Axel C. Springer:Heiliges Monster

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Der Mann mit dem Groscheninstinkt: Vor 20 Jahren starb der Verlegerpatriot Axel Cäsar Springer.

Michael Jürgs

Er war, gemessen an den Auflagen seiner Blätter, mal der größte Verleger der Republik. Weil Axel Springer außerdem nicht nur groß war wie Franz Burda und Alfred Bauer, sondern überlebensgroß, entfällt die übliche Maxime nil nisi bene, über Tote nichts als Gutes.

Axel C. Springer im Mai 1982. (Foto: Foto: dpa)

So unterschiedlich Springer, Henri Nannen und Rudolf Augstein auch in Wirkung, Art und Auftreten gewesen sind — sie waren journalistische Verleger. Betriebswirtschaft in Verlagen kann man lernen, journalistische Kreativität nicht.

"Heilige Monster" hatte die großen Drei ein französischer Journalist genannt, die monstres sacres der deutschen Presse nach 1945. Keine schlechte Definition. Denn es gab viele Momente, in denen man sie für ihre Art hätte ermorden können, um dann an ihrem Grab weinen zu müssen.

Axel Springers Gespür für die richtigen Leute zur richtigen Zeit, ob bei Bild oder Welt, war zunächst von seinem Weltbild ungetrübt. Da achtete er auf Könner und Qualität, nicht auf Gesinnung. Erst später, als er sich in eine politische Ecke gedrängt fühlte, die er andererseits dann als geistige Heimat empfand, hat er darauf geachtet, dass in seinem Männerbund nur Leute mit seiner politischen Überzeugung wirkten.

Rudolf Augstein, der unheilbare Denker von der anderen Straßenseite, wo im Stern auch Henri Nannen wirbelte, konnte nie recht verstehen, warum dieser realitätsferne Mann so erfolgreich war.

Ein genialer Zeitungsverkäufer, nun ja. Aber doch ein Narziss, von dem bezweifelt werden darf, ob er je ein politisches Gespräch geführt hat. Der Spiegel-Chef: "Die Volksgemeinschaft des Adolf Hitler ist von niemandem geschickter beerbt worden als von diesen beiden, Adenauer und eben Springer."

Springer war jedoch kein verbohrter deutschnationaler Verleger wie Scherl oder Hugenberg, die zu den geistigen Wegbereitern des Nationalsozialismus gehörten; er war ein kämpferischer Patriot und dass ausgerechnet er, der als letzter an die nationale Einheit glaubte, sie nicht mehr erleben durfte, darf man durchaus tragisch nennen.

Der Bohemien aus Altona, der davon geträumt hatte, Sänger zu werden, bevor er Verleger wurde, leistet sich während seines Aufstiegs zum größten Zeitungstycoon des Kontinents nicht nur die seiner Überzeugung entsprechenden besten Plattmacher - nein, manchmal sogar wirklich die besten Blattmacher.

Zum Beispiel den für die damaligen Leserbedürfnisse genialen Journalisten Eduard Rhein, der ihm durch Hörzu die Millionen verdiente, mit denen Springer seine Zeitungen finanzierte, bis Bild zur Milchkuh wurde.

Er konnte sich in die Gefühlswelt der Menschen hineinversetzen. Er witterte Themen, die sie bewegten. Auch das unterscheidet Verleger von Verlagsmanagern.

Kitsch statt Kisch

Am besten zu verdeutlichen an einer Geschichte: Soll ja gut sein für die Erde, sagt der Mann, und lässt seine frisch abgeschnittenen Fingernägel in die Geranienkästen auf dem Balkon fallen. Seine Frau nickt und schenkt ihm Kaffee nach.

Als der Briefschlitz klappert, geht sie in den Flur und holt das Hamburger Abendblatt. Und was wollen die da lesen, fragt der Erzähler dieser von ihm soeben erfundenen Szene seinen damaligen Jungmanager Christian Kracht, na, was wohl?

