Berlin:Verschanzt hinter Wänden aus Schweigen

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Man fand Schaltpläne, eine Waffe und Zündstoff - warum es kurz vor Ende des Terroristen-Prozesses dennoch so aussieht, als sei einem gewaltbereiten Drahtzieher nicht beizukommen.

Von Annette Ramelsberger

Der Imam Dr. Salem El Rafei spricht mit freundlicher, ruhiger Stimme. "Wir sind Gäste in Deutschland und dürfen nie den Gastgeber verletzen", sagt er vor dem Berliner Landgericht. Vom Dschihad, dem heiligen Krieg, halte er nichts, beteuert der Geistliche, und in Europa sei so etwas ohnehin ganz verboten.

Beim Gebet in einer Moschee in Berlin (Foto: Foto: ddp)

El Rafei ist 43 Jahre alt, er lebt seit langem im Deutschland, er hat sich um die Einbürgerung bemüht.

Ein Ehrenmann, sagen seine Freunde aus der Berliner Al-Nur-Moschee. Eine Autorität, zu dessen Predigten jeden Freitag mehr als tausend Menschen strömen. Der Generalbundesanwalt wirft dem Ehrenmann allerdings vor, er habe gewaltbereiten Extremisten Räume in der Moschee zu Nahkampfübungen überlassen.

Hinter dem Panzerglas auf der Anklagebank sitzt ebenfalls ein freundlicher, ruhiger Mann: Ihsan Garnaoui, 34. Er soll geplant haben, zu Beginn des Irakkrieges am 20. März 2003 einen Sprengstoffanschlag in Berlin zu verüben. Eine Pistole hatte er schon, dazu Chemikalien, Mobiltelefone, ähnlich denen, die beim Anschlag in Madrid benutzt wurden, Schaltpläne.

Er soll die Nahkampfausbildung in der Al-Nur-Moschee geleitet haben. Der Generalbundesanwalt ist überzeugt, dass Garnaoui bei einem Treffen im Februar 2003 versucht hat, Helfer für seinen Plan zu werben.

Lauter nette Menschen, die da vor Gericht auftreten. Der Geschäftsführer einer Restaurantkette, der nur das Beste über El-Rafei und Garnaoui zu berichten weiß: "Liebe, anständige Kerle" seien sie. Auch der Elektronikstudent Abdel Hadime Kamouss, 27, ist sehr freundlich.

Bei der Polizei hat er gesagt, er sei "froh, dass Sie mir das Gefühl gegeben haben, dass ich mich jederzeit an Sie wenden kann". Ein paar Stunden vorher hatte er einen Imam angerufen und gesagt, er wisse von einem "abscheulichen Verbrechen". Der Imam riet ihm, wenn er schon eine Aussage bei der Polizei nicht vermeiden könne, dann solle er wenigstens nichts verraten. "Du sollst vergessen, Bruder." Kamouss tat, wie ihm geheißen.

Verachtung und Abscheu

Seit zehn Monaten verhandelt das Landgericht im Berliner Terroristenprozess, am 6. April soll das Urteil ergehen. Doch wie es ausfällt, ist völlig ungewiss. Detail für Detail haben die Staatsanwältinnen die Indizien für die Schuld des Angeklagten zusammengetragen. Doch der letzte Beweis fehlt - Gott sei Dank: Der Angeklagte wurde festgenommen, bevor irgendetwas passiert war.

Das Gericht steht nun vor einer Wand des Schweigens, prallt ab an einer Kulisse der Freundlichkeit. Nur hin und wieder öffnet sich ein Spalt auf das, was dahinter liegt: Abscheu und Verachtung für das Land, in dem diese freundlichen Menschen leben. Für Deutschland.

Imam El Rafei schlägt die Augen nieder, wenn er mit einer Frau spricht. Er blickt knapp an ihrem Kopf vorbei. Das gehört sich so. Ein Mann sieht eine fremde Frau nicht direkt an. Eigentlich spricht er auch nicht mit ihr. Auf dem Gerichtsgang hat er sich aufhalten lassen - gefragt, was er von Deutschland halte.

Die Familien im Westen seien zerstört, sagt der Imam, die Gleichberechtigung der Frau habe die Familien verdorben. "Der Mann muss die Kontrolle haben, weil er Vorrang hat, er ist körperlich stärker und verteidigt seine Frau." Kommt es in der modernen Welt auf Körperkraft an?

Die Frau habe auch mehr Zärtlichkeit für die Kinder, deshalb müsse sie im Haus bleiben, sagt der Imam. "Allah hat der Frau mehr Geduld gegeben." Lange schon lebt der Libanese in Deutschland, zwei Söhne hat er, sagt er stolz.

Seit zehn Monaten vor Gericht

Auch Töchter? Ja, auch Töchter. Drei. Noch sind sie klein, aber wenn sie älter werden, werden auch sie abgesondert von ihren Schulkameraden, wie so viele kleine muslimische Mädchen in Berlin. "Gemeinsames Turnen mit Jungen ist ein Problem", sagt El Rafei. Auch zum Schwimmunterricht mit Jungs dürften sie nicht mehr, wenn sie zehn Jahre alt sind. "Sonst lässt das die Leidenschaften wachsen", sagt der Imam.

Auch Ihsan Garnaoui ist gläubiger Muslim. Die Verhandlung wird mittags immer eineinhalb Stunden unterbrochen, damit er seine Gebete verrichten kann. Garnaoui schätzt El Rafei. Die beiden sehen die Welt ähnlich. "Hohes Gericht", sagt Garnaoui, "ich bitte, dass meine Frau ohne Öffentlichkeit vernommen wird."

Er dürfe über so private Dinge wie die Ehe nur mit einem Geistlichen sprechen. "Ich muss als Moslem auch etwas dagegen unternehmen, wenn meine frühere Frau in der Öffentlichkeit darüber reden will."

Garnaoui ist Tunesier, ein gut aussehender Mann. Seit zehn Monaten steht er nun schon vor Gericht, die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hält ihn für einen Abgesandten der Terrorgruppe al-Qaida. Das Gericht will die Zeugin Ines Urbanowitz hören, Garnaouis geschiedene Frau.

Es war eine glückliche Beziehung

Da kommt keine wütende Ex-Gattin in den Gerichtssaal, die noch alte Rechnungenoffen hat. Ruhig ist die 33 Jahre alte Brandenburgerin, fast freundlich, Staatsanwältin Silke Ritzert sagt: "erkennbar ohne Belastungseifer". "Nett, aufgeschlossen, gebildet, angenehm, unterhaltsam", sei ihr Mann gewesen, sagt Ines Urbanowitz. Er habe gut Deutsch gesprochen und sei nicht streng gläubig gewesen.

Sogar Alkohol habe ihr Mann getrunken, er habe geraucht und sogar Schweinefleisch gegessen. Sie hat ihren Mann 1995 bei einem Tunesienurlaub kennen gelernt, ein Jahr später haben die beiden geheiratet. Der Mann auf der Anklagebank lässt sie nicht aus den Augen. Streng blickt er und schweigt.

Es war eine glückliche Beziehung. Doch dann reiste der Mann eines Tages nach Belgien, und als er zurückkehrte, war er wie verwandelt. Freunde hätten ihn dort auf den richtigen Weg zurück zum Islam gebracht, sagte er. Plötzlich sollte die junge Frau das Wohnzimmer verlassen, wenn männlicher Besuch kam.

Sie musste die Gäste vorwarnen, wenn sie durch die eigene Wohnung auf die Toilette ging. Immer wieder kam der Spruch: "Alles, was nicht islamisch ist, ist falsch - begreif' das doch endlich." Frau Urbanowitz verließ ihren Mann 1999, im Jahr 2003 wurde sie geschieden.

Ein Laptop voller Hetzreden

Die Staatsanwältinnen glauben, dass Garnaoui Anfang 2001 über Pakistan nach Afghanistan ging und sich dort al-Qaida anschloss. Er soll in den Lagern eine Kampfausbildung gemacht haben. Garnaoui reiste im Januar 2003 über Aachen ein, mietete sich eine Wohnung in Gelsenkirchen, in der die Polizei später Batteriesäure fand, einen Flugsimulator, Chemikalien, ein Fernrohr mit integrierter Digitalkamera, auf seinem Laptop hatte er islamistische Hetzpredigten und Schaltpläne für eine Zündvorrichtung gespeichert.

Garnaoui sprach in Berlin bei Imam El Rafei vor. Es hieß, er wolle Sport anbieten in der Moschee - nur war das nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft keine Sport-, sondern eine Nahkampfausbildung. Garnaoui habe versucht, Helfer zu gewinnen, sagt die Staatsanwaltschaft. Es habe Ende Februar ein Treffen bei einem Freund gegeben, bei dem er offenbar Verbündete für den Anschlag werben wollte.

Von diesem Treffen und wie es abgelaufen ist, hängt vieles ab. Denn die Staatsanwaltschaft will Garnaoui beweisen, dass er versucht hat, eine terroristische Vereinigung zu gründen. Die Verteidigung jedoch sagt, die Männer hätten sich zufällig getroffen, um Tee zu trinken und zusammen zu sein. Die Gründung einer terroristischen Vereinigung sei nicht zu beweisen.

Streit über Rechtmäßigkeit eines Anschlages

Es gibt zwei Vertrauensleute der Polizei, die berichten, dass Garnaoui Menschen gefunden habe, die bereit waren, bei seinem Plan mitzumachen. Das Problem: Vor Gericht sind die V-Leute nicht erschienen, sie haben nur schriftlich auf Fragen geantwortet, damit sie nicht enttarnt werden. Die beiden V-Leute waren auch nicht im innersten Kreis, sie kannten Garnaoui nicht persönlich und blieben recht ungenau in ihren Aussagen.

Aber ein anderer war offenbar bei dem Treffen dabei: Kamouss, der Elektrotechnikstudent. Er ist mit einer deutschen Frau verheiratet, hat zwei kleine Kinder. Seine Frau ist zum Islam konvertiert, sie geht tief verschleiert. Er nennt sich einen liberalen Muslim. Er kenne Garnaoui so gut wie gar nicht, hatte er bei der ersten Polizeivernehmung erklärt.

Er wäre sehr darauf bedacht, mit solchen Leuten nichts zu tun zu haben. "Es ist mein fester Glaube, ich bin gegen jeden Anschlag", diktierte er am 6. April 2003 ins Vernehmungsprotokoll. Das stimmt vermutlich,denn Kamouss, so sagen die Staatsanwältinnen, hat sich heftig mit Garnaoui gestritten - darüber, ob ein Anschlag gerechtfertigt ist oder nicht. Und er weiß auch, dass die Ermittler das wissen.

Am 15. April meldete er sich noch einmal bei der Polizei - er wollte offenbar nicht als Unterstützer Garnaouis dastehen. Kamouss erzählte nun, er habe mit dem Angeklagten allgemeine Probleme des Islam diskutiert. Bei Freunden, genau könne er sich nicht erinnern. "Ich selbst bin in meiner Umgebung bekannt dafür, dass ich während einer Diskussion nervös werde. Ich selbst vertrete den offenen Islam. Ihsan aber vertrat mehr eine extreme Einstellung, glaube ich."

Imam um Rat gefragt

"Können Sie uns angeben, über was genau Sie gesprochen haben?", fragte der Vernehmungsbeamte an jenem 15.April.Kamouss sagte: "Wenn ich nervös bin, vergesse ich vor Aufregung sehr viel. So bin ich immer. Ich vergesse bei Nervosität."

Am Morgen vor seiner Aussage bei der Polizei hatte Kamouss einen Imam in Leipzig angerufen und ihn um Rat gefragt, wie er sich bei der Vernehmung verhalten solle. Man kennt den genauen Wortlaut dieses Gespräches - der Verfassungsschutz hatte mitgehört.

"Friede und Gnade Gottes sei mit Euch", beginnt das Gespräch. Dann druckst Kamouss herum: Falls ein Muslim wisse, dass ein anderer Muslim ein Krimineller sei und die Ungläubigen wüssten davon und wollten von dessen kriminellen Taten etwas erfahren. Dürfe er ihnen dann etwas sagen?

Der Imam: "Wenn ein Muslim einen Muslim deckt, den deckt Gott am jüngsten Tag im Diesseits und im Jenseits." Kamouss: "Aber auch, wenn es um ein abscheuliches Verbrechen geht, das den Muslimen, dem Islam und den Ungläubigen schadet?" Imam: "Du darfst deinen Bruder weder ausliefern noch im Stich lassen." Kamouss: "Aber wenn er ein Krimineller ist? Sie wissen genau Bescheid, dass man mit ihm zusammengekommen ist, und wollen mehr darüber wissen." Imam: "Wenn noch etwas passieren kann und anderen Unrecht getan wird, dann muss man aussagen." Kamouss: "Sie haben ihn vorher festgenommen." Imam: "Dann sollst du vergessen, mein Bruder. Es ist ja nichts passiert. Du sollst sagen, dass es lange her ist. Dass du ein leicht erregbarer Mensch bist und dann schnell vergisst."

