Bauvorhaben:Ende der Gelassenheit

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Deichbau und Küstenschutz gehören zur norddeutschen DNA. Bei vielen anderen Bauvorhaben herrscht dagegen trübe Aussicht. (Foto: Priller&Maug/imago)

In Norddeutschland stocken viele Verkehrsprojekte - wie die Elbvertiefung - wegen langwieriger Planungsprozesse. Jetzt hat Schleswig-Holstein genug.

Von Thomas Hahn, Nordstrand

Neulich beim kleinen Festakt vor dem Alten Koog in Norderhafen hat Peter Werner Paulsen, Bürgermeister von Nordstrand, wieder von Zeit und Verzögerung gesprochen. Im Beisein von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig wurde bei strammem Nordseewind der neue, mächtige Klimadeich eröffnet, der die Küste auch in Zeiten von Erderwärmung und steigendem Meer vor Sturmfluten schützen soll. Und in seiner Ansprache hat Paulsen nicht verbergen wollen, dass die zehn Jahre Planung und vier Jahre Bauzeit seiner Gemeinde viel abverlangt hätten: "Geduld ist fast untertrieben."

Im Publikum allerdings stand Volker Petersen, Wasserbauexperte der Landesregierung, und dachte sich seinen Teil. Gemessen an den verfahrensrechtlichen und bautechnischen Herausforderungen, die in der Natur der Sache lagen, fand er die Fortschritte eigentlich immer ganz gut. Petersen sagt: "Das war gar nicht lang."

Deichbau gehört sozusagen zur DNA des deutschen Nordens. Das Meer hat hier über die Jahrhunderte schon so viel angerichtet, dass kein Nordsee-Anrainer es unterschätzt. Küstenschutz ist eine der wenigen Infrastrukturmaßnahmen, bei denen Regierung, Lobbyverbände und Parteien nicht pausenlos aneinandergeraten. Insofern ist der Deichbau zu Nordstrand tatsächlich nicht das beste Beispiel für die Trägheit des deutschen Planfeststellungsrechts, welche Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) mittlerweile mit seinem eigenen Sechs-Punkte-Plan bekämpfen möchte. Aber im Norden gibt es genügend andere umstrittene Bauvorhaben, die Politik und Wirtschaft Sorgen bereiten: Viele Verkehrsprojekte in sensibler Natur, die das Geschäftsleben für die Zukunft des Landes stärken sollen, stocken. Wie ein Mantra wiederholen Planer und Befürworter dieser Projekte, dass das deutsche Planfeststellungsrecht, gepaart mit dem europäischen Umweltrecht, besagte Vorhaben zur jahrzehntelangen Nervenprobe machten - Naturschützer und sonstige Gegner fänden so immer wieder einen Hebel, den Fortschritt aufzuhalten.

Die Fahrrinnenanpassung der Elbe zum Beispiel, im Verständnis der hanseatischen Wirtschaft eine überlebenswichtige Maßnahme für den Hamburger Hafen, steckt nach zehn Jahren immer noch in der Planungsphase. Seit 2009 plant Schleswig-Holstein nur mit allmählichem Erfolg den Ausbau der A20 ab Bad Segeberg Richtung Südwesten - nach neuestem Stand ist der Baubeginn frühestens Anfang 2019. Und bei der festen Fehmarnbelt-Querung, dem Tunnel durch die Ostsee, der eines Tages Dänemark mit Deutschland verbinden soll, ist die voraussichtliche Inbetriebnahme von 2021 auf 2028 verschoben worden. Vor allem die Verfahren auf deutscher Seite gehen schleppend voran.

Was die Naturschützer von dem Vorstoß halten, ist klar: Sie sind nicht beeindruckt

Deutsche Verkehrspolitiker stehen vor einem Dilemma. Einerseits wollen sie nicht an rahmenrechtlichen und demokratischen Grundsätzen rütteln - zumal sich das Bauen am Bürger vorbei bei Projekten wie Stuttgart 21 nicht bewährt hat. Andererseits fürchten sie um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit, wenn sie sehen, wie zügig zum Beispiel Dänemark Spatenstiche per Gesetz festschreibt. Bund und Länder verhandeln über Abhilfe im "Innovationsforum Planungsbeschleunigung", Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will demnächst in Berlin die Ergebnisse vorstellen. Aber Meyer sagt: "Wir haben alle den Eindruck, dass wir nicht richtig weiterkommen. Wir müssen auch eigene Vorschläge machen." Mit seinem Sechs-Punkte-Plan will Meyer Instanzenwege entrümpeln. Aus seiner Sicht sollte der Bund zum Beispiel nicht mehr sämtliche Entwurfsplanungen der Länder für Bundesfernstraßenprojekte prüfen müssen; die doppelte Kontrolle koste zu viel Zeit. Ländern wie seinem Schleswig-Holstein empfiehlt er ein "Fair-Play-Abkommen mit den Naturschutzverbänden, in dem sich Land und Verbände projektunabhängig auf Regelungen verständigen, um so vor allem Klagen zu einem sehr späten Zeitpunkt im Planungsverfahren zu verhindern".

Wenn es nach Meyer ginge, würde er gleich eine ganze Justizreform auf den Weg bringen. Es gäbe mehr Personal für schnellere Urteile, und für bestimmte Planungsstände würde "eine Art Rechtsschutz gewährt". Meyer sagt: "Es kann nicht länger sein, dass nahezu fertige Planungen für die Vertiefung der Elbe noch einmal vollständig ins Rutschen geraten, weil beispielsweise im Nachhinein von der Europäischen Union Wasserrahmenrichtlinien erlassen werden, mit denen die Länder juristisch völliges Neuland betreten."

Wie Dobrindt Meyers Vorstoß findet, ist nicht ganz klar. Auf Anfrage kommt aus seinem Haus nur der Hinweis, dass im Januar Dobrindts Entwurf eines neuen Bundesfernstraßengesetzes durchs Kabinett gekommen sei, welches wichtige Vorhaben um bis zu eineinhalb Jahre beschleunige. Und dass das Innovationsforum seit Juli 2016 an Lösungen arbeite.

Wie die Naturschutzverbände Meyers Vorschläge finden, ist dagegen klar: nicht beeindruckend. Sie gehen ohnehin davon aus, dass bessere Pläne frühere Baubeginne bringen würden. Und zu Meyers Idee des Fair-Play-Abkommens sagt Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des Naturschutzbundes Schleswig-Holstein: "Da würden wir gerne mal wissen, wer unfair spielt. Wir jedenfalls nicht." Aus seiner Sicht lassen sich die planenden Behörden zu sehr von Wirtschaftsinteressen leiten. "Man müsste ergebnisoffen diskutieren, wenn man in ein Planungsvorhaben eintritt", sagt Ludwichowski. Man merkt schon: Es wird schwierig, auf die Schnelle schnellere Verfahren zu planen.

© SZ vom 27.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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