu sein.

Köhler fordert Manager zu mehr Verantwortungsbewusstsein auf

Er wolle auch die Arbeit der Spitzenmanager kritisch begleiten, unterstrich Köhler in der Sendung. "Es ist ja nicht so, dass die Wirtschaftsführer in Deutschland sozusagen glänzen durch Einfühlungsvermögen und Vorbildfunktion."

Wenn jemand ein großes Unternehmen führe "und zweistellige Millionenbeträge in Euro an Gehalt einstreicht und gleichzeitig vermittelt, dass er zehntausende von Leuten freisetzt, dann fehlt es hier nicht nur an Instinkt, sondern auch an unternehmerischem Bewusstsein". Er wünsche sich mehr Verantwortungsbewusstsein bei den führenden Managern.

Die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) sagte bei "Sabine Christiansen", sie hätte an Köhlers Stelle "die ersten 100 Tage gewartet, bevor im mich hier gleich in die Wirtschaftspolitik reingeschmissen hätte. Er ist nicht unser Wirtschaftsminister."

"Ich werde das Amt überparteilich führen"

Union und FDP sehen in der Entscheidung für den einstigen Chef des Internationalen Währungsfonds auch ein Signal für einen Machtwechsel in Deutschland.

Köhler betonte dagegen am Sonntagabend, er sehe sich nicht als Instrument eines Machtwechsels. Dass Union und FDP seine Wahl so qualifizierten, sei ihre Sache. "Ich werde das Amt überparteilich führen", sagte er im ZDF. Er wolle nicht Ersatzkanzler oder Nebenregierung sein.

Stoiber: Köhler wird ein politischer Präsident

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber erwartete in der Passauer Neuen Presse, dass Köhler ein "sehr politischer Präsident" sein werde, wie schon seine Rede nach der Wahl gezeigt habe.

Köhler war am Sonntag mit einer knappen Mehrheit als Kandidat von Union und FDP zum Nachfolger von Rau gewählt worden. Er wurde zwar im ersten Wahlgang gewählt, erhielt aber mit 604 Stimmen nur eine mehr als für die absolute Mehrheit erforderlich.

Köhler setzte sich gegen Gesine Schwan durch, die Kandidatin von SPD und Grünen. Sie erhielt 589 Stimmen und damit 10 mehr als Rot-Grün und PDS zusammen hatten.

Schwarzer wirft Rot-Grün Zynismus im Umgang mit Schwan vor

Neun der 1204 Delegierten enthielten sich, zwei Stimmen waren ungültig. Mindestens 7 der 622 Wahlleute von Union und FDP haben für Schwan votiert. Köhler löst seinen Amtsvorgänger Johannes Rau am 1. Juli ab.

Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer warf SPD und Grünen einen zynischen Umgang mit ihrer Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan vor. "Ich fand es zynisch von Rot-Grün, im Namen des Geschlechts dieser Kandidatin um Solidarität zu bitten", sagte Schwarzer der "Rheinischen Post". "Es war natürlich klar, dass Herr Köhler gewählt wird." Von rechts bis links seien Frauen immer nur von denjenigen Parteien vorgeschlagen worden, die jeweils in der Minderheit waren.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: