Beginn des NS-Staates:Sprung ins Dunkle

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Vor 75 Jahren wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Die Konservativen wollten mit seiner Hilfe die Demokratie abschaffen - das Volk hatte nichts dagegen.

Robert Probst

Erich Ludendorff war entsetzt. Er schrieb dem Reichspräsidenten einen Brief über Adolf Hitler. Beide Männer kannte Ludendorff sehr gut, er hatte im Ersten Weltkrieg zusammen mit Paul von Hindenburg das kaiserliche Heer geführt, 1923 hatte er sich als exponierter Protagonist an Hitlers Putschversuch in München beteiligt. Nichts lag dem nationalistisch-reaktionären Ex-General ferner als die Verteidigung der Weimarer Demokratie. Dennoch schrieb er nach der Ernennung von Hitler zum Reichskanzler an Hindenburg: "Ich prophezeie Ihnen feierlich, daß dieser unselige Mann unser Reich in den Abgrund stürzen und unsere Nation in unfassbares Elend bringen wird."

Dabei war an diesem 30. Januar 1933 scheinbar gar nichts Spektakuläres geschehen. Um kurz nach 12 Uhr hatte der Führer der NSDAP dem ehemaligen Feldmarschall gelobt, seine Verpflichtungen ohne Rücksicht auf Parteiinteressen und zum Wohle des ganzen Volkes zu erfüllen. Adolf Hitler, 43, war neuer Reichskanzler einer krisengeschüttelten Republik, Chef eines Präsidialkabinetts ohne Mehrheit im Parlament, mit nur zwei Ministern aus seiner eigenen Partei, umgeben von nationalistisch-konservativen Berufspolitikern, die glaubten, ihn schnell in die Ecke drängen zu können, "bis er quietscht".

Und doch war dieser Tag anders, und das nicht nur weil die Nazis am Abend einen mehrstündigen Fackelmarsch von 25.000 uniformierten Hitleranhängern durch das Regierungsviertel inszenierten. Intellektuelle und kritische Geister ahnten, das sich hier etwas Neues, Schreckliches anbahnte. Der Publizist Sebastian Haffner, damals 25 Jahre alt, notierte: "Einen Augenblick spürte ich fast körperlich den Blut- und Schmutzgeruch um diesen Mann Hitler, und ich empfand etwas wie die zugleich bedrohliche und ekelerregende Annäherung eines mörderischen Tieres - eine schmutzige scharfkrallige Pfote an meinem Gesicht." Der Historiker Norbert Frei spricht von einem "Tag von epochaler Bedeutung für Deutschland und Europa".

Die Nazis selbst sprachen von der "Machtergreifung" und dem "Ursprung der nationalen Revolution". Auch vom Märchen oder Wunder war immer wieder die Rede. Bis heute hält sich gelegentlich diese Vorstellung, der Prozess sei aus historischen Zufällen in Gang gekommen, anonyme Mächte hätten gleichsam den Dämon Hitler über die Deutschen gebracht. Doch die Wahrheit lautet anders: "Hitler war kein Zufall, aber er war auch keine Zwangsläufigkeit. Hitler war gewollt", formuliert Norbert Frei.

Da waren zunächst ein paar Männer, die im wahrsten Sinn des Wortes Geschichte machten (siehe unten). Die konservative Machtelite "engagierte" sich den Populisten Hitler in einem komplizierten Intrigenspiel - in einem Moment, als die NSDAP in einer tiefen Krise steckte, die Wirtschaft sich vom Börsencrash 1929 langsam erholte und die Arbeitslosigkeit ein wenig zurückging.

Doch diese Männer wollten ein autoritäres Regime etablieren - und damit waren sie sich mit der Masse der Deutschen einig, die der Demokratie mit Unbehagen oder gleichgültig gegenüberstand. Nur ein "starker Mann", so die verbreitete These, könne das Trauma des verlorenen Krieges von 1918, die harten Friedensbedingungen von Versailles, die Weltwirtschaftskrise, die Massenarbeitslosigkeit und die kollektiven Zukunftsängste in einer modernen Welt überwinden. Am 30. Januar reagierten die meisten noch zurückhaltend auf Hitler, doch im Grunde wusste jeder: Weimar ist zu Ende.

In der Öffentlichkeit trat der neue Reichskanzler zunächst moderat auf, doch schon am 3. Februar gab er im Kreise der Reichswehrführung seine taktische Zurückhaltung auf. Als Ziele seiner Regierung nannte er laut Protokoll die "völlige Umkehrung der gegenwärtigen politischen Zustände", "die Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie", die "Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stil", sowie außenpolitisch die "Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung".

Ohne nennenswerten Widerstand errichteten die Nazis innerhalb weniger Monate einen Führerstaat. Und nur allzu bereitwillig und schnell passte sich die große Mehrheit der Bürger dem NS-Ideal von der "Volksgemeinschaft" an. Zwölf Jahre später war aus der "nationalen Revolution" eine deutsche Katastrophe, aus Europa ein Trümmerfeld und aus dem Dritten Reich ein Zivilisationsbruch ohne Beispiel geworden.

© SZ vom 30.01.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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