Außenansicht:Vergiftete Veteranen als Ankläger

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In den 80er Jahren hat sich Donald Rumsfeld bemüht, dem Hussein-Regime den Kauf von Flugzeugen und anderem Material für potenzielle Waffen zu ermöglichen. Nun haben Golfkriegsveteranen eine Sammelklage gegen Wirtschaftsunternehmen und Banken erhoben, die dem Irak beim Aufbau seines Chemiewaffen-Programms geholfen haben sollen.

(SZ vom 3.9.2003) - Eine neue Sammelklage macht die Bush-Administration nervös und lässt betroffene Unternehmen weltweit in Deckung gehen. Eingereicht wurde sie im Namen von über hunderttausend Golfkriegsveteranen im Bezirksgericht in Brooklyn, New York.

Die Sammelklage nennt elf Wirtschaftsunternehmen und 33 Banken, darunter viele europäische, die dem Irak beim Aufbau seines Chemiewaffen-Programms geholfen haben sollen, wohl wissend, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen gegen Iraner wie auch gegen sein eigenes Volk einsetzte. Zu den beklagten deutschen Firmen und Banken gehören Aventis und Preussag sowie die Deutsche Bank und die Dresdner Bank.

Donald Rumsfeld als Türöffner

In den 80er Jahren war der heutige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld - zu jener Zeit Nahost-Sonderbotschafter des damaligen Präsidenten Ronald Reagan - eifrig bemüht, Türen zu öffnen für Riesenaufträge des Hussein-Regimes, das Flugzeuge, militärisches Gerät und anderes Material für potenzielle Waffen kaufen wollte.

Nach der Invasion in Kuwait wurde Hussein als Freund des Pentagon fallen gelassen und landete auf der Liste der "most wanted" (Meistgesuchten).

Den Alliierten Streitkräften kam nun die scheußliche Aufgabe zu, dieselben Chemiewaffen zu beseitigen, die zuvor von den Unternehmen ihrer Länder mit Profit im Irak angehäuft worden waren. Dummerweise erkannten nur wenige Golfkriegssoldaten, dass sie mit der Zerstörung von Husseins Massenvernichtungswaffen ihr eigenes Leben gefährdeten.

Im Luftkrieg 1991 bombardierten Alliierte irakische Waffenfabriken und Munitionslager. Dabei lieferten sie sich einem unerwarteten und großflächig niedergehenden giftigen Fallout aus. In einem besonders verheerenden Fall waren über 100000 Angehörige der Truppen dem Nervengas Sarin ausgesetzt, als US-Militärs unsachgemäß ein Chemiewaffenlager in Khamisiyah sprengten.

Nach heutigen Schätzungen sind bis zur Hälfte der 697 000 Golfkriegsveteranen erkrankt. Viele leiden an unterschiedlichen Symptomen, die gemeinhin als Golfkriegs-Syndrom bezeichnet werden.

Das US-Verteidigungsministerium hat Versuche der Veteranen, gerichtlich auf Schadensersatz zu klagen, stets abgewehrt. Wegen seines sträflichen Umgangs mit diesen Klagen wurde das Verteidigungsministerium von Veteranen heftig kritisiert. Oft diente das Fehlen einer einzigen Diagnose als Vorwand, um Zahlungen für ärztliche Behandlung oder Entschädigungen zu verweigern.

Jüngste medizinische Forschungen bestätigen jedoch einen Zusammenhang zwischen dem Kontakt mit chemischen Kampfstoffen, dem Golfkriegs-Syndrom und den Gesundheitsschäden von neugeborenen Kindern der Veteranen. Es sind diese Zusammenhänge, auf die auch die Anwälte Gary Pitts und Kenneth McCallion in ihrer Klage hinweisen. Sie behaupten, "für Unternehmen und Banken hatte die Unterstützung Saddam Husseins beim Aufbau seines Arsenals chemischer Massenvernichtungswaffen bisher keinerlei Konsequenzen". Mit der Klage wollen sie "neben gerechten Entschädigungszahlungen an die vergifteten Veteranen und ihre mit Schäden geborenen Kinder erreichen, dass Unternehmen in Zukunft von solchen Geschäften Abstand nehmen". Bei einem Erfolg der Sammelklage in den USA ist mit Folgeprozessen von Veteranen auch in Ländern der US-Verbündeten zu rechnen.

Im Licht des heutigen Irak-Konflikts wirft diese Klage ebenso breite wie bedrohliche Schatten voraus. Im zweiten Golf-Krieg haben sich mindestens 100 Truppenangehörige bereits eine "mysteriöse" Krankheit zugezogen, die einer Lungenentzündung ähnelt, und die Mediziner des US-Verteidigungsministeriums nicht ausreichend diagnostizieren können. Die Familien der im Irak stationierten Soldaten verlangen jedoch Antworten auf ihre Fragen.

Einen besonders dramatischen Fall beschreibt der Vater eines Soldaten. Michael Neusche schildert, wie sein 20-jähriger Sohn Josh, ehemaliger Leichtathletik-Star in Missouri, am 26. Juni über einen Einsatz im Irak nach Hause schrieb, er sei zu einer geheimen "Transportmission" eingeteilt. Am 1. Juli fiel Josh ins Koma. Das Militär stufte ihn darauf umgehend als jemanden ein, der aus "medizinischen Gründen aus der Armee entlassen" wurde. Dadurch verloren er und seine Familie jeden Anspruch auf Kompensation. Am 12. Juli starb Josh schließlich an "anderen Ursachen", wie sich das Pentagon ausdrückte.

In einem ähnlich gelagerten Fall starb auch Zeferino E. Colungo, ein 20-jähriger Soldat aus Texas, nach vergeblichem Kampf gegen eine nicht näher erklärte Krankheit, die Ähnlichkeiten mit einer Lungenentzündung hatte. In einem Brief an Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schrieb die Familie Colungo vor kurzem: "Wir haben Anspruch darauf zu erfahren, weshalb ein gesunder junger Mann, der bei einer angeblichen Tauglichkeitsuntersuchung für einsatzfähig erklärt wurde, plötzlich stirbt. Es ist unser gutes Recht, eine ehrliche Antwort darauf zu bekommen."

Eines ist offensichtlich: Das amerikanische Verteidigungsministerium hat die Pflicht, diese Vorgänge zu erklären. Die Soldaten des zweiten Golfkriegs dürfen nicht wie die des ersten Krieges gezwungen werden, vergeblich von Arzt zu Arzt herum zu irren.

Bei der Klage im Namen vieler US-Golfkriegsveteranen geht es aber um erheblich mehr als die Kompensation der Opfer und die Anerkennung ihrer gesundheitlichen Schäden. Nicht nur das Verteidigungsministerium ist unter Beschuss. Indem sie von Unternehmen und Banken eine Entschädigung fordern, senden die Veteranen ein deutliches Warnsignal an die Rüstungsindustrie: Es kann gefährlich werden, der Gewinne wegen zweifelhaften Regierungen bei der Produktion von Massenvernichtungswaffen zu helfen.

Heather Wokusch ist Psychologin mit guten Kontakten zu US-Veteranen. Sie lebt als amerikanische Kolumnistin in Wien.

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