Blogs im US-Wahlkampf:Die mächtigen Nachbarn aus dem Internet

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Politblogger sind im Hauptfeld der amerikanischen Medien angekommen. Die Präsidentschaftskandidaten umwerben sie wegen ihres Einflusses - und fürchten sie wegen ihrer Enthüllungen und Gerüchte.

Johannes Kuhn

Einmal wöchentlich greift der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain zum Hörer und bittet zur Telefonkonferenz. Doch es sind keine Journalisten, die am anderen Ende der Leitung lauschen - es sind Blogger, die dem Senator ihre Fragen stellen dürfen.

Die Logos von Republikanern und Demokraten (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

McCain ist nicht der einzige Kandidat, der die amerikanische Blogosphäre umgarnt. Im Jahr 2007 sind die US-Politblogger endgültig im Hauptfeld der Medien angekommen. "Als ich 2003 zu schreiben anfing", sagt Dana Houle vom liberalen Blog Daily Kos, "hat sich niemand für uns interessiert. Im August diesen Jahres kamen bis auf Joe Biden alle demokratischen Präsidentschaftskandidaten auf unsere Yearly-Kos-Konferenz".

Der Aufstieg der Blogs begann vor fünf Jahren: Im Dezember 2002 pries der damalige republikanische Minderheitsführer Trent Lott auf einer Geburtstagsgala die Politik eines früheren Senators von South Carolina, Strom Thurmond. "Wir hätten ihn gewählt", erklärte Lott in Anspielung auf Thurmonds Präsidentschaftskandidatur im Jahre 1948, "denn wenn ihm der Rest des Landes gefolgt wäre, hätten wir all diese Probleme über die Jahre hinweg nicht gehabt."

Pikanterweise war der Republikaner damals angetreten, um jeden Preis die Rassentrennung aufrechtzuerhalten. Nachdem die etablierten Medien die Aussage zuerst ignorierten, verbreitete sich das Zitat in liberalen Blogs wie ein Lauffeuer und geriet so doch noch in die Schlagzeilen. 14 Tage später war mit Lott einer der mächtigsten Politiker der USA zurückgetreten.

Zum Massenphänomen wurden die Blogs spätestens mit dem Irakkonflikt 2003, als die Anti-Kriegs-Bewegung dort ihren Widerstand gegen die Bush-Regierung artikulierte. Ein Jahr später traten erstmals auch konservative Blogs in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Nicht nur, weil sie den demokratischen Kandidaten John Kerry hart angriffen, sondern auch wegen ihrer Enthüllung, dass CBS ein Bush-kritisches Stück schlampig recherchiert hatte. Die Folge: Journalistenlegende Dan Rather musste vorzeitig in Rente gehen.

Heute zählt Daily Kos, der größte politische Blog des Landes, rund 15 Millionen Besucher pro Monat. Mit drei Angestellten und vielen freiwilligen Schreibern ist es selbst eine kleine Medienfirma geworden.

"Ich glaube, dass die traditionellen Medien in den letzten Jahren den Fehler gemacht haben, zu ausgewogen berichten zu wollen", bringt Houle den Erfolg mit dem Verhältnis von Presse und Fernsehen zur Bush-Administration in Verbindung, "damit haben sie in vielen Fällen die wirklichen Hintergründe der Geschichte verpasst."

Die etablierten Medien werden mit dem Vorwurf der Ausgewogenheit wohl leben können - auf eine subjektivere, minutenschnelle Kommentierung von Debatten und Ereignissen verzichten können sie jedoch nicht. Alle Meinungsführer, ob New York Times, Washington Post, The Atlantic oder ABC, haben ihre Online-Präsenzen für den Wahlkampf längst mit Blogs bestückt, die teilweise von namhaften Politikredakteuren geführt werden.

Obwohl die Mehrheit der Amerikaner immer noch das Fernsehen nutzt, um sich über den Wahlkampf zu informieren, gaben bei der letzten Präsidentschaftswahl immerhin 18 Prozent das Internet als erste Anlaufstelle an. Nächstes Jahr dürfte sich laut einer Studie des PEW Research Center die Quote nochmals erhöhen.

Aaron Smith, Mitarbeiter des Washingtoner Think Tanks PEW, beschreibt die Rolle der klassischen Politikblogs deshalb so: "Was für viele Menschen früher der Nachbar oder Arbeitskollege war, der sich mit Politik auskannte, sind heute die Blogs: Autoritäten, die bei der Entscheidungsfindung helfen."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, ob die Blogger von Enthüllern zu unfreiwilligen Propaganda-Helfern geworden sind.

Weil jeder Politiker gerne der Freund des einflussreichen Nachbarn sein möchte, versuchen die Kampagnenteams der Präsidentschaftskandidaten entsprechend, die Blogger mit Informationen und Gerüchten zu versorgen.

Dies führt dazu, dass das Internet zu einem neuen Schlachtfeld der Kandidaten-PR geworden ist. George W. Bushs ehemaliger Wahlkampfberater Dan Bartlett zeichnete jüngst im Interview mit dem Magazin Texas Monthly ein wenig schmeichelhaftes Bild von den Bloggern: "Es funktioniert wie eine direkte Injektion in die Adern deiner Unterstützer. Sie kotzen genau das heraus und setzen es auf ihre Blogs, was du ihnen gesagt hast."

Werden die Blogs also von Enthüllern zu unfreiwilligen Propaganda-Helfern? "Natürlich gibt es diese Gefahr", sagt Daily-Kos-Schreiberin Houle, "doch nur die wenigsten Blogger übernehmen die ungefilterten Botschaften der Kandidaten."

"Aber Blogs müssen natürlich genauso skeptisch betrachtet werden wie die traditionellen Medien", ergänzt sie. Tatsächlich finden sich neben fundierten Analysen über die Kandidaten und deren Programme auch allerhand Schimpftiraden und ungeprüfte Gerüchte.

So spekulierten im November zahlreiche Blogger über eine lesbische Affäre zwischen Hillary Clinton und einer ihrer Beraterinnen. Die Grundlage war schlicht ein Hörensagen-Gerücht, das besagte, die Los Angeles Times halte Informationen über einen Sex-Skandal eines Präsidentschaftskandidaten zurück.

Wirkliche Enthüllungen wie in den vorangegangenen Wahlkämpfen bleiben derweil noch aus - vielleicht, weil einige Blogger inzwischen die Seiten gewechselt haben und die Kandidaten im Umgang mit Nachrichten aus dem Netz beraten.

Wie das funktioniert, zeigte jüngst das Wahlkampfteam von Rudy Giuliani. Ein Artikel von Politikblogger Ben Smith, dem ehemaligen Reporter der New York Daily News, hatte auf der unabhängigen Nachrichtenseite Politico für Wirbel gesorgt: New Yorks Ex-Bürgermeister habe möglicherweise Stadtgelder für Reisen zu seiner Geliebten verwendet, so Smiths Vorwurf.

Weil sein Artikel jedoch nur wenige Stunden vor einer wichtigen republikanischen Fernsehdebatte an die Öffentlichkeit gelangte, stellte sie das Giuliani-Wahlkampfteam sogleich als gezielte Hetzkampagne eines Kontrahenten dar. Die Diskussion spaltete sich in der Folge auf: Während sich die liberalen Blogs mit Smiths Artikel beschäftigte, fanden viele konservative Blogger eine andere Frage spannender: Sie überlegten, welcher der Rivalen hinter der Veröffentlichung stecken könnte.

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