Börsensteuer:Der tote Gaul der Kanzlerin

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Seit Jahren verspricht Angela Merkel, eine Börsensteuer einführen zu wollen. Sie weiß sogar schon, wofür das Geld verwendet werden soll. Nur, die Steuer wird nie kommen; diesmal hat der französische Präsident gebremst. Vielleicht setzt sich die Kanzlerin auch genau deshalb für die Steuer ein.

Von Nico Fried

In dieser Woche ist ein Projekt erneut verschoben worden, von dem die Kanzlerin seit acht Jahren behauptet, dass sie es wolle, obwohl sie längst kapiert haben dürfte, dass es auf absehbare Zeit nicht kommt. Dieses Projekt ist die Finanztransaktionssteuer. Seit Angela Merkel sich die Abgabe auf Börsengeschäfte auf die Fahne geschrieben hat, steht die Begeisterung, mit der sie zu erwartende Einnahmen für verschiedene Zwecke verplant, in diametralem Gegensatz zum Erfolg ihrer Bemühungen, das Geld auch wirklich einzutreiben. Daraus entsteht ein politischer Schaden, den man nicht wie den finanziellen in Euro messen kann, der aber genau so beklagenswert ist.

Es war der französische Präsident, der die Planungen für eine Transaktionssteuer jetzt zurückstellen ließ. Emmanuel Macrons wichtigstes Argument sind die unklaren Folgen des Brexit für die Börsenplätze Europas; sein wichtigster Claqueur aber ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Selbst größte Zyniker dürften sprachlos vor der Tatsache stehen, dass als erste konkrete Ergebnisse des neuen deutsch-französischen Elans in dieser Woche der Bau eines Kampfjets und der Verzicht auf eine Besteuerung der Finanzindustrie herausgekommen sind.

Im Wahlkampf 2009 hat sich Angela Merkel die Forderung der SPD nach einer Börsensteuer zu eigen gemacht, die niemals so populär war wie in den Jahren nach der Finanzkrise. Schon diese Idee der Kanzlerin war von zweifelhafter Qualität. Denn die Verwirklichung einer Finanztransaktionssteuer ist noch weitaus komplizierter als ihr Name, weil sie in den Voraussetzungen ihres Gelingens bereits die Zwangsläufigkeit ihres Scheiterns trägt. Die mangelnde Existenzfähigkeit steht quasi im Gen-Code der Steuer. Denn einerseits funktioniert sie nur, wenn viele mitmachen. Andererseits steigt mit der Zahl derer, die sie angeblich einführen wollen, auch die Zahl der Vorstellungen davon, wie sie aussehen soll. Da will dann jeder seine Ausnahmen. Wolfgang Schäuble - Ehre, wenn ihm Ehre gebührt - hat das mal auf den schönen Satz gebracht, dass selbst ein Schweizer Käse nicht nur aus Löchern bestehen könne.

Der zweite und bedeutendere Fehler Merkels war, dass sie eine schwer zu verwirklichende Steuer auch noch politisch und moralisch völlig überladen hat. Mal sollte das Geld in den Klimaschutz fließen, dann sollten damit Folgen der Finanzkrise beseitigt werden. 2010 erklärte die Kanzlerin die Steuer als Ausgleich der Kürzungen von Sozialleistungen zum Beitrag der Wirtschaft für eine gerechte Lastenteilung im großen schwarz-gelben Sparpaket. Von 2012 an sollten jährlich zwei Milliarden in den Bundeshaushalt fließen - ergibt bis heute einen Fehlbetrag von zehn Milliarden. Der zweite Beitrag der Wirtschaft sollte übrigens die Brennelementesteuer sein, ebenfalls mit rund zwei Milliarden Euro jährlich. Die eine Steuer gibt es bis heute nicht, den Ertrag der anderen musste der Bund wegen ihrer Verfassungswidrigkeit gerade komplett zurückzahlen.

Die politischen Folgen einer solchen Unwucht liegen auf der Hand: Der ewige Aufschub der Transaktionssteuer muss den Eindruck verstärken, dass für die Rettung der Finanzindustrie alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, nicht aber für ihr Mitwirken an der Schadensbegrenzung. Und die Weigerung, vom toten Gaul der Börsensteuer endlich abzusteigen, verhindert die Suche nach besseren, weil praktikableren Möglichkeiten, dem Gerechtigkeitsempfinden Genüge zu tun. Es sei denn, die Kanzlerin setzt sich gar nicht für die Transaktionssteuer ein, obwohl sie weiß, dass die nicht kommt. Sondern weil.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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