Beamte:Die Grenzen der Loyalität

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Wie viel Sold bekommt ein Staatsdiener? Dazu hat das Bundesverfassungsgericht erstmals Grundsätze aufgestellt. Als erstes Bundesland muss Sachsen nachbessern.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Ob es wirklich ein Weihnachtsgeschenk ist und wenn ja, für wen, das werden die Fachleute der Innenministerien erst einmal aufwendig nachrechnen müssen. Klar ist aber, dass mit dem Jahresende 2015 für die 1,7 Millionen Beamten in Deutschland eine neue Ära beginnt. Erstmals hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe detaillierte Grundsätze zur Beamtenbesoldung in Bund und Ländern aufgestellt. Die seit der Föderalismusreform von 2006 herrschende Freiheit der Bundesländer, den Sold der Staatsdiener je nach Haushaltslage zu deckeln, hat damit ein Ende.

Der Grundsatzbeschluss kam nicht ganz überraschend, er ist eine Blaupause des Urteils zur Richterbesoldung vom Mai dieses Jahres. Die Richter dekretieren freilich nicht feste Gehaltssätze für Staatsdiener, sondern haben ein fein ziseliertes Regelwerk entworfen, das sich auf einige Grundaussagen reduzieren lässt. Erstens: Beamte dürfen nicht von der allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung abgehängt werden. Der Zweite Senat gibt dabei eine Orientierung an den Tariflöhnen im öffentlichen Dienst sowie an der Entwicklung des allgemeinen Lohn- und Preisniveaus vor. Zweitens: Der beliebten Methode, vor allem in den höheren Gehaltsgruppen zu kürzen und den Einschnitten durch Bevorzugung der schlechter Verdienenden einen sozialen Anstrich zu geben, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. Der Schutz des Berufsbeamtentums gebiete einen gewissen Abstand zwischen den Besoldungsgruppen, der nicht dauerhaft eingeebnet werden dürfe. Auch im Quervergleich zwischen den Ländern darf die Kluft nicht zu breit werden. Und drittens: Mit Haushaltsknappheit und insbesondere mit den Zwängen der Schuldenbremse lässt sich manches, aber nicht alles rechtfertigen. Kürzungen sind zulässig, wenn sie Teil eines "schlüssigen Gesamtkonzepts" sind - Sonderopfer allein für Beamte sind dagegen nicht erlaubt. "Auch das besondere Treueverhältnis verpflichtet Beamte nicht dazu, stärker als andere zur Konsolidierung öffentlicher Haushalte beizutragen", mahnt das Gericht.

Grundlage der Entscheidung sind die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" - aus denen aber eben nicht nur allgemeine Prinzipien abzuleiten seien, sondern ein "grundrechtsgleiches" Recht der Beamten. Daraus folge die Pflicht, "Beamte sowie ihre Familien lebenslang zu alimentieren" und ihnen nach Dienstrang und Verantwortung einen "angemessenen Lebensunterhalt" zu gewähren. Das klingt alles ein wenig angestaubt, aber letztlich geht es darum, Beamtenkarrieren attraktiv genug für qualifizierte Bewerber zu machen. Und weil der sonst übliche Lohnfindungsmechanismus der Tarifverhandlungen wegen des Streikverbots für Beamte nicht greift, fungiert das Bundesverfassungsgericht als eine Art Gewerkschaftsersatz - nur eben ungleich mächtiger. Der Grundsatzbeschluss aus Karlsruhe - als Berichterstatter war Präsident Andreas Voßkuhle zuständig - ist damit ein verbindlicher Rahmen, an dem sich die Beamtenbesoldung in den nächsten Jahrzehnten wird orientieren müssen.

Zwar betont der Senat den "weiten Entscheidungsspielraum" des Gesetzgebers; das Gericht prüfe hier zurückhaltend und schreite nur bei "evidenter Sachwidrigkeit" ein. Tatsächlich blieb die Besoldungshöhe in drei der vier entschiedenen Verfahren unbeanstandet; dabei ging es um einige mittlere Besoldungsgruppen aus Nordrhein-Westfallen und Niedersachsen. Dass der Beschluss kein stumpfes Schwert ist, zeigt sich indes im vierten Fall: Das Gericht erklärte die A-10-Besoldung des Landes Sachsen - gemessen am hier relevanten Jahr 2011 - für verfassungswidrig. Das Rechenexempel illustriert, wie der Karlsruher Algorithmus funktioniert: Die sächsische Besoldung blieb um 5,5 Prozent hinter dem Anstieg der Tariflöhne, um 7,8 Prozent hinter dem Nominallohnindex und um 6 Prozent hinter den Verbraucherpreisen zurück - alles außerhalb der Toleranzgrenzen, die Karlsruhe formuliert hat. Berücksichtigt werden dabei auch die Einschnitte bei Sonderzahlungen, Beihilfe und Altersversorgung. Zudem moniert das Gericht die große Kluft zur Privatwirtschaft. Die Klägerin arbeitete bei der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt - vergleichbare Fachleute bei Versicherungsunternehmen verdienen fast durchgängig mehr. Sachsen muss bis Mitte 2016 nachbessern.

Es ist also ein Balanceakt zwischen Verbindlichkeit und Flexibilität. Allerdings gibt es eine Untergrenze, die verbindlich sein dürfte - auch wenn das Gericht es bei einer Andeutung belässt: Der Abstand zum Sozialhilfeniveau müsse mindestens 15 Prozent betragen.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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