Außenansicht:Australische Lektionen

Was Deutschland in Sachen Zuwanderung und Eigeninteresse noch lernen könnte.

Von Klaus F. Zimmermann

Unsere Gesellschaft braucht eine offene Debatte über geregelte Zuwanderung, das hat die Politik in Deutschland richtig erkannt. Akute Themen wie die gebotene Solidarität mit den Flüchtlingen und Asylbewerbern und das nötige demokratische Werben um Zustimmung bei allen Gesellschaftsschichten spielen dabei eine große Rolle. Komplexe Fragen müssen transparent gemacht und mit Evidenz unterlegt werden, damit die Chance für politische Lösungen entsteht. Dazu gehört auch die Frage, wie die Gesellschaft mit dem demografischen Wandel umgeht. Der wird schon bald zu einer erheblichen Schrumpfung und Alterung der Arbeitsbevölkerung führen. Unsere Sozialsysteme und Lebensbedingungen werden dadurch massiv in Frage gestellt.

Die damit aufgeworfenen sozialen Fragen sind immer auch ökonomische Fragen, da nur verteilt werden kann, was zuvor produziert wurde. Das rückt die Gestaltung des Zugangs zu unserem Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt, das dient auch der Sicherung unserer Sozialstandards. Insofern war es nur konsequent, die Solidarität mit den Flüchtlingen zu verbinden mit einem leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt und zu verschiedenen Integrationsangeboten.

Das reicht aber nicht aus, besonders, wenn es um ökonomisch begründete Zuwanderung geht. Es ist Konsens in der Gesellschaft, dass Deutschland mehr Fachkräfte braucht. Wir rekrutieren sie derzeit vor allem aus der Europäischen Union, aber diese Migranten werden überwiegend nicht dauerhaft in Deutschland bleiben. Tatsächlich verlassen im Zuge einer internationalen Integration der Arbeitsmärkte sogar viele junge qualifizierte deutsche Arbeitskräfte das Land. Aus Drittstaaten finden aber trotz attraktiver Zugangsbedingungen nur wenige Zehntausende jährlich den Weg zu uns.

Wir müssen also Migranten aus Drittstaaten gewinnen, konkurrieren aber auf dem Weltmarkt für Arbeitskräfte mit etablierten Aufnahmeländern wie den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Neuseeland. Was machen diese besser? Das deutsche Interesse gilt derzeit vor allem der kanadischen Zuwanderungspolitik, aber Australien bietet noch interessanteres Anschauungsmaterial. Nicht alles ist für uns angemessen, etwa Australiens abweisende Flüchtlingspolitik. Trotzdem lohnt es sich, genauer hinzuschauen.

Außenansicht: Der Blick nach Australien würde sich für Deutschland lohnen, schreibt Klaus F. Zimmermann.

Der Blick nach Australien würde sich für Deutschland lohnen, schreibt Klaus F. Zimmermann.

(Foto: oh)

So zeigt die australische Migrationspolitik in drei wesentlichen Punkten, wie man dem kurzfristigen wirtschaftlichen Interesse an Fachkräften durch temporäre Zuwanderung effektiv begegnen kann, für den dauerhaften Verbleib im Land aber konsequent ein Punktesystem einsetzt und durch besondere Institutionen die Zuwanderung überwacht, evaluiert und politisch begleitet. Im Gegensatz dazu hat Deutschland dafür noch zu wenig Einsicht gefunden.

Es gibt zwei unterschiedliche Formen des Arbeitskräftebedarfs, eine kurzfristige und eine langfristige. Für beide müssen effektive Regelungen gefunden werden, die zueinander passen und zusammen wirken, und die ständig überprüft werden sollten. Für eine solche Strategie ist Australien seit Langem Modell, auch wenn man nicht mit allen australischen Einzelregelungen einverstanden sein muss.

Australien ist ein ausgebauter Sozialstaat mit hohem Fachkräftebedarf und einem offenen Arbeitsmarkt zu Neuseeland, das insofern eine ähnliche Rolle wie die EU-Länder für Deutschland spielt. Als große, dünn besiedelte Insel, mit einer stabilen Demografie, Englisch als Weltsprache und einem weltoffenen Image hat Australien keine Willkommensprobleme. Jeder Besucher spürt sofort die Gelassenheit der australischen Lebenskultur. Australien sieht sich einem Überangebot an Fachkräften gegenüber, die kurz- und langfristig zuwandern wollen. Es hat also das Luxusproblem, wählen zu können.

Die Popularität Australiens stützt sich dabei auf die kurzfristigen Arbeitschancen, die es bieten kann. Das könnte auch in Deutschland der Ausgangspunkt sein. Bleiben kann aber in Australien dauerhaft nur, wer die Kriterien dafür erfüllt, die in seinem Punktesystem transparent, aber auch rigoros abgebildet werden, und für die man sich im Land qualifizieren kann. Dies funktioniert als implizite Integrationspolitik, die adaptiert für Deutschland zu Daueraufenthalt und Staatsbürgerschaft führen kann.

Zur Person

Klaus F. Zimmermann, 62, ist Wirtschaftsprofessor der Universität Bonn und Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), das mit über 1300 Teilnehmern das größte Ökonomen-Netzwerk der Welt organisiert.

Der Arbeitsmarkt als temporärer Einstieg in die Zuwanderung ist offen, transparent und flexibel, aber klar an den wirtschaftlichen Interessen des Landes orientiert. Der australische Internet-Auftritt ist für die Fachkräftezuwanderung im Vergleich zu Deutschland und auch Kanada vorbildlich. Das australische System ist flexibel: So kann man sich leicht zwischen den Visa-Kategorien bewegen und darf dabei im Land bleiben. Wer als Tourist oder Student einreist, kann jederzeit in die Kategorien temporärer oder dauerhafter Visa wechseln, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Ob dies zutrifft, wird aber rigoros geprüft. So würde sich ein 50-jähriger Mann mit Promotion und Jahreseinkommen von 70 000 Euro mit einer Englisch sprechenden Frau nicht leicht für einen Daueraufenthalt qualifizieren, da Australien nicht an Zuwanderern über 45 Jahren interessiert ist. Natürlich liegt es an den Präferenzen der aufnehmenden Gesellschaft, welche Kriterien es formuliert. So bietet Australien bei der Prüfung des Daueraufenthalts in seinem Punktesystem Zusatzpunkte für "besondere Integrationsvorteile": Dies beinhaltet beispielsweise vorherige Aufenthalte im Land (oder auch in Neuseeland) oder einen Abschluss an einer Universität in einer ländlichen Region Australiens mit geringer Bevölkerungsdichte. Selbstverständlich sind Englisch-Kenntnisse besonders wichtig und bei den vielfältigen ethnischen Gruppen, die sich für Australien interessieren, auch nicht immer einfach zu erfüllen. Daraus lernend könnten Drittstaatler in Deutschland auch dann bessere Chancen haben, wenn sie im EU-Ausland tätig waren und die dortigen Sprachen sprechen.

Da Australien zunächst einen hohen Wert auf Mangelberufe und eher kurzfristigen Bedarf als Einstieg legt, ist der wissenschaftliche Unterbau mit fortlaufender Evaluierung von enormer Bedeutung für das Gesamtkonzept. Australien hat ein zuständiges Ministerium und eine gesonderte Migrationsbehörde, durch die Zuwanderung wissenschaftlich evaluