Beziehungs-Gewalt:Das Zuhause als Horror

Immer mehr Fälle von häuslicher Gewalt werden angezeigt - Opfer sind zumeist Frauen zwischen 30 und 40.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Ein Mensch, der einmal der Liebste war, und ein Zuhause, das mal für Sicherheit gesorgt hat, das können gefährliche Vertraute werden. 127 457 Menschen sind 2015 in Deutschland von einem Partner oder einem Ex-Partner gewalttätig angegriffen worden und haben ihn angezeigt. Das ergab eine Untersuchung, mit der das Bundeskriminalamt (BKA) mit dem Bundesfamilienministerium erstmals häusliche Gewalt differenziert ausgewertet hat. Ermittelt wurde, wo Partnerschaften in Mord, Totschlag oder Körperverletzungen mündeten, auch in Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Bedrohung oder Stalking. Ergebnis: Die registrierten Gewalttaten nehmen zu. Die Opfer, so die Untersuchung, waren zu 81,8 Prozent Frauen. Doch auch Männer werden immer öfter von Partnerinnen und Verflossenen attackiert. "Die Zahlen sind schockierend", sagte Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig (SPD) am Montag bei der Vorstellung der Untersuchung in Berlin. Häusliche Gewalt sei "immer noch ein Tabuthema", obwohl viele Frauen und bisweilen auch Männer massiver Gewalt und Bedrohung ausgesetzt seien. Zwei von drei Frauen in Deutschland, so Schwesig, zeigten trotz schwerer Gewalterfahrungen den Ehemann oder Ex-Partner nicht an. Die Opfer, aber auch Angehörige und Nachbarn seien aufgerufen, ihr Schweigen zu brechen. Gewalt in Partnerschaften reiche von subtiler Demütigung und Einschüchterung über physische Misshandlung bis hin zu Vergewaltigung und Tötung, sagte BKA-Präsident Holger Münch. Allein im vergangenen Jahr seien 418 Menschen in Deutschland von einem Partner oder Ex-Partner getötet worden. Das entspreche rund 18 Prozent aller Todesopfer in der Kriminalstatistik. "Opfer häuslicher Gewalt empfinden ihre Situation oft als ausweglos, sie werden nicht bemerkt, und sie machen sich nicht bemerkbar", sagte Münch. Das könne verheerende Folge haben, auch für anwesende Kinder. Zu den registrierten Straftaten komme ein unerforschtes Dunkelfeld. Wie hoch die Zahlen wirklich sind, weiß niemand. Schon seit Jahren registriert die Polizei in Deutschland eine wachsende Zahl von Fällen, in denen Eheleute oder Ex-Partner einander ans Leben wollen, den anderen bedrohen, verfolgen oder verletzen. Seit 2012 stieg die Zahl der erfassten Opfer nach der jetzt vorgelegten Untersuchung um 5,5 Prozent. Das kann auch daran liegen, dass sich immer mehr Menschen entschließen, einen vertrauten Menschen anzuzeigen. Der Anstieg partnerschaftlicher Gewalt ist aber auch und vor allem der Zunahme vorsätzlicher und schwerer Körperverletzung geschuldet: Hier wurden 8,8 Prozent mehr Fälle registriert, bei einfacher Körperverletzung 8,3 Prozent mehr. Tötungsdelikte, Stalking und Bedrohung gingen dagegen etwas zurück. Dennoch war Stalking die häufigste Straftat.

Beziehungs-Gewalt: SZ-Grafik; Quelle: Bundeskriminalamt

SZ-Grafik; Quelle: Bundeskriminalamt

Frauen zwischen 30 und 39 Jahren machen fast ein Drittel der Opfer aus und stellen laut Studie die größte Gruppe. In dieser Lebensphase ist die Liebe oft nicht mehr ganz frisch, der familiäre oder berufliche Leistungsdruck aber ist bei vielen hoch, ebenso die Erwartung ans Sexualleben. Ab 50 Jahren sinkt das Risiko, Opfer von Gewalt zu werden, erheblich.

Insgesamt wuchs aber auch die Zahl der Männer, die von der Ehefrau oder Ex-Freundin attackiert werden. Zwischen 2012 und 2015 stieg ihr Anteil um knapp zwei Prozentpunkte auf 18,2 Prozent aller angezeigten partnerschaftlichen Übergriffe. Ganz überwiegend aber sind Männer auf der Angreiferseite. Nach der Erhebung stellen sie 80,4 Prozent der Tatverdächtigen, bei den Frauen sind es 19,6 Prozent. Anders als bei den Opfern steigt die Zahl der Tatverdächtigen mit zunehmendem Alter immer weiter an. Die meisten Tatverdächtigen, nämlich 36,9 Prozent, griffen nach einer Trennung ihre Ex-Partnerin an. Jeder dritte war ein Ehemann oder - deutlich seltener - eine Ehefrau. 27 Prozent der männlichen Tatverdächtigen hatten Alkohol getrunken, zwei von dreien waren der Polizei schon früher aufgefallen, wenn auch nicht unbedingt mit einer vergleichbaren Straftat. Auch nach Nationalität wurden die Beziehungstaten aufgeschlüsselt. 71,6 Prozent der Verdächtigen hatten demnach einen deutschen Pass. Berücksichtigt man, dass 2015 in Deutschland nur etwa jeder zehnte keine deutsche Staatsangehörigkeit hatte, waren Nicht-Deutsche überdurchschnittlich häufig einer Beziehungstat verdächtig. Türken führten hier mit 23 Prozent der Tatverdächtigen die Statistik an, es folgten Polen und Serben. Wurden nicht-deutsche Männer Opfer ihrer Partnerinnen, waren es meistens Türken, dann Polen. Auf Platz drei folgten Italiener.

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