Brexit-Debatte:Außen vor und doch dabei

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Gegen ein "Europa à la carte": Das EU-Parlament will mitreden in den Verhandlungen der Union mit Großbritannien. Bestimmte Forderungen der Briten stoßen bei den Abgeordneten auf Widerstand.

Von Daniel Brössler, Brüssel

In den Verhandlungen über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union hat das EU-Parlament seinen Machtanspruch geltend gemacht. In den derzeit auf hochrangiger Beamtenebene laufenden Gesprächen machten Vertreter des Parlaments nach Informationen der Süddeutschen Zeitung klar, dass sie Einfluss auf die gesamte Vereinbarung wünschen. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte in der vergangenen Woche als Verhandlungsgrundlage für das Gipfeltreffen am 18. und 19. Februar ein Kompromisspapier vorgelegt. Die Einigung soll dann als völkerrechtlich verbindlicher Vertrag von den Staats- und Regierungschefs geschlossen werden.

So gesehen wäre das Europäische Parlament außen vor. Mehrere Punkte in Tusks Kompromisspapier können allerdings nur umgesetzt werden, wenn sie im normalen EU-Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden. Das gilt insbesondere für die "Notbremse", die es Großbritannien erlauben soll, Neuankömmlinge aus anderen EU-Staaten erst nach vierjähriger Arbeitstätigkeit in den Genuss bestimmter Sozialleistungen kommen zu lassen. Das Parlament will dies als Hebel nutzen, um Einfluss auf die gesamte Einigung zu nehmen. Drei Abgeordnete nahmen am Freitag an den Beratungen der Sherpas teil, der europapolitischen Chefberater der Staats- und Regierungschefs. An diesem Montag soll es ein Treffen der EU-Unterhändler, der Parlamentsvertreter sowie der britischen Seite geben.

Auf starke Bedenken im Europaparlament stößt Tusks Vorschlag zum Auftrag der EU-Verträge, eine "immer engere Union der Völker" zu verwirklichen. Er soll auf britischen Wunsch hin so interpretiert werden, dass dies "nicht mit dem Ziel der politischen Integration gleichzusetzen" sei. "Die EU als politisches Projekt aufzugeben kommt nicht infrage", sagte der Europaabgeordnete Elmar Brok (CDU) der SZ. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses ist Mitglied der dreiköpfigen Verhandlungsdelegation des Parlaments. Ihr gehören auch der Fraktionschef der Liberalen, der Belgier Guy Verhofstadt, sowie der italienische Sozialdemokrat Roberto Gualtieri an.

Luxemburg warnt vor zu großen Zugeständnissen an den Finanzplatz London

Am Freitag hatte auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) vor einem "Europa à la carte" gewarnt. Bestimmte Forderungen Londons würden auf Widerstand im Europaparlament stoßen, sagte er in einer Rede in der London School of Economics. Kritik äußerte er an der Forderung nach Anerkennung mehrerer Währungen der EU. "Die Währung der EU ist der Euro, die Verträge sind klar, was das angeht, und die Verträge garantieren Großbritannien auch eine Opt-out-Möglichkeit", sagte Schulz. Für das Europaparlament sei es "inakzeptabel", einem Mitgliedstaat ein Vetorecht in Fragen einzuräumen, die die Euro-Zone beträfen. Schulz warnte in dem Zusammenhang vor einer "Lähmung der Euro-Zone". Am Donnerstag war Schulz zum wiederholten Male mit Premierminister David Cameron zusammengekommen.

Cameron und andere britische Regierungsvertreter bemühen sich schon seit geraumer Zeit um das EU-Parlament. Verhandlungsteilnehmer loben, dass sich die britische Seite "klug und konstruktiv" verhalte. Die EU-Kommission hatte die Briten frühzeitig gewarnt, die Rolle des Parlaments nicht zu unterschätzen.

In den bisherigen Verhandlungen ist klar geworden, dass Bedenken allerdings keineswegs nur von Parlamentsseite geäußert werden. So warnte nach SZ-Informationen in den Gesprächen am Freitag Luxemburg vor zu großen Zugeständnissen an Großbritannien in der Bankenaufsicht. Hier dürfe es keine Wettbewerbsverzerrung zugunsten des Finanzplatzes London geben. Die Bedenken sollen von mehreren anderen EU-Staaten geteilt werden.

Auf einer Tour durch die Europäische Union wirbt Cameron derzeit für eine Einigung. Positive Signale erhielt er am Freitag in Polen, wo Einschränkungen der Arbeitnehmer-Freizügigkeit kritisch gesehen werden. Jarosław Kaczyński, der Chef der seit 2015 regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit, sagte nach einem Treffen mit Cameron, Polen habe eine zufriedenstellende Lösung mit Großbritannien erreicht. Demnach würden die "vollen Rechte" der bereits auf der Insel lebenden Polen gewahrt.

© SZ vom 08.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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