Beitritt in die EU:Reagieren, aber wie?

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"Wir wollen der Türkei nicht die Tür zuschlagen", sagt Außenminister Sigmar Gabriel bei dem EU-Außenministertreffen in Malta, "aber, ob die Türkei durch die Tür gehen will, das muss die Türkei entscheiden." (Foto: Rene Rossignaud/dpa)

Die Außenminister der EU sind ratlos, wie sie nach dem Verfassungsreferendum mit der Türkei umgehen sollen. Der Österreicher Sebastian Kurz will die Verhandlungen stoppen, doch die meisten Politiker zögern.

Von Daniel Brössler, Valletta

Timo Soini wirkt, um es vorsichtig zu sagen, ein bisschen unentschieden. Um sich dem schwierigen Türkei-Thema zu nähren, greift der Außenminister von Finnland erst einmal zu einer Fußball-Metapher. "Wenn man Foul spielt, dann gibt es Konsequenzen", sagt er, wobei er offen lässt, worin genau das Foul besteht und was die Konsequenzen sein könnten. Die Türkei sei "ein sehr großer Spieler in der Region", gibt er zu bedenken. Die Außenminister der Europäischen Union wollen sich klar darüber werden, wie es weitergehen soll im Verhältnis zur Türkei, die ja offiziell noch Beitrittskandidat ist. "Ich glaube zutiefst an Dialog", fasst Soini seine etwas wolkigen Ausführungen zusammen. Er wirkt dabei gequält.

Die Gespräche über einen EU-Beitritt der Türkei finden faktisch nicht mehr statt

Ein paar Minister sind sich bei ihrem Treffen in Malta von Anfang an sehr sicher, aber vielen scheint es so zu gehen wie dem Finnen. Sie finden, dass es nach dem Verfassungsreferendum nicht so weitergehen kann wie bisher, aber sie haben noch keine rechte Vorstellung, was das genau bedeuten kann. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat vor einer Begegnung mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu eine offene Aussprache angesetzt über den weiteren Umgang mit der Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Eine Aussprache, die theoretisch überall hinführen könnte - bis hin zum Ende der Beitrittsverhandlungen.

Das ist schon länger das Ziel des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz. Er nennt es noch einmal "absolut falsch, wenn diese Fiktion des Beitritts aufrechterhalten wird". Natürlich, sagt er, benötige die EU "Gesprächskanäle zur Türkei, aber der Weg kann nicht die Mitgliedschaft sein". Nach den Verhaftungswellen und dem Vorgehen gegen Journalisten habe die Türkei sich mit dem Referendum noch weiter entfernt von der EU. Die brauche nun eine "klare und mutige Linie".

Traditionell ist Kurz im Kollegenkreis isoliert in der Türkei-Frage, nun aber findet er, dass "die Meinung sich hier Schritt für Schritt verschiebt". Dafür scheint zu sprechen, dass etwa der Luxemburger Jean Asselborn sagt, "de facto" sei der Beitrittsprozess ja schon beendet. "Seit dem Referendum ist die alte Türkei, die wir gekannt haben, die freie Türkei, die pro-westliche Türkei, die rechtsstaatliche Türkei gestorben", klagt er. Doch Asselborn macht klar, dass er eben kein formelles Aussetzen der Verhandlungen will.

"Ich bin strikt dagegen, dass wir die Gespräche abbrechen. Das bringt nichts", sagt auch der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel. Die Linie von Kurz habe "viel mit der österreichischen Innenpolitik und wenig mit der Türkei" zu tun. "Die Lage ist superkompliziert", niemand wolle weitermachen wie bisher, sagt Gabriel aber auch. So herrscht Ratlosigkeit. Die Außenminister wissen, dass die Türkei unter Erdoğan der EU weder beitreten kann noch will. Andererseits wollen sie es nicht sein, die dem Beitrittsprozess den Totenschein ausstellen. Es sei wichtig, auch die "geopolitischen Faktoren zu sehen", wirbt der Litauer Linas Linkevičius. Die Türkei sei ein Schlüsselland in der Region, überdies Nato-Partner. "Die Türkei bleibt unser Nachbar. Niemand von uns möchte, dass sie in Richtung Russland geschoben wird", formuliert es Gabriel. So scheint es im Wesentlichen darum zu gehen, wie die faktisch ohnehin nicht mehr stattfindenden Beitrittsverhandlungen ohne größere Folgeschäden abgewickelt werden können. Doch genau diesen Eindruck will Mogherini nach dem Treffen vermeiden. "Der Erweiterungsprozess geht weiter", sagt sie, wenngleich derzeit keine neuen Verhandlungskapitel eröffnet würden. Die EU respektiere den Ausgang des Referendums. Ob die Türkei der EU beitreten könne, hänge aber davon ab, wie und wann die Verfassungsänderungen umgesetzt würden. Wenn die Türkei am Beitrittsprozess interessiert sei, wisse sie "sehr gut, was zu tun ist". Ohne Demokratie und Rechtsstaatlichkeit führe kein Weg in die EU. "Wir wollen nicht die Tür zuschlagen", sagt auch Gabriel, "aber, ob die Türkei durch die Tür gehen will, das muss die Türkei entscheiden".

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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