Genau das sagte Kamouss dann der Polizei. Wenn man das Abhörprotokoll vom Morgen des 15. April und das Vernehmungsprotokoll vom Abend des 15. April 2003 nebeneinander legt, dann "ergibt das einen frappierenden Zusammenhang", sagt Heinz Fromm, Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, als Zeuge vor Gericht. "Man hat das selten."

Ob das Protokoll allerdings reicht, die versuchte Gründung einer terroristischen Vereinigung nachzuweisen, ist fraglich. Aber interessant ist, was die Verfassungsschützer alles hörten, als sie die Gespräche von Garnaouis Bekannten belauschten. So unterhielt sich Student Kamouss mit einem Kumpel über die Zukunft der Ungläubigen: Wenn sich alle Pilger zusammentäten und auf die Ungläubigen spuckten, so scherzten die beiden am Telefon, dann würden die Ungläubigen in einem Meer von Spucke versinken. Und wenn dann noch alle Gläubigen auf sie urinierten, dann würden die Ungläubigen ganz weggeschwemmt.

Zugriff am Tag X

Es ist 3.12 Uhr in Bagdad, 1.12 Uhr in Berlin, als die Amerikaner am 20. März 2003 den Irak angreifen. Nur ein paar Stunden später, am Vormittag des 20.März, greifen in Berlin Polizisten zu und nehmen den verdächtigen Garnaoui fest. Sie hatten von ihren V-Leuten gehört, dass am Tag X ein Anschlag verübt werden solle. Garnaoui hatte sich gerade von einem Freund einen Transporter geliehen. Es war nicht klar, was er darin transportieren wollte. Die Fahnder konnten nicht länger warten.

Zwei Jahre danach fragt Oberstaatsanwältin Ritzert in ihrem Plädoyer: "Müssen erst die Toten auf der Straße liegen?" Auch sie weiß, dass es ein mühseliges Puzzle ist, das die Staatsanwaltschaft da zusammengesetzt hat. Indizien, Hinweise, hier eine Hose von Garnaoui, bestickt mit seinem Kampfnamen aus Afghanistan, dort ein Sachverständiger, der erklärte, seine Leute hätten die Zündvorrichtung nach dem Plan Garnaouis zusammengebaut - sie habe funktioniert.

Anwalt: Der Staat darf nicht zum Angstbeißer werden

Aber nirgends ein Kronzeuge. Nirgends Leute, die dabei waren und es zugeben, kein Geständnis. Nur lauter Biedermänner, die den Dschihad ablehnen. "Wir haben immer gewusst, dass die Beweislage schwierig ist", sagt Staatsanwältin Ritzert.

"Aber eine lebensnahe Würdigung lässt nur die Wertung zu, dass Ihsan Garnaoui eine terroristische Vereinigung gründen wollte." Nur wenn das nachgewiesen wird, kann Garnaoui verurteilt werden. Böse Gedanken allein sind nicht strafbar. Ritzert hat sechs Jahre Haft für den Angeklagten gefordert.

Garnaouis Verteidiger Michael Rosenthal macht nicht den Versuch, so zu tun, als wären die Vorwürfe nur Hirngespinste der Staatsanwaltschaft. "Zum Zeitpunkt des Zugriffs hat eine Gefahrenlage bestanden", sagt er. Es wurden Schaltpläne bei seinem Mandanten gefunden, Telefone, die sich für eine Zündung eigneten.

"Da darf man sich so seine Gedanken machen", sagt Rosenthal. Aber verurteilen könne man seinen Mandanten deswegen nicht. "Der Staat darf nicht zum Angstbeißer werden", sagt der Anwalt.

Garnaoui hat vor Gericht nur eines zugegeben: Er habe eine Waffe besessen, falsche Pässe benutzt und sich illegal in Deutschland aufgehalten. Er wird nach dem Prozess abgeschoben werden, nach Tunesien. Imam El Rafei hat Deutschland bereits verlassen. Sein kleiner Sohn habe unter der Hausdurchsuchung durch die Polizei so gelitten, dass ihn hier nichts mehr halte, sagt er. Zuvor hatten die Berliner Behörden es endgültig abgelehnt, El Rafei einzubürgern.

© SZ vom 30.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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