Bremen vor der Bürgerschaftswahl:Die Suche nach dem kleinen Unterschied

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Seit zwölf Jahren regiert den Stadtstaat eine Große Koalition, die Kontrahenten fahren auf Kuschelkurs. Nun stellen SPD und CDU fest, dass links und rechts von ihnen viel Platz entstanden ist.

Ralf Wiegand

Die kleine Gehässigkeit des Moderators gefror das Lächeln des Kandidaten ein wie der Biss in eine Zitrone. Im letzten Hearing der Spitzenkandidaten von SPD, CDU, Grünen und FDP vor der Wahl zur Bürgerschaft am Sonntag bat Axel Schuller, Chefredakteur der Anzeigenpostille Weser Report, die Diskutanten zu einer Art Koalitionsreise nach Jerusalem. Ein jeder auf dem Podium sollte sich neben jenen Kollegen setzen, von dem er am ehesten überzeugt ist, mit ihm Bremens Probleme lösen zu können.

Nahe beieinander: CDU und SPD in Bremen. (Foto: Foto:)

Das Spielchen rief zunächst nur verlegenes Lächeln hervor, niemand rührte sich vom Stuhl - bis Thomas Röwekamp kess den Finger hob. "Ich möchte mich gerne umsetzen", rief der CDU-Spitzenkandidat und deutete prompt auf den Platz neben Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD). Das wundere ihn nicht, ätzte Moderator Schuller da: "Ich dachte, Sie möchten sogar auf den Schoß von Herrn Böhrnsen."

Die Verhältnisse in der Bremer Politik, die am Wochenende die einzige Landtagswahl des Jahres in Deutschland organisiert, sind damit schon beschrieben. Thomas Röwekamp, der enorm ehrgeizige Herausforderer der CDU, 40 Jahre alt, seit vier Jahren Innensenator und Ko-Bürgermeister in der Großen Koalition, ist stramm auf Kuschelkurs.

Neonazis im bunten Viertel

"Die letzten zwölf Jahre haben Bremen gutgetan", sagt er. Und Platzhirsch Jens Böhrnsen, 57, sortiert die Angebote der Schwarzen und der Grünen, ohne sich vom Fleck zu rühren: "Erst hat der Wähler das Wort, dann die Politik." Die Folge ist, dass die SPD, nach allen Umfragen deutlich stärkste Kraft im Land, keine Angriffe abzuwehren hat, weil die möglichen Juniorpartner von CDU und Grünen die große Schwester nicht vergrätzen möchten. Der Wahlkampf ist entsprechend fad.

Andrea Müller findet die Bremer Politik sogar schon länger langweilig, langweilig und irgendwie auch nicht ganz ungefährlich. Früher war er Mitglied der SPD, aus dieser Zeit kennt er auch noch Jens Böhrnsen sehr gut. Die beiden duzen sich in bester Genossentradition. Müller aber sagt: ,,Ich bin an dem Tag aus der Partei ausgetreten, an dem die Große Koalition geschlossen wurde.'' Das war 1995. Müller ahnte, was Große Koalition für ihn bedeutet: mehr Arbeit.

Müller ist pädagogischer Leiter des Lidice-Hauses, einer Jugendbildungsstätte, die mit Sorge das Wiedererstarken des Rechtsextremismus beobachtet und zum Beispiel Eltern berät, deren Kinder in rechte Kreise geraten sind. Am Dienstag wollten Müller und seine Leute an einem Stand in der Bremer Innenstadt das Projekt ,,Rot-Bunte Karte gegen Rechts'' vorstellen, aber der Wind pustete die Stellwände um. Die Aktion, zu der auch Jens Böhrnsen eingeladen war, fiel aus.

Zum Ausgleich lud der Bürgermeister die Gruppe in sein Büro ein, Rathaus, erster Stock. Da hörte er sich an, was die Rechten so machen in der Stadt und im Umland. ,,Die Große Koalition muss sich fragen, welchen Einfluss ihre Existenz auf die Parteien an den Rändern hat'', sagt Böhrnsen. ,,So viel Platz haben sie ja noch nie gehabt.'' Links übrigens auch nicht, dort hat die Linkspartei gute Chancen auf den Einzug ins Parlament, es wäre eine Premiere in den alten Bundesländern.

Müller kann gut erklären, wie sich die politische Kultur in Bremen verändert hat in den letzten Jahren. Die traditionell linke Stadt, seit 60Jahren von der SPD regiert, einst als rote Kaderschmiede verschrieen, eine gemähte Wiese für den Aufstieg der Grünen in den achtziger Jahren, ist irgendwie unpolitischer geworden. Die Rechten, sagt Müller, seien im Alltag der Stadt präsenter als früher. ,,Früher zum Beispiel war ,das Viertel' ein No-Go-Area für Rechte.''

