Brasilien:Roter Stern über dem Moloch

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Brasiliens Arbeiterpartei ist beliebt, obwohl sie jüngst in den größten Korruptionsskandal in der Geschichte des Landes verwickelt war. Die Politstars Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff haben nun sogar ihren Wunschkandidaten an die Spitze der Wirtschaftsmetropole São Paulo gehievt - obwohl ihn bis vor kurzem kaum einer kannte.

Peter Burghardt

Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff entwickeln in Brasilien ungeahnte Kräfte. Jetzt haben sie sogar in der Wirtschaftsmetropole São Paulo den Durchbruch geschafft. (Foto: AP)

Als die Arbeiterpartei PT Brasilien eroberte, da war für sie São Paulo Festung und Feindesland zugleich. Noch während der rechten Militärdiktatur wurde die linke Formation 1980 in der größten Stadt des Landes gegründet, angeführt vom Gewerkschafter Luiz Inácio Lula da Silva. Hier begann damals Lulas Aufstieg vom Barrikadenkämpfer zum Weltpolitiker, vor zehn Jahren schaffte er es: Im Oktober 2002 wurde der bärtige Rebell zum Präsidenten gewählt und 2006 erneut.

2010 half Lulas Beliebtheit dabei, dass die Wähler seine Kandidatin Dilma Rousseff zur Nachfolgerin bestimmten. Jedes Mal feierte die PT ihre Siege auf der Avenida Paulista, der Prachtstraße zwischen São Paulos Bankentürmen. Nur auf kommunaler Ebene wollte sich der Erfolg lange nicht so recht einstellen. Bis jetzt. Am Sonntagabend konnte die Arbeiterpartei die Reconquista eines verlorenen Terrains feiern.

Das Rathaus des Molochs hatte die PT ja zuvor nur zweimal gestürmt. Zwischen 1989 und 1993 regierte dort Luiza Erundina und zwischen 2001 und 2005 die Psychologin und Sexualberaterin Martha Suplicy, seither beherrschte die konservative Opposition die aufstrebende Metropole und ihre umliegende Wachstumsregion. Zwar ist der rote PT-Stern inzwischen deutlich verblichen, die sozialistischen Wurzeln haben sich in ein pragmatisches und sozialdemokratisches Fundament verwandelt.

Einer konservativen Mehrheit der Bürger im wichtigsten Wirtschaftszentrum der Republik allerdings war die PT trotzdem suspekt. Wieder schien die national dominierende Arbeiterpartei im Häusermeer São Paulos unterzugehen. Doch vor der Stichwahl am vergangenen Sonntag stiegen Lula und Dilma in den Ring und präsentierten erfolgreich ihren Bewerber. So wird nun Fernando Haddad Bürgermeister der elf Millionen Einwohner, obwohl ihn bis vor kurzem kaum jemand kannte.

Der Sohn eines libanesischen Einwanderers kämpfte während des Regimes der Generäle als Studentenführer für die Rückkehr zur Demokratie, später machte er als politischer Akademiker Karriere. PT-Mitglied Haddad, 49, ist Jurist, Ökonom und Philosoph. Der smarte Intellektuelle dozierte an der Universität seiner Heimatstadt, war Analyst bei Unibanco, arbeitete für die frühere Bürgermeisterin und den jetzigen Wirtschaftsminister Guido Mantega. Und er war zuletzt fast sieben Jahre lang Erziehungsminister in den Kabinetten von Lula und Dilma Rousseff. Ohne die beiden hätte er seinen Rivalen José Serra wohl kaum so deutlich bezwungen.

Erst Rousseff und Lula brachten Beliebtheit

Vor der ersten Wahlrunde hatte Haddad noch fürchten müssen, früh auf der Strecke zu bleiben. Favoriten waren andere gewesen: ein Kandidat, der den immer mächtiger werdenden protestantischen Freikirchen nahesteht; sowie José Serra aus der oppositionellen PSDB. Erst als Präsidentin Rousseff und vor allem Volksheld Lula mit Haddad Wahlkampf machten, gewann er an Beliebtheit und setzte sich nun mit mehr als 55 Prozent der Stimmen durch.

Für den Verlierer Serra ist es eine wahrhaft traumatische Niederlage. Der ehemalige Bürgermeister und Gouverneur von São Paulo hatte mit seiner Formation PSDB bereits die Präsidentschaftswahlen gegen Lula und Dilma Rousseff verloren.

Der alte Fuchs Lula bewies einmal mehr Instinkt. "Ich bin Lulas zweiter Laternenpfahl", scherzte Fernando Haddad. Bereits vor zwei Jahren, als Lula die spröde Rousseff als Erbin präsentierte, hatte man gewitzelt, Lula hätte auch einen Laternenpfahl aufstellen können, der wäre wegen seiner Popularität ebenfalls gewählt worden. Mittlerweile ist sie fast so beliebt wie er. Zwischenzeitlich litten beide unter Krebserkrankungen. Jetzt gelten beide als geheilt, sogar den größten Korruptionsskandal der brasilianischen Geschichte scheint die Regierungstruppe zu überstehen. PT- Funktionäre wie Lulas früherer Kabinettschef José Dirceu standen vor dem obersten Gericht, ihnen stehen wegen Stimmenkaufs mit öffentlichem Geld lange Haftstrafen bevor. Die eiserne Rousseff entließ mehrere Minister, die als Kleptomanen entlarvt wurden.

Nun empfing die Präsidentin am Montag im Palacio Planalto der Hauptstadt Brasilia ihren neuen Statthalter aus São Paulo, den künftigen Bürgermeister Fernando Haddad. Auch für sie ist sein Erfolg ein später Triumph, die einstige Guerillera Rousseff war in ihrer Jugend vor 40 Jahren von der Armeejunta mitten in São Paulo gefoltert worden.

Seither hat sich das Monstrum São Paulo zum Symbol des Aufsteigers Brasilien verwandelt. Die Region ist Deutschlands größter Industriestandort im Ausland. Die Megalopolis ist schick und verkommen zugleich, verstopft und freigeistig, luxuriös und verschuldet, freundlich und kriminell. Fernando Haddad will "die Ungleichheit verringern, die Mauer der Schande niederreißen, die die reiche und die arme Stadt trennt".

© SZ vom 31.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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