Auf jeden Fall, gibt Axel Springer gleich selbst die Antwort, nichts auf Seite eins über Bernsteinfunde im Baltischen Meer oder Hochwasser am Amazonas. Der Mann auf dem Balkon, der vielleicht müde von seiner Werftschicht gekommen ist, sagt Springer — und zeigt von seinem Büro auf ein Mietshaus gegenüber -, der will wissen, was in seiner Umgebung passiert ist.

Das muss auf der ersten Seite stehen - und immer über dem Bruch, wo die Zeitung gefaltet wird. So muss man das Blatt machen, vergessen Sie das nicht.

Springers Journalisten setzen die Ideen ihres Verlegers um in alltägliche Erfolge. In den Jahren, als er in seinen Zeitungen noch nicht zum Kreuzzug gegen das Reich des Bösen in Moskau rüstete, sondern nur zur Attacke auf die Portemonnaies der deutschen Leser, kann ihm keiner was vormachen.

Überlegt genau, wie er den Leuten einen Groschen, später mehrere, aus der Tasche ziehen kann. Denn die Männer kaufen auf dem Weg zur Arbeit oder die Frauen beim Gang zum Metzger seine Blätter ja nicht aus innerem Antrieb, sondern aus äußerem Anreiz.

Er kann sich hineinversetzen in die Bedürfnisse derer, die er umwirbt. Deshalb wird Bild seine größte Inszenierung, ein meist ausverkauftes Volksstück, zugleich der Kettenhund des Volkstribunen AS. Bild hat den Ruf eines Sensationsblatts, immer an der Grenze zur Geschmacklosigkeit, meist drunter, gemacht von geübten "Schlagzeilen-Pistoleros" (Heinrich Böll).

Die Leser geben sich ihm scharenweise hin, weil er sie stets überrascht und nie langweilt. Das hat nichts zu tun mit Zahlen und Statistiken und Analysen und Marktforschung, also nichts mit dem, worauf Kaufleute ihr Koordinatensystem aufbauen.

Davon hat er eh keine Ahnung und das interessiert ihn auch nicht. Sogar Augstein gibt öffentlich zu, dass Springer "unter allen Verlegern von Zeitungen und Zeitschriften der mit der auflagenempfindlichsten Nase" war.

Einen solchen Instinkt hat man oder man hat ihn nicht. Gute Reporter riechen eine Geschichte, und machen sie, egal was es kostet. Gute Verlagsleiter sorgen dafür, dass immer Geld für eine Recherche da ist.

Gute Verleger sind beides, Riecher und Rechner. Die Nähe zu Seinesgleichen, also damals noch Journalisten, schafft Springer Lustgewinn und Lebensfreude. Die sind kreativ und spontan wie er, auch ein bisschen halbseiden, meist nicht gerade gebildet, aber neugierig auf alles. In seinen guten Phasen war er sogar noch besser als die besten unter ihnen.

Der Intendant des Hauses geht anfangs noch selbst auf die Bühne und spielt begeistert mit. Er hat in der Tat mit Schere und Kleister auf dem Boden gelegen und lustvoll aus englischen Massenblättern eine neue Zeitung für Deutschland zusammengeklebt. So entstand Bild.

Die Begeisterung seiner von ihm oft verfluchten Erbsenzähler hielt sich in Grenzen. Natürlich setzt er sich durch, ist ja mein Laden, ganz allein mein Laden, und mit gewisser Häme erzählt er Ende 1953 seiner Belegschaft, dass Bild mit 1,2 Millionen Auflage zu größten Zeitung des Kontinents geworden ist: "Es ist die Redaktion gewesen unter der glänzenden Führung, und es ist sicherlich auch der Verlag gewesen."

Dass man in einem immer größeren Verlag auch kühle Rechner braucht, Betriebswirte und "Flanellmännchen", wie er sie nennt, sieht Springer ein, aber mit denen will er möglichst wenig zu tun haben.