Im Viertel lebt das bunte Bremen, da sind Künstler und Studenten ohne Geld und Lehrer mit Geld, da sind angesagte Clubs und alteingesessene Musikkeller. Jetzt würden sich die Neonazis, etwa nach Fußballspielen, bewusst Kneipen im Viertel aussuchen. ,,Sie besuchen die gleichen Diskos, sie zeigen Flagge. Das wäre früher undenkbar gewesen'', sagt Müller. Dass das die Schuld der aktuellen Politik ist, sagt der Streetworker nicht.

Große Koalition "nicht spannend"

Aber dass eine Große Koalition viel Platz an den Rändern lässt, das sagt er schon: ,,Mein bevorzugtes Politik-Modell ist es jedenfalls nicht.'' Das Desinteresse der Leute wird sich wohl an der Wahlbeteiligung messen lassen. Die Angst ist, dass sie unter 60Prozent sinkt. Briefwähler haben zum ersten Mal einen frankierten Rückumschlag bekommen. Trotzdem sind dem Vernehmen nach die Zahlen rückläufig.

,,Große Koalition ist nicht spannend'', sagt Thomas Röwekamp. Er hat sich auf einem der quadratischen Hocker bequem gemacht, die in seinem Café auf Gäste warten. Sein Café ist es natürlich nicht, es heißt nur fast so wie er, Café Röwekämp. Bremens Christdemokraten haben sich die Idee von den Kollegen in Hamburg abgeschaut, die im letzten Wahlkampf das Café Ole eingerichtet hatten.

Jetzt gibt es auch in Bremen eine Lounge im neuen Partei-Orange, in der es alles umsonst gibt: Kaffee, Cola, Kekse und gute Tipps für die Wahl. ,,Guten Tag, ich bin Thomas Röwekamp, geht es Ihnen gut?'', sagt Thomas Röwekamp, wenn er im Röwekämp die Gäste begrüßt, die so versonnen im Latte Macchiato rühren, als würden sie denken: Ach, der ist das. Am 14. Mai ist der Laden wieder dicht.

Thomas Röwekamp ist ein sportlicher Typ, der dienstags schon um sieben Uhr mit Freunden im Renn-Achter über die Weser rudert. Ruderer sind zähe Typen. Im Rathaus gilt der Mann als überaus klug, er habe eine schnelle Auffassungsgabe, könne Situationen blitzschnell analysieren. Dazu sei er ehrgeizig bis an die Grenze der Rücksichtslosigkeit, sagt einer aus dem inneren Rathaus-Zirkel: ,,Zum Feind möchte ich ihn nicht haben.''

In Erdmännchen-Haltung

Dabei wirkt der Senator bisweilen wie ein Praktikant in der großen Politik. Neulich hatte er die Unions-Innenminister zu Gast, und bei der Pressekonferenz danach verzweifelten Kameraleute und Fotografen schier an Röwekamp. Der sicherte, als er die Ergebnisse der Konferenz mitteilte, fast jeden Satz mit einem hastigen Blick nach rechts oder links ab. Dort saßen Bundesinneminister Wolfgang Schäuble, der bayerische Ressortkollege Günther Beckstein und Volker Bouffier aus Hessen, die große Politik. Röwekamps Kopf flog hin und her wie bei einem Erdmännchen in Alarmhaltung. Es gab einfach keine anständigen Bilder.

Man wüsste gerne, wie selbstbewusst Röwekamp auftreten würde, wenn er die SPD wirklich attackieren dürfte. Wenn er keine Koalitionsaussage zur Fortsetzung von Rot-Schwarz gemacht hätte. Wenn er nicht die Rolle des Juniorpartners spielen müsste, weil es eine andere Chance, an der Regierung zu bleiben, nicht gibt. Wenn er zum Beispiel zu einem Thema wie der Lehrtätigkeit der Ex-Terroristin Susanne Albrecht vom Leder ziehen dürfte, wie es ihm gefällt.

Der Fall der Susanne Albrecht, der ja eigentlich keiner mehr ist, weil die Frau schon lange anders heißt und ein Leben führt, das mit der Person, nach der einst gefahndet wurde, die verurteilt und ins Gefängis gesteckt wurde, nicht mehr viel zu tun hat, dieser Fall lockte die Kandidaten wenigstens einmal aus der Reserve.

Bis dahin stritten sie sich über Themen, die ohnehin nicht in Bremen zu entscheiden sind: Für oder gegen Mindestlohn, pro und contra Unternehmenssteuer, ein bisschen Berliner Politik halt. Oder sie teilten unstrittige Ansichten: Dass der Schutz von Kindern höchste Priorität haben muss, wer wollte das bezweifeln in der Stadt, in der Kevin zu Tode gequält wurde, ein zweijähriges Kind, das unter staatlicher Vormundschaft stand?

