Behinderten-Gleichstellungsgesetz:Rüge aus der eigenen Reihe

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Es gibt kaum jemanden, der nicht dafür ist, Behinderte zu unterstützen. Bis es ums Geld geht. (Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

Das gibt es nicht alle Tage: Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Vera Bentele, kritisiert das neue Gleichstellungsgesetz scharf. Es sei unzureichend.

Von Thomas Öchsner, Berlin

"Beauftragte" der Bundesregierung gehören normalerweise nicht gerade zu den Großkritikern dieser Regierung. Sie stimmen zu, pflichten bei, mahnen allenfalls vorsichtig an. Umso bemerkenswerter ist, was sich die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, getraut hat. Bei der Vorstellung der Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) kritisierte die Weltmeisterin und Paralympics-Siegerin im Biathlon und Skilanglauf das neue Gesetz. Bentele, die von Geburt an blind ist, sagte: Es sei ein Anfang gemacht, aber die Gesetzespläne gingen nicht weit genug: "Barrieren müssen verbindlich beseitigt werden. Dies kann nicht von den Kosten abhängen."

Die 7,5 Millionen als schwer behindert eingestuften Menschen in Deutschland haben im Alltag mit vielen Hürden zu kämpfen. Alle politisch Beteiligten sind deshalb im Prinzip dafür, dass es für diese Menschen weniger Stufen und Treppen oder mehr Angebote mit Blindenschrift geben soll. Wird es aber konkret, wird wie immer ums Geld gerungen - und um mögliche Verpflichtungen für Unternehmen und Selbständige, die sie über Gebühr finanziell belasten könnten.

Die Novelle des 14 Jahre alten Gleichstellungsgesetzes enthält deshalb eher zaghafte Korrekturen: So sollen Bundesbehörden auch bei kleinen Baumaßnahmen unterhalb eines Volumens von zwei Millionen Euro darauf achten, dass diese zum Beispiel für Rollstuhlfahrer barrierefrei sind. Neu vorgesehen ist eine Schlichtungsstelle, an die sich behinderte Menschen wenden können, wenn sie sich durch Bundesbehörden bei der Anwendung des BGG verletzt fühlen. Menschen mit geistigen Behinderungen bekommen außerdem einen Anspruch darauf, dass Bundesbehörden ihnen Bescheide in leichter, also einer besonders verständlichen, Sprache erläutern müssen. Dies gelt jedoch erst von 2018 an.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sprach von einem "wichtigen Schritt". Sie sei sich aber bewusst, "dass wir noch eine Menge zu tun haben". Die Regelungen auf Länderbehörden und den privaten Bereich auszudehnen, sei leider in der Regierung nicht durchzusetzen gewesen. Bentele, deren Ehrenamt Nahles zugeordnet ist, äußerte schärfere Kritik: "Zu viele Abstriche, die im Laufe des politischen Prozesses gemacht wurden, haben den Gesetzentwurf verwässert."

So ärgert sie sich darüber, dass der Standard der Barrierefreiheit nicht auch für bestehende Bundesgebäude eingeführt wird und private Anbieter wie Arztpraxen oder Gasthäuser nicht verpflichtet worden seien, sich daran zu halten. Das sei für sie "eine ganz große Enttäuschung". Nötig sei ein Masterplan, um Barrieren abzuschaffen. "Manchmal würde schon eine kleine Rampe oder eine Speisekarte in Brailleschrift eine große Veränderung bedeuten. Mehr Lebenskomfort und Chancengleichheit kosten nicht unbedingt mehr Geld", sagte Bentele.

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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