Behandlungsfehler:Tupfer im Bauch

Lesezeit: 2 min

Gutachter der Krankenkassen berichten über Ärzte-Versagen. 30 Prozent der Betroffenen eines ärztlichen Kunstfehlers, finden sie etwa heraus, erlitten dabei bleibende Schäden. Sie fordern, Pannen zu dokumentieren, um daraus zu lernen.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Mehr als 15 000 Menschen hatten im vergangenen Jahr den Verdacht, Opfer eines ärztlichen Behandlungsfehlers geworden zu sein. Damit ist die Zahl dieser Beschwerden beim Medizinischen Dienst des Krankenkassen-Spitzenverbands (MDS) gegenüber den Vorjahren erneut leicht gestiegen. Bei fast jedem vierten Fall mussten die Gutachter den Vorwurf bestätigen: Vor allem in deutschen Kliniken kamen Patienten durch ärztliches Versagen zu Schaden.

Die Frage, bei welchen Eingriffen oder Behandlungen besonders oft etwas schiefgeht, kann der Vizechef des MDS, Stefan Gronemeyer, allerdings nicht beantworten. Zu hoch sei die Dunkelziffer der Kunstfehler. Die Beschwerden seien eher ein Indiz dafür, wie misstrauisch Patienten nach bestimmten Behandlungen seien. Wenn sie sich nach einer Operation nicht gut fühlten, tippten sie eher auf einen Fehler des Arztes als nach einer zu hoch verordneten Dosis ihres Medikaments.

Behandlungsfehler, welche die MDS-Ärzte nachwiesen, passierten im vergangenen Jahr während Wurzelbehandlungen beim Zahnarzt, bei Hüftprothesen, bei komplizierten Knochenbrüchen oder auch Krebstherapien. Nur bei etwa der Hälfte der Fälle ergriffen Ärzte eine ganz falsche Maßnahme, um ihrem Patienten zu helfen. Genauso häufig verzichteten sie auf einen notwendigen Behandlungsschritt oder reagierten zu spät.

30 Prozent der Betroffenen eines ärztlichen Kunstfehlers erlitten dauerhafte Schäden

Zwei Drittel der betroffenen Patienten überstanden die Fehlentscheidung ihrer Ärzte ohne bleibende Schäden. Zwar mussten sie länger im Krankenhaus bleiben oder eine zusätzliche Behandlung erhalten, kurierten aber schließlich ihre Krankheit aus. Doch 30 Prozent der Kunstfehler-Betroffenen erlitten dauerhafte Schäden, zwölf Prozent wurden pflegebedürftig, vier Prozent der Patienten starben. Um die Situation zu verbessern, forderte Gronemeyer eine gesetzliche Meldepflicht für Behandlungsfehler: "Jeder Fehler, aus dem heute nichts gelernt wird, kann sich jedoch morgen wiederholen und erneut vielleicht einen schweren Schaden verursachen", sagte er.

Gerade die Missgeschicke, die so schwerwiegend sind, dass sie niemals geschehen dürften - sogenannte Never Events - müssten dokumentiert werden. Wenn der Arzt seine Gerätschaften im operierten Patienten vergisst oder die falsche Körperhälfte operiert, tauche dies in keiner Statistik auf. Dabei zeigten solche Fehler gerade einen Sicherheitsmangel im System, weniger ein Versagen des Einzelnen, sagte der Patientensicherheitsexperte des Medizinischen Dienstes. Aus dem Bundesgesundheitsministerium heißt es, Krankenhäuser seien schon heute zu einem "patientenorientierten Beschwerdemanagement" verpflichtet und auch die Patientenakten müssten "sorgfältig geführt" werden. Fehlermeldesysteme in der Medizin sind in Deutschland allerdings freiwillige, anonyme Instrumente der Ärzteschaft.

Klinik- und Medizinerverbände wehrten die Kritik der Kassen-Gutachter ab. Der Vorstand der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung sagte, die Aussagekraft der MDS-Zahlen müsse "zum Teil mit der Lupe gesucht werden". Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft betonte, deutsche Medizin rangiere immer noch "in internationaler Spitzenposition".

In der Politik wurden die Zahlen anders aufgenommen. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, forderte ein Gesetz, mit dem "geschädigte Patienten ihre berechtigten Anliegen durchsetzen können". Auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), will eine neue Rechtslage. Gerade weil Behandlungsfehler so schwer nachzuweisen seien, müsse eine "überwiegende Wahrscheinlichkeit" genügen, um als Betroffener Schadenersatz einzuklagen. Die Justizminister der Bundesländer beraten derzeit in einer Arbeitsgruppe, ob das Arzthaftungsrecht verschärft werden sollte.

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: