Berlusconi gegen die Abhörwut:Der Cavaliere als Datenschützer

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Italiens Premier Berlusconi will die Telefonüberwachung beschränken. Die Opposition ahnt unlautere Motive hinter dem so bravourösen Vorstoß.

Stefan Ulrich

Wenn Vittorio Emanuele, der Sohn des letzten italienischen Königs, nach Italien reist, meidet er das Telefon. "Ich telefoniere nicht mehr oder bin zumindest sehr vorsichtig", sagt der 71 Jahre alte, in der Schweiz lebende Savoyer. Der Grund: Vor zwei Jahren musste der umtriebige Prinz den Wortlaut seiner intimen Gespräche auf den ersten Seiten der Zeitungen lesen.

Silvio Berlusconi will der Abhörwut Einhalt gebieten. (Foto: Foto: Reuters)

Die italienische Justiz ermittelte wegen Förderung der Prostitution gegen ihn. Die abgehörten Telefonate gelangten an die Medien. Zwar wurde das Verfahren eingestellt - die privaten Details aber bleiben in der Welt.

Ähnlich ergeht es vielen Italienern. Sie werden belauscht und finden Passagen ihrer Gespräche in der Presse wieder. Justizminister Angelino Alfano sagte diese Woche, Italien sei der abhörfreudigste Staat der Welt. Allein im Jahr 2007 hielt die Justiz mehr als 100.000 Verdächtige unter Telefonüberwachung; in den USA sollen es gerade einmal 1700 Fälle gewesen sein.

Jeder belauschte Italiener führe täglich etwa 30 Telefonate, rechnete der Minister vor. Da die Mitschnitte über Wochen gehen, seien viele Gesprächspartner betroffen. "Ein sehr großer Teil unseres Landes wird abgehört", sagte Alfano.

Protokolle gelangen in fremde Hände

Schon das allein ist für die Bürger beunruhigend. Hinzu kommt, dass etliche Gesprächsprotokolle während laufender Verfahren aus der Justiz an Journalisten gelangen. In manchen Fällen wollen Ermittler so offenbar Druck auf Verdächtige ausüben oder politische Gegner treffen. In anderen geht es um Sensationshascherei. Die Italiener gewinnen dadurch den Eindruck, ihre Eliten aus Politik, Wirtschaft und Show trieben es in vielerlei Hinsicht besonders bunt.

Der Missbrauch der Mitschnitte wurde bislang kaum geahndet. Das soll sich nun radikal ändern. Premier Silvio Berlusconi möchte die Telefonüberwachung auf Terror- und Mafia-Fälle beschränken. Wer bei anderen Delikten mithöre, Gesprächsprotokolle weitergebe oder als Journalist veröffentliche, solle bis zu fünf Jahren ins Gefängnis wandern.

Das wirkt wie ein bravouröser Vorstoß für den Datenschutz. Die Opposition und die Richterschaft befürchten jedoch, dass die Motive des Cavaliere nicht ganz so lauter sind. Berlusconi agitiert seit Jahren gegen die Justiz. Er war in etlichen Korruptionsprozessen angeklagt - ohne rechtskräftig verurteilt zu werden. Immer wieder forderte er, die "Roten Roben" zu stutzen. Im Wahlkampf schlug er vor, Richter und Staatsanwälte regelmäßig auf ihren Geisteszustand zu überprüfen. Zudem wurde er unlängst von der Justiz in Neapel bei Korruptionsermittlungen abgehört. Handelt der Premier also wieder einmal im eigenen Interesse?

Fast alle Italiener möchten die hemmungslose Verbreitung abgehörter Gespräche in den Medien stoppen. Viele halten es jedoch für falsch, die Telefonüberwachung auf Mafia- und Terror-Ermittlungen zu beschränken. Politiker wie der frühere Staatsanwalt Antonio Di Pietro argumentieren, auch Delikte wie Korruption, Bestechung und Amtsmissbrauch, die Italien so hemmen, ließen sich nur mit Abhöraktionen aufdecken. Telefonmitschnitte seien für Staatsanwälte so wichtig wie Skalpelle für Chirurgen.

Das Sprachbild ist delikat gewählt. Denn in Italien flog gerade ein Krankenhausskandal auf. Mehrere Chirurgen einer Mailänder Privatklinik wurden festgenommen, weil sie ihre Skalpelle zu fleißig gebrauchten. Sie sollen Patienten aus Geldgier unnötigerweise Brüste und Lungenflügel entfernt haben. Die Justiz kam ihnen übrigens durch Telefonüberwachung auf die Spur.

© SZ vom 11.6.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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