Bildungspolitik:"Der Schlüssel heißt Durchlässigkeit"

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Jedes Jahr bleiben Zehntausende Jugendliche ohne Abschluss. Bildungsministerin Schavan und CDU-Fraktionsgeschäftsführer Röttgen fordern deshalb erheblich mehr Mittel für die frühe Förderung.

Stefan Braun

In der Union beginnt eine neue Debatte um die Bedeutung der Bildung. Zwei Bundespolitiker der CDU wollen der Bildungspolitik auf nationaler Ebene ein deutlich größeres Gewicht geben und sprechen sich für ein grundsätzlich neues Verständnis der Bildung in der deutschen Politik aus.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan zeigt im Berliner Technikmuseum ihre Freude um Zündeln. (Foto: Foto: dpa)

Bundesbildungsministerin Annette Schavan und Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen fordern in einer gemeinsamen Initiative, massiv in die frühkindliche Bildung, aber auch in die Ausstattung von Grund- und Hauptschulen zu investieren.

Über das Ziel sagte Schavan der Süddeutschen Zeitung: "Unser Bildungssystem braucht neue Impulse. Wir brauchen einen Modernisierungsschub und eine strategische Partnerschaft von Bund, Ländern und Gemeinden."

Kein Mensch verstehe es, wenn die Politik auf EU-Ebene über Angleichung der Abschlüsse, über Flexibilität und Mobilität rede, das Gleiche aber zwischen den Bundesländern nicht funktioniere. Das System genüge internationalen Ansprüchen nicht mehr, es gebe nicht mehr alle notwendigen Antworten auf die demographische Entwicklung.

"Jeder Jugendliche muss sich gebraucht fühlen"

"Globalisierung macht nicht halt vor dem Bildungssystem." Das Resümee Schavans, die auch stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende ist: "Wir brauchen ein Bildungssystem, in dem jeder Jugendliche spürt, dass er gebraucht wird."

Ausgangspunkt für die Initiative der beiden CDU-Politiker ist die Tatsache, dass Jahr für Jahr 80.000 Jugendliche ohne Schulabschluss bleiben. "Das ist unfair den Jugendlichen gegenüber, es verhindert Chancen und Teilhabe und ist auch ökonomisch unverantwortlich", sagte Schavan. Bisher seien diese Menschen alimentiert und versorgt worden, ihre Probleme aber seien ungelöst geblieben.

Norbert Röttgen, vor drei Jahren Mitautor des CDU-Wahlprogramms, sagte der SZ: "Wir können nicht akzeptieren, dass Jahr für Jahr 80.000 Jugendliche ohne Abschluss die Schule verlassen und dann an die betreuende Sozialhilfe weitergegeben werden. Eine solche organisierte Perspektivlosigkeit ist in einer humanen Gesellschaft nicht zu tolerieren. Die Lösung dieses Problems wird zu einer Aufgabe von nationalem Rang, bei der alle zusammenarbeiten müssen."

Nach Einschätzung der beiden Unionspolitiker erhalten sie für ihre Initiative breite Unterstützung. 90 Prozent der Bürger hätten die Erwartung, dass die Bildungspolitik den Kindern besser gerecht werden müsse. "Es gibt tolle Schulen, überall, aber auch die kommen in die allgemeine Vertrauenskrise des Bildungssystems hinein, weil der Eindruck entsteht, der Streit über Zuständigkeiten zerstöre jeden notwendigen Reformschritt", sagt Schavan.

Ein Teil der Vertrauenskrise sei, dass Positives nicht mehr wahrgenommen werde. Röttgen ergänzt, viele Menschen seien verunsichert und hätten Angst, wegen der Globalisierung Sicherheiten zu verlieren. Deutschland profitiere von der Globalisierung, häufe durch sie sogar Wohlstand an.

"Bildung als Grundnahrungmittel"

Dieser Wohlstand aber komme immer weniger bei den normalen Menschen an. Ein umfassenderes Bildungsverständnis und ein besseres Bildungssystem seien der Schlüssel, um die Menschen wieder an den Gewinnen zu beteiligen und ihre Ängste abzubauen.

Ziel der Initiative soll ein "präventiv handelnder Sozialstaat" sein, der sich Bildung von Anfang an zur Hauptaufgabe macht. Röttgen: "Uns geht es um ein grundsätzlich neues Verständnis von Bildung, sozusagen als Grundnahrungsmittel. Und es geht um ein anderes Gerechtigkeitsverständnis.