Der Herr der leichten Musen, von Kitsch statt Kisch geprägt, hat fast telepathische Fähigkeiten, wie seine Chefredakteure immer wieder feststellen. Liest der Kerl doch kaum ein Buch, und findet schon nach Minuten genau die Stelle, die spannend ist und aus der man eine umwerfend gute Geschichte machen kann.

Richtig ist, dass er anregt und erklärt, aber dann andere machen lässt. Nur manchmal persönlich zuschlägt, wenn die anderen einen ganz besonderen Nerv bei ihm treffen. Der damalige Chefredakteur von Bild hatte in den fünfziger Jahren einen Kommentar geschrieben, sinngemäß etwa so, dass er sich beklagte, nie würden die armen Deutschen im Ausland anständig behandelt, schließlich sei der Krieg doch schon über zehn Jahre her.

Was sollen wir denn noch tun? Fernschreiben des Verlegers aus Kampen: "Ich will Ihnen sagen, was die Deutschen im Laufe der nächsten zehn Jahre tun sollten. Sie sollten die Schnauze halten und still vor sich hinarbeiten. Sie haben soviel Elend in der Welt verursacht, dass sie überhaupt keinen Grund haben, das Maul aufzureissen."

Springer hasste Uniformen, hasste Marschmusik, hasste Nazis. Deshalb galt er bei den Briten, als die nach dem Zweiten Weltkrieg Zeitungslizenzen vergaben, als most untypical German. Sein Scherz, er sei eigentlich während der Nazizeit nur von den Frauen verfolgt worden, ist ein Teil der Springerlegende.

Von ihm selbst, als er nicht mehr witzig sein durfte, sondern nur noch bedeutend: "Mir schien diese scheinbar leichtfertige Antwort durchaus angemessen. So gut wusste ich, was damals geschehen war, dass mir meine eigene Geschichte des Nichtmitmachens, des Zorns, der Scham und der Hilfe, wo immer möglich, blass, bedeutungslos und der Wiedergabe nicht wert schien."

Springers Geschichten von der alltäglichen Anpassung und seinem Glück, persönlich frei von Schuld zu sein, aber sich verantwortlich zu fühlen für die "Todeswolke", die seit Auschwitz über Deutschland hängt, gehört zu dem, was ihn als Verleger antrieb, ja: was ihn trieb. Er leidet an dieser Schuld der Deutschen. Eine Chance, sie abzutragen, ist für ihn die Bekämpfung des Kommunismus: Bloß nicht nochmal versagen und schweigen!

Er sieht keinen Unterschied zwischen den beiden totalitären Systemen, beide sind unmenschlich und beide vor allem gottlos: "Man kann nicht die braune Unfreiheit hassen und bekämpfen, die rote aber herbeireden und lieben oder verharmlosen." Schuld abtragen will er vor allem durch bedingungslose Unterstützung des Staates Israel.

Für Gott und Vaterland

Er sprach nicht wie die meisten seiner Generation. Er benutzte das Wort von der Kollektivhaftung für die Naziverbrechen und hoffte, dass vielleicht einmal die Nachgeborenen unbefangen miteinander umgehen konnten, er dagegen könne das nicht und sei dankbar, wenigstens helfen zu dürfen.

Bei allem Engagement war Springer gleichzeitig unfähig, die Ursachen des Nationalsozialismus zu analysieren, die letztlich Konzentrationslager, Genozid, Krieg bewirkt haben. Unfähig zu erkennen, wes Geistes Kind zum Beispiel die reaktionäre Deutschland-Stiftung war, deren nach Konrad Adenauer benannten Preis für aufrechte Deutsche er dankend entgegennahm. Unfähig zu erkennen oder gar zu verhindern, wenn seine Kampfschreiber auf alles einschlugen, was nicht ihrer Meinung war: Liberale und Linke, Gewerkschafter und Genossen, Dichter und Denker - und vor allem in den sechziger Jahren die aufmüpfigen Studenten.

Springer war der bekannteste Vertreter der bürgerlich-konservativen Weltordnung. Die auf ihn und Seinesgleichen einstürmende junge Generation, die beginnend mit der Spiegel-Affäre 1962 aus der Demokratur eine lebendige Demokratie erstritt, war ihm fremd.