Wenn es einen Sinn hatte, dass der Fall Susanne Albrecht öffentlich diskutiert wurde, dann den, dass das Kissen der Beliebigkeit wenigstens einmal aufgeschüttelt worden ist in diesem Wahlkampf. Die Ex-RAF-Terroristin war Anfang der neunziger Jahre in Stuttgart zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Einen Teil der Strafe sollte sie in Bremen verbüßen, auch den Freigang gewährte ihr das Stuttgarter Gericht, später Bewährung. In Bremen fand die Pädagogin Anstellung beim Verein Stadtteilschule eV., der Lehrkräfte an Grundschulen ausleiht. So kam es, dass sie Migrantenkindern Deutsch beibrachte, bereits als Freigängerin.

Bremen, die statistische Sphinx

,,Der Rechtsstaat sagt: Wenn jemand verurteilt worden ist, bekommt er eine zweite Chance im Leben'', sagt Jens Böhrnsen. Das entspreche seiner Wertvorstellung. Thomas Röwekamp sagt: ,,Ich kann mir als Vater nicht vorstellen, dass meine Kinder von Straftätern unterrichtet werden. Das ist meine Wertewelt.'' Da haben die Wähler wenigstens eine Alternative.

Röwekamp spricht von Albrecht als Terroristin, nicht als Ex-Terroristin. Er unterstellt eine ,,Resozialiserung de Luxe'', eben weil sie eine Terroristin gewesen sei. Er redet davon, dass jeder Hausmeister ein Führungszeugnis brauche, diese Frau aber nicht. ,,Ein Skandal'', findet Röwekamp. Ein ,,zweifelhaftes Verständnis vom Rechtsstaat'' hält Böhrnsen im vor. Jede Strafe würde einmal aus den Registern getilgt, das müsse er doch wissen. Und dass Röwekamp den früheren Bürgermeister Henning Scherf, seinerzeit Senator für Bildung, einen Helfershelfer von Terroristen genannt habe, sei eine Entgleisung, für die sich Röwekamp noch entschuldigen müsse.

Jens Böhrnsen fährt ja selten aus der Haut. Den ganzen Tag hatte er den Wahlkampf gemacht, der ihm besser liegt: Hatte mit Besuchern einer Begegnungsstätte Kaffee getrunken zum 40.Geburtstag der Einrichtung, hatte sich mit Andrea Müller und dessen Freunden getroffen, ist schließlich zu den SPD-Senioren nach Bremen-Nord gefahren in ein Lokal, das ,,Strandlust'' heißt. Böhrnsen misst die Lebensqualität einer Stadt wie Bremen am Miteinander in den Quartieren: ,,Wie wir uns wohlfühlen, entscheidet sich in den Stadtteilen.'' Vielleicht ist deshalb die Abstimmung in Bremen aus Berliner Sicht nur eine große Kommunalwahl.

Es ist ja auch schwer zu verstehen, was in diesem Mikrokosmos aus zwei Städten vorgeht. Bremen ist schon allein statistisch eine Sphinx: Hat die meisten Polizeireviere pro Einwohner aller Länder - ist aber drittgefährlichste Großstadt der Republik. Viele Reviere sind aus Kostengründen nachts geschlossen. Bremen gibt pro Einwohner am meisten Geld für seine Studenten aus - pro Student aber am wenigsten. Bremen ist nach Hamburg die Region mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt - doch mit 14 Milliarden Euro so verschuldet, dass es sich selbst nicht mehr helfen kann. Das liegt daran, dass Steuern, die in Bremen erwirtschaftet werden, nicht dort bleiben, weil viele Menschen im niedersächsischen Umland leben.

Doch ein Partnerwechsel?

Aus dieser Lage seiner Stadt leitet Böhrnsen das Recht ab, unbeeinflusst von Dritten Bremer Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel, schon seit 1991 eine rot-grüne Koalition zu verweigern, obwohl eine solche Allianz Wahl für Wahl rechnerisch möglich war. Die Grünen mögen hoffen, dass Böhrnsen, anders als sein Vorgänger Scherf, der sogar sein Amt mit dem Fortbestand der Großen Koalition verband, sie als Partner ernst nimmt. Andere in der SPD sind sicher, dass nur die Verweigerung gegen Rot-Grün der SPD ihre starke Position erhalten hat.

Wie Böhrnsen wirklich denkt, wie stark er gegenüber seiner Fraktion ist, die zum Partnerwechsel tendiert, bleibt zunächst offen. Im direkten Duell fuhr er Röwekamp an, nicht jeden Satz mit Hinweis auf ein drohendes rot-grünes Chaos zu schließen, ,,Sie haben da ja schon eine Phobie.'' - ,,Dann legen sie sich halt endlich fest'', erwiderte Röwekamp.

Das wird bis Sonntag nichts mehr werden. Um wieder auf Böhrnsens Schoß zu kommen, muss Röwekamp kämpfen, und er ist bereit dazu. Der Kandidat will deshalb am Sonntag schon um acht Uhr zur Wahl gehen, weil er vorher wie wochentags jogge. Röwekamp ist sogar noch eifriger: Er will am Sonntag noch Wahlkampf machen, zwischen zehn und zwölf an Tankstellen und vor Sonntagsbäckereien.

© SZ vom 10.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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