Die einen sprechen von Gerechtigkeit, wenn immer mehr in die Alimentierung der Menschen fließt. Je höher und je länger, desto besser. Wir glauben, dass das keines der Probleme löst." Schavan: Wir müssen den Kindern von klein an die Chance zum Lernen und zum sozialen Aufstieg geben."

Die CDU sei "für die Vererbbarkeit von Eigentum, aber nicht für die Vererbbarkeit von Chancen". Bildung müsse eine Aufgabe von höchstem Rang werden. "Für uns", so Norbert Röttgen, "ist Bildung der Nukleus für alles - für eine erfolgreiche Sozialpolitik, eine erfolgreiche Integration von ausländischen Mitbürgern, eine sinnvolle Kriminalitätsbekämpfung und eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik."

Ansetzen wollen Schavan und Röttgen bei der frühkindlichen Förderung, der Verbesserung der Grundschulen und einer Weiterentwicklung der Hauptschulen, die es möglich macht, auch von dort die Ausbildung fortzusetzen. "Der Schlüssel heißt Durchlässigkeit", sagt Schavan.

"Präventiv wirken"

Beide setzen auf frühe Sprachtests, deutlich vor dem Beginn der Schule, um Stärken und Schwächen zu prüfen und Talente zu entdecken und zu fördern. Daran anschließen würde sich die konkrete, auch individuelle Förderung.

Zur frühen Sprachausbildung könnte laut Schavan außerdem ein gemeinsamer musisch-kultureller Unterricht kommen, als frühe Schulung von Kreativität und als angewandte Integration schon bei Kleinkindern. Röttgens Begründung: "Man weiß heute, dass jedes vierte Kleinkind mit Sprachschwierigkeiten und Nachteilen in den Kindergarten und die Schule startet. Das müssen wir ändern." Statt einer Sozialpolitik alten Stils wollen beide jetzt präventiv wirken.

Nötig würden demnach ganz frühe Sprachprüfungen, mehr Förderung vor dem Schulstart und mehr Förderung in der Grundschule. Die Brücke zwischen Kindergarten und Schulanfang müsse stabil sein. Schavan: "25 Prozent aller Kleinkinder starten mit Nachteilen. Wenn wir das verhindern wollen, brauchen wir mehr Geld, mehr Lehrer und eine bessere Ausstattung - in Kooperation mit Ländern und Gemeinden."

Bei der Finanzierung setzen beide auf die sogenannte demographische Rendite. Sie komme beim Kindergeld zum Tragen, aber noch deutlicher bei den Schulen. Wegen des drastischen Rückgangs der Schülerzahlen würden Mittel für den Schulbetrieb frei.

Nach internen Berechnungen, auf die sich Schavan und Röttgen beziehen, sollen bis 2010 zehn Milliarden Euro, bis 2015 sogar 25 Milliarden Euro frei werden. Schavan fordert, dieses Geld müsse im Sinne ihrer Forderungen "im System bleiben".

"Nationale Aufgabe"

Nach den Vorstellungen von Röttgen könnten die durch die demographische Rendite frei werdenden Mittel in einem Fonds oder in einer Stiftung zusammengefasst werden, um die Förderung von der Kleinkindphase bis zum Gymnasium sicherstellen zu können. Darüber hinaus könnten, wenn nötig, Mittel im Haushalt umverteilt werden, vor allem im Hinblick auf die oft ineffizienten Arbeitsmarktprogramme.

"Bildung muss oberste Priorität werden", so Röttgen. Zusätzlich dazu soll es als Anreiz für alle Schulen die Ausschreibung eines Wettbewerbs geben: die 365 besten Schulen Deutschlands. Sie sollen eine Auswahl an Modellschulen werden, mit Vorbildcharakter und Vergleichsmöglichkeiten.

Schavan und Röttgen hoffen, dass verfassungsrechtliche Diskussionen kein Hindernis sind, das Problem zu lösen. Schavan: "Es muss klar sein, dass das föderale System in der Lage ist, Herausforderungen zu beantworten. Wenn der Eindruck entsteht, dass Bürger über Probleme reden, die Politik sich aber nur über Zuständigkeiten streitet, wird das föderale System an die Wand gefahren."

Andere föderale Länder wie die Schweiz oder die USA hätten bewiesen, dass es geht. Röttgen ergänzt: "Der Föderalismus kann nur überleben, wenn er nicht verhindert, dass Probleme des ganzen Landes auch national, also gemeinsam angegangen werden."

© SZ vom 7.6.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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