Bericht des Kinderhilfswerks:Kinderarmut in Deutschland nimmt zu

Lesezeit: 2 min

Für Forscher ist besonders das Desinteresse der Gesellschaft beklagenswert. Betroffen sind vor allem Kinder von Alleinerziehenden.

Von Andreas Liebmann

Die Armut von Kindern in Deutschland nimmt zu. Das geht aus dem "Kinderreport Deutschland 2004" hervor, der am Montag in Berlin vorgestellt wurde. Demnach ist die Quote von Minderjährigen, die von Sozialhilfe leben, mit 6,7 Prozent doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung. Und sie steige doppelt so rasch an.

"An sich sind das keine überraschenden Zahlen", erläuterte Armutsforscher Thomas Olk, der den alle zwei Jahre erscheinenden Report des Deutschen Kinderhilfswerks mit verfasst hat und dessen Zahlen auf Erhebungen aus dem Jahr 2002 fußen. "Es handelt sich um einen stabilen Trend seit Anfang der neunziger Jahre." Überraschend sei eher, wie wenig der Anstieg der Kinderarmut öffentlich wahrgenommen werde.

Das Vorwort zu dem Report, in dem 20 Experten wissenschaftliche Erkenntnisse vorstellen, hat Wolfgang Thierse verfasst. Der Bundestagspräsident wies bei der Präsentation darauf hin, dass in keinem anderen Land der Welt der Anteil Kinderloser so hoch sei wie in Deutschland. Eine kinderfreundliche Gesellschaft müsse auch elternfreundlich sein, sagte Thierse: "Das sind wir nicht.

Mütter und Väter sind vom Erwerbsleben ausgeschlossen." Insofern ist es nicht verwunderlich, dass laut dem Report mehr als die Hälfte der von Sozialhilfe betroffenen Kinder in Haushalten von allein erziehenden Frauen lebten. "Die Lebensform ,alleinerziehend' wird in Deutschland weniger als in anderen Ländern sozial unterstützt", kritisierte Olk.Kinderarmut als Folge gehe weit über das Fehlen von Geld hinaus, erläuterte Olk.

In Armut leben Haushalte, die mit weniger als der Hälfte des durchschnittlichen Einkommens auskommen müssen: "Es ist nicht so, dass diese Leute hungern und unter Brücken schlafen." Vielmehr böten sich den Kindern von Anfang an schlechtere Lebensperspektiven. Viele wachsen vernachlässigt auf, manche in einem Umfeld von Gewalt, viele sozial isoliert und mit wenig Selbstvertrauen.

Der Anteil von Kindern, die von Sozialhilfe lebten, sei in der Gruppe der unter Dreijährigen mit 10,4 Prozent besonders hoch. Eltern fühlten sich dagegen mit ihren Problemen allein gelassen. Dabei verzichteten sie mit der Entscheidung für Kinder auf einen großen Teil Wohlstand. Olk forderte, Arbeitsmöglichkeiten für Eltern zu fördern und die Betreuungsangebote von der Kinderkrippe bis zur Ganztagsschule zu verbessern.

Uneins waren sich die Vortragenden über die Auswirkungen von Hartz IV: Während Thierse versicherte, dass sich die Situation für die Sozialhilfeempfänger verbessern werde, wies Thomas Krüger, Präsident des Kinderhilfswerks, darauf hin, dass nächstes Jahr 1,5 Millionen mehr Kinder von Sozialhilfe leben müssten.

Sollten die Betreuungsangebote im Rahmen der Reform tatsächlich umgehend verbessert werden, könne von Hartz IV eine Entlastung ausgehen. "Sollte das nicht passieren, rechne ich mit einer Verschärfung des Problems."

© SZ vom 9.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: