Berufsanfänger:Azubi mit Deutschkenntnissen gesucht

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Der Ausbildungspakt verspricht neue Lehrstellen, aber viele Schulabgänger können nicht mal lesen.

Von Jutta Pilgram

Einen ganzen Vormittag lang hatten die Schüler Zeit, ein fünfminütiges Referat vorzubereiten. Sie studierten Ausbildungsordnungen und Gehaltstabellen, sie befragten Metzger und Metallbauer, die eigens dafür in die Münchner Berufsschule zur Berufsvorbereitung gekommen waren. Jetzt sollten sie in der Aula vor ihre Lehrer und Klassenkameraden treten und ein Berufsbild mit guten Zukunftschancen präsentieren. Doch was eine Präsentation ist, wussten diese Schüler nicht.

Azubi in einer Bäckerei. (Foto: Foto: AP)

Sie schlenderten auf die Bühne wie Hiphopper, warfen das Mikrofon in die Luft und ernteten Applaus für ein cooles "Hey, Fans!". Manche sprachen nur wenig Deutsch, andere konnten die eigene Schrift auf dem Notizzettel nicht lesen oder bekamen vor lauter Feixen kein Wort heraus.

Kfz-Mechaniker und Arzthelferin - Traumberufe

"Wir versuchen, die Schüler auf den Boden der Tatsachen zu bringen", sagt Schulsozialarbeiterin Andrea Dorfner-Gisdakis, die den Projekttag vorbereitet hatte. "Viele wollen immer noch Kfz-Mechaniker oder Arzthelferin werden, obwohl sie in diesen Berufen überhaupt keine Chance haben."

Die Jugendlichen, die an ihrer Schule das so genannte Berufsvorbereitungsjahr absolvieren, gehören zu den 35000 jungen Menschen, die im vergangenen Herbst in Deutschland keine Lehrstelle gefunden haben oder es gar nicht erst versucht hatten.

Manche sind an der Hauptschule nicht über die siebte Klasse hinaus gekommen, andere leben erst seit kurzem in Deutschland. Der Ausbildungspakt, den Bundesregierung und Wirtschaftsverbände nun geschlossen haben, soll auch für diese Jugendlichen gelten, wenn 30000 neue Ausbildungsplätze pro Jahr und 25000 einjährige Betriebspraktika bereitgestellt werden.

Doch es ist fraglich, ob ausgerechnet schwer vermittelbare Jugendliche vom Ausbildungspakt profitieren werden. Bildungsexperten wie der Vorsitzende des Philologenverbandes Heinz-Peter Meidinger halten die Debatte um Lehrstellenabgabe und Ausbildungspakt für ein "großes Ablenkungsmanöver der Politik". Viele Schüler seien einfach nicht in der Lage, eine Ausbildung zu absolvieren. Das ganze Bildungssystem sei ein Sanierungsfall.

Etwas vorsichtiger formuliert es Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD). "Die Befunde der Pisa-Studie haben verdeutlicht, dass ein größerer Teil der Schulabgänger nicht über die erforderliche Ausbildungsreife verfügt", heißt es im Berufsbildungsbericht 2004.

Viele sitzen an der Hauptschule nur Pflichtzeit ab

Viele Jugendliche sitzen an den Hauptschulen nur ihre Pflichtzeit ab. Jeder Zehnte schafft keinen Abschluss. Nach der Pisa-Studie ist ein Viertel der Hauptschüler nicht in der Lage, einfache Texte zu verstehen. Ob daran der exzessive Medienkonsum der Jugendlichen, die Auflösung der traditionellen Familienstrukturen, die Überforderung der Lehrerkollegien oder das Schulsystem als Ganzes schuld sind - darüber gehen die Meinungen weit auseinander.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt jedenfalls zieht daraus den Schluss: "Wer nicht richtig lesen, schreiben und rechnen kann, den können wir auch nicht ausbilden." Doch mit Schreiben und Rechnen ist es nicht getan. 99 Prozent der Personalverantwortlichen wollen Bewerber, die außerdem engagiert, verantwortungsbewusst und zuverlässig sind, fast alle verlangen fehlerfreies Deutsch, Kenntnisse in Englisch, Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationstechniken.

Das ergab eine am Mittwoch vorgestellte Studie der gemeinnützigen Initiative D21, eines Zusammenschlusses von 300 Firmen und Verbänden. Haben die Arbeitgeber zu hohe Erwartungen - oder lassen die Fähigkeiten der Berufsanfänger tatsächlich immer mehr zu wünschen übrig? "Auf beiden Seiten gehen Anspruch und Wirklichkeit auseinander", sagt Eva Quante-Brandt, Leiterin von "Bleib dran", einer Bremer Beratungsstelle bei Ausbildungskonflikten.

Die Betriebe haben hohe Anforderungen

"Die Betriebe erwarten heute einen fertigen Erwachsenen und erkennen ihre soziale Funktion bei der Ausbildung nicht mehr so stark an wie früher, als die Lehrlinge noch jünger waren. Und sie stehen unter größerem ökonomischen Druck." Dass die Anforderungen gestiegen seien, lasse sich leicht anhand der veränderten Ausbildungsordnungen belegen.

Doch auch die Erwartungen der Auszubildenden seien teilweise "grenzwertig", sagt Quante-Brandt. "Ich habe mit angehenden Malern und Frisören zu tun, die keine Prozentrechnung können." Viele Azubis seien "leicht enttäuschbar", sie wollten wie Erwachsene behandelt werden, seien aber im Gegenzug nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen.

Die Folge: Jeder vierte Lehrling wird vor Ausbildungsende entlassen oder wirft selbst das Handtuch - und landet wieder im Heer der Bewerber. Viele dieser jungen Leute hätten sich früher möglicherweise gar nicht erst um eine Ausbildung im dualen System beworben, sondern seien gleich Hilfsarbeiter geworden.

Abhilfe könnten verkürzte und weniger theorielastige Berufsausbildungen schaffen, für die Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement die Werbetrommel rührt. Eine zwei- statt dreijährige Lehre käme den praktisch begabteren und weniger ausdauernden Jugendlichen entgegen und würde das Ausbildungsrisiko der Unternehmen begrenzen. Die Gefahr ist jedoch, dass solche "Turbo-Lehrstellen" im Zweifel wieder vor allem zuerst an Abiturienten gehen.

© SZ vom 17.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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