Er war deren liebster Feind, sie der seine. Falls es stimmte, dass er manchmal blaue Flecken bekam, weil er "morgens bei der Lektüre meiner Zeitungen aus dem Bett fällt", musste er bei den Schlagzeilen bis Mitte 1968 übersät sein von Prellungen: Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt; Polit-Gammler-Unruhestifter unter Studenten ausmerzen; Jetzt wird aufgeräumt; Kein Geld für langbehaarte Affen; Abgrund von Gesinnungslumperei; Wer es wohl meint mit Berlin, der jage endlich die Krawall-Radikalen zum Tempel hinaus; Eiterbeulen; Geistige Halbstarke.

Der politische Verleger Springer war in Wahrheit ein eher unpolitischer Mensch, der nur in Kategorien von böse und gut denken konnte. Die Linken waren des Teufels, also schlecht, die Rechten glaubten an Gott, waren also gut. Er war überzeugt, stets im Namen von Gott und Vaterland zu handeln, also im Geiste höherer Werte, aber er war unfähig, andere Argumente gelten zu lassen , geschweige denn, seine Meinung zu überprüfen.

Er traute seinen Gefühlen, seinem Instinkt, hörte zu, wenn Menschen von dem erzählten, was sie in der DDR-Diktatur oder als Juden von den Nazis verfolgt erdulden mussten. Das hat ihn empört, berührt, und danach hat er gehandelt.

Wenn Rudi Dutschke, Held der Anti-Springerbewegung, von einem durch Schlagzeilen aufgehetzten Attentäter in Berlin niedergeschossen, dazu aufgerufen hätte, jeder Student sollte ein Jahr lang im Kibbuz arbeiten, um die Schuld der Väter zu sühnen, dann hätte Springer für alle die Flugkosten nach Israel übernommen.

Einem Journalisten des Daily Mail sagte er, altersmilder: "In diesen jungen Köpfen herrscht eine tiefe Animosität gegen das Establishment, gegen dieses gut geregelte, ordentliche, konservative und - lassen Sie uns ehrlich sein - ziemlich graue Leben, das wir alle in einer solchen Gesellschaft führen müssen.

Sie sehen um sich herum das Streben nach materieller Verbesserung und fast nichts, das auf dem Weg künstlerischen Ausdrucks dabei herauskommt. Ich sage, der Fehler liegt bei uns allen, nicht beim Staat." Die Echtheit dieses Zitats wurde nie dementiert.

Hellmuth Karasek verhöhnte den Verleger einst in einer frei nachempfundenen "Rede, fast von Axel Springer" in der ebenfalls zum Hamburger Linkskartell gerechneten Zeit: "Wir alle meine Damen und Herren wollen den Frieden.

Aber ein Frieden, bei dem unserer Töchter Sklavinnen sowjetischer Spitzenfunktionäre sein müssten und bei dem - wie ich aus den Geheimdokumenten eines übergelaufenen jugoslawischen Gefreiten weiß - das Verlagshaus der Welt in eine landwirtschaftliche Kolchose verwandelt werden soll, ein solcher Frieden ist kein Frieden."

Lang ist's her. Inzwischen ist der damalige Zeit-Autor als Zeitkritiker bei der Welt unter Vertrag. Was in einer anderen Welt eines der zeitweise heiligen drei Monster amüsieren dürfte.

Jürgs ist Verfasser des Bestsellers Der Fall Axel Springer, der als ARD-Zweiteiler verfilmt wurde. Der hier abgedruckte Text wird in einer Edition des Springer-Verlages erscheinen, in der u.a. Franziska Augstein, Egon Bahr, Henry Kissinger, Sten Nadolny, Leon de Winter und Otto Schily über den Verleger schreiben. Bislang unveröffentlichte Dokumente aus dessen Leben sind zu finden in Claus Jacobis neuer Biografie Der Verleger Axel Springer (Herbig-Verlag).

© SZ vom 22.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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