Autoverkehr:Ein Kessel Trübes

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Der erste Feinstaub-Alarm Deutschlands - in Stuttgart - könnte nur wenig fruchten, die Resonanz ist offenbar erst mal dürftig. Kritiker fordern schon viel schärfere Maßnahmen.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Die Adresse "Am Neckartor" klingt zwar nobel, doch handelt es sich nur um einen Abschnitt der Bundesstraße 14, die östlich an der Innenstadt vorbeiführt. Kein Ort, der Stuttgarts Schönheit ausmacht. Zu bundesweiter Berühmtheit gelangte das Neckartor wegen der hier gemessenen Schadstoffwerte, sie begründen Stuttgarts Ruf als deutsche Feinstaub-Hauptstadt. Deshalb richtete sich der Blick am ersten Tag des "Feinstaubalarms", den die Stadt nun ausgerufen hat, vor allem Richtung Neckartor. Nach Angaben des Verkehrsministeriums werden an dem Knotenpunkt jeden Tag mehr als 70 000 Fahrzeuge gezählt. Der erste Eindruck: genauso viel Verkehr wie sonst auch.

Am Montagnachmittag lagen noch keine Angaben vor, doch allem Anschein nach haben die Autofahrer den Alarm weitgehend ignoriert. Der Aufruf der Stadt, der bis mindestens Donnerstag gilt, richtet sich vor allem an die 200 000 Berufspendler. Doch auf allen Einfallstraßen bot sich am Montag ein Bild wie am Neckartor.

Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn hat den neuen Luftreinhalteplan mit Verkehrsminister Winfried Hermann verabschiedet. Ausgerufen wird der Alarm, wenn der Deutsche Wetterdienst im Stuttgarter Kessel eine Wetterlage mit wenig Luftaustausch ankündigt. Sollte der Alarm, der über die Medien und auch Info-Tafeln verbreitet wird, nicht fruchten, soll es von 2018 an Fahrverbote geben. So könnten abwechselnd Autos mit entweder gerader oder ungerader Ziffer am Ende des Kennzeichens zugelassen werden. Minister Hermann setzt auch auf die Einführung einer blauen Plakette, die für Dieselfahrzeuge die Abgasnormen verschärft.

Kuhn und Hermann, beide Grüne, haben mit dem Plan auf ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission reagiert. Sie droht der Bundesregierung mit massiven Strafen, sollten die Feinstaubwerte in Stuttgart und Leipzig nicht bis 2020 den EU-Normen entsprechen. Der Grenzwert liegt bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter im Tagesmittel, der an höchstens 35 Tagen im Jahr überschritten werden darf. In Stuttgart wird das Ziel weit verfehlt, im Übrigen auch bei Stickstoffdioxid - nicht zuletzt Folge der Kessel-Lage.

Es gab schon viele Versuche, das Problem in den Griff zu bekommen: Umweltzone, Lkw-Durchfahrtsverbot, Tempolimits zur Verstetigung des Verkehrs. Doch Wissenschaftler haben festgestellt: Das alles reicht nicht, und auch der Fortschritt beim Bau schadstoffarmer Autos wird nicht genügen, um wie von der EU gefordert bis 2020 die Grenzwerte einzuhalten. Man muss in Stuttgart den Verkehr reduzieren.

Umweltverbände kritisieren den Alarm als Farce und fordern sofortige Fahrverbote. Anwohner des Neckartors, die seit Jahren gegen die Stadt klagen, trafen sich zu einer Protestkundgebung. Sie dürften sich in ihrem Ärger bestätigt fühlen durch den SPD-Fraktionsvorsitzenden Claus Schmiedel, der laut dpa mit dem Auto in die Stadt fuhr und sagte: "Feinstaubalarm ist eine feine Sache. Ich kam völlig problemlos durch."

Der Feinstaub-Alarm in Stuttgart zeigt bei Autofahrern wenig Wirkung. (Foto: Marijan Murat/dpa)
© SZ vom 19.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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