Berufsvertretung:Zuerst kommen immer die anderen

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Neue Kammern sollen Pflegekräften helfen, ihre Interessen durchzusetzen.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Es gibt kaum einen Beruf, der den Politikern zur Zeit so viele Sorgen bereitet wie der des Pflegers. Altenheime und Krankenhäuser klagen über akuten Personalmangel. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat zwar 13 000 zusätzliche Stellen versprochen, doch sagt er selbst, dass die lange nicht reichen werden. Und weil nur ein Bruchteil der Pflegerinnen und Pfleger in einer Gewerkschaft ist, überlegt nun die Bundesregierung, wie sie eine bessere Bezahlung erzwingen könnte. Der Grund für das geringe Interesse dieser Berufsgruppe am Arbeitskampf liegt häufig in der Natur ihres Jobs, ergeben Befragungen: Wer Kranke und Alte pflegt, denkt häufig zuerst an andere. Ein Streik, also Hilflose allein zu lassen, kommt für die wenigsten infrage. Weil das so ist, besitzen Altenheimbetreiber, Krankenkassen und Ärzte einflussreiche Lobbyverbände. Pflegenden dagegen fehlt eine starke Vertretung.

In den vergangenen drei Jahren haben sich deshalb in mehreren Bundesländern sogenannte Pflegekammern gebildet: In Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen müssen die Pflegekräfte nun Mitglieder dieser Kammern werden. Ähnlich wie bei den Landesärztekammern zahlen Pflegende hier einen Pflichtbeitrag. Die Kammer vertritt dafür ihre Positionen im Gesundheitswesen - und erlässt Berufsordnungen und organisiert Fortbildungen für die Angestellten. Bundesländer wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen prüfen derzeit ebenfalls, ob sie solche Institutionen ermöglichen sollen. Was nach einem Gewinn für die Pflegekräfte klingt, ist der Gewerkschaft Verdi jedoch ein Dorn im Auge. Die Gesundheitspolitiker der Grünen haben nun Verdi-Chef Frank Bsirske in einem Brief aufgefordert, "die vehemente, kampagnenmäßige Ablehnung der Pflegekammern" aufzugeben. Kammern und Gewerkschaften seien "zwei sich ergänzende Formen von Interessenvertretung, nicht sich gegenseitig ausschließend", heißt es in dem Schreiben, dass der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Zwangsmitgliedschaften würden Pflegende noch mehr unter Druck setzen, sagt Bühler von Verdi

Grünen-Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink nennt das Verhalten der Gewerkschaft "politisch unklug". Auch der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, dringt auf ein Umdenken der Gewerkschaft: "Mit einer Kammer können Pflegende das erste Mal eine demokratisch legitimierte Vertretung wählen", sagt er. "Ich habe mich in den vergangenen Jahren bemüht, dass Gewerkschaften ihre kritische Haltung gegenüber Pflegekammern überprüfen."

Denn bevor Westerfellhaus von Gesundheitsminister Spahn zum Staatssekretär ernannt wurde, war er Präsident des Deutschen Pflegerats, eines Berufsverbands, der sich ähnlich wie Verdi für Pflegende einsetzt. Westerfellhaus unterstützte damals allerdings die Gründung der Kammern und auch die Entstehung einer Bundespflegekammer - und war deshalb schon früher mit der Gewerkschaft im Streit. Heute sagt er: "In der Berliner Politik fragt man sich: Wer spricht eigentlich für die Pflege?" Eine Kammer könne ihre vielen Pflichtmitglieder besser vertreten als die wenigen Betriebsräte der Heime.

Sylvia Bühler aus dem Verdi-Vorstand zeigt sich allerdings resistent gegen die Tipps aus der Politik. Sie nennt die Kammer eine "Mogelpackung". Es sei "unredlich, den Pflegekräften vorzugaukeln, die Pflegekammer könnte aus eigener Kraft den beruflichen Alltag verbessern". Für Bühler verursachten solche Stellen vielmehr eine zusätzliche Belastung der Arbeitnehmer. Die stünden durch die "Zwangsmitgliedschaft" zusätzlich unter Druck, sich teure Fortbildungen zu organisieren und ihre Arbeitsqualität zu garantieren. Beides sei jedoch "ganz klar Aufgabe des Arbeitgebers". Die Kontrolle der Qualität von Heimen und Kliniken sei "Aufgabe des Staates". Pflegekammern, argumentiert Bühler, würden die Verantwortung auf Pflegekräfte abwälzen und sie noch stärker unter Druck setzen.

© SZ vom 14.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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