Berlusconi-Prozess:Der italienische Abgrund

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Skrupellos hat Premier Berlusconi alles getan, um die öffentliche Meinung zu beherrschen. Und hemmungslos versucht er, auch noch das Wahlrecht ändern. Doch mit dem heute fälligen Urteil im Bestechungsprozess gegen Berlusconi könnte sich einiges ändern. Ein Kommentar von Christiane Kohl

Silvio Berlusconi ist kein Caudillo südamerikanischen Stils. Er steckt seine Widersacher nicht ins Gefängnis, und er rühmt sich, demokratisch gewählt zu sein. Und doch stellt der römische Regierungschef im Augenblick die wohl größte Bedrohung der italienischen Demokratie seit Benito Mussolini dar.

Das hängt mit seiner besonderen Stellung als mächtigster Unternehmer und einflussreichster Politiker im Land zusammen: Niemals seit dem Zweiten Weltkrieg hatte ein italienischer Politiker so viel Macht auf sich vereint; niemals in der jüngeren Geschichte Italiens agierte ein Ministerpräsident so unverhohlen zum eigenen, auch privatwirtschaftlichen Nutzen.

Umbau des Staatssystems nach Belieben

"Ich mache alles, was nicht ausdrücklich verboten ist", hatte der Medienunternehmer im Wahlkampf 2001 stolz erklärt. Mittlerweile hat er das italienische Staatssystem so weit umgebaut, dass er und seine teils recht windigen Helfer ihren Kopf immer gerade noch aus der Schlinge ziehen können.

Systematisch wurde die Justiz verunglimpft, entmachtet und in ihren Ermittlungsmöglichkeiten beschränkt; zielgerichtet durchforsteten Berlusconis Anwälte das Strafrecht, um einzelne Gesetze zu eliminieren oder in ihrem Sinne umzudrehen.

Skrupellos veränderte der Premier das politische Klima und die Rahmenbedingungen für die Medien mit dem Ziel, die öffentliche Meinung vollends zu beherrschen. Und ganz ohne Hemmungen will er jetzt auch noch das Wahlrecht ändern, um möglichst nie mehr verlieren zu können.

Andernorts beobachten Verfassungsschützer die Demokratiefeinde am Rande der Gesellschaft. In Italien ist es der Regierungschef persönlich, der die Demokratie in den Belagerungszustand versetzt. Und er agiert umso bedrohlicher, je mehr er sich selbst von den noch funktionierenden demokratischen Mechanismen in seiner Macht gefährdet sieht.

In diesen Tagen wirkt Berlusconis Zukunft unsicherer denn je: Niemals waren seine Umfragewerte bei den Wählern so schlecht wie in den letzten Monaten; selten musste er sich so durch die italienische Justiz in Bedrängnis gebracht fühlen wie in dieser Woche. In Mailand steht der Premier unter dem ungeheuren Verdacht der Richterbestechung vor Gericht. An diesem Freitag wird vermutlich das Urteil gesprochen.

Sollte Berlusconi für schuldig erachtet werden, sind Neuwahlen gewiss. Aber auch, wenn er noch einmal davonkommen kann - etwa durch einen Freispruch mangels Beweisen, oder weil die Richter das Delikt als verjährt betrachten -, ist der Ministerpräsident keineswegs gerettet.

Denn die schlimmste Bedrohung für Berlusconi stellen die italienischen Wähler dar. Unter seiner Anhängerschaft grassiert die Schwindsucht. Nach drei Jahren der unverhohlenen Selbstbedienung ist nunmehr auch der letzte Kleinunternehmer enttäuscht, der Berlusconi einst in der schlichten Hoffnung wählte, wenn einer viel für sich tue, falle auch was für die anderen ab.

So liegt Berlusconis Koalition in den Umfragen inzwischen weit hinter der Opposition zurück. Deshalb arbeitet der Premier wie entfesselt daran, seine Machtbasis zu sichern. Um die Wähler zurückzugewinnen, hat er soeben Steuersenkungen verabschiedet, die das ohnehin nicht ganz koscher geführte Staatsbudget vollends ruinieren dürften.

Ganz nebenbei verdient der Steuerbürger Berlusconi selbst auch nicht schlecht an der Abgabensenkung: Nach den kursierenden Berechnungen spart er allein 256.000 Euro im nächsten Jahr. Kommenden Samstag feiert der Premier seine Tat auf einem "No-Tax-Day" in Venedig.

Da stellt er dann diejenigen Parteien als Bürgerfeinde dar, die zu Recht keine seriöse Grundlage für Steuererleichterungen sehen. Selbstredend wird das Spektakel live im Fernsehen übertragen, von Berlusconis Sender "Retequattro".

Gleichschaltung der Presse

Andernorts gelten die Medien als Wächter der Demokratie, in Italien schaltet Berlusconi gerade die letzten Redaktionen gleich. Nach der Übernahme der drei staatlichen RAI-Sender säuberte er noch einmal sein eigenes Programm von den letzten unabhängigen Geistern. Nun steht der Chefredakteur des Corriere Della Sera auf der Kippe.

Im Fernsehen funktioniert das System längst wie geschmiert: Als die Europäische Kommission den italienischen Staatshaushalt unter Manipulationsverdacht stellte, wurde in den beiden wichtigsten Nachrichtensendungen praktisch nicht darüber berichtet.

Nach den Medien bleibt noch das Wahlrecht, das Berlusconi konkret ändern möchte. Zunächst soll das Gebot der Chancengleichheit in den Medien fallen. Statt gleich langer Wahlspots für alle Parteien will Berlusconi die Länge der Werbesendungen an die Stärke der Parteien koppeln.

Wer viele Prozente bei den letzten Wahlen hatte, soll auch entsprechend viele Wahlspot-Minuten bekommen - kleine oder neue Parteien hätten damit praktisch keine Chance. Zusätzlich sollen die Wahlzettel in einer Weise geändert werden, dass vor allem Berlusconi und seine Koalitionäre davon profitieren.

Berlusconi schafft in der Mitte Europas einen Staat, in dem Demokratie zu einer leeren Worthülse verkommt. Und nur die Italiener sind in der Lage, das zu verhindern.

© SZ vom 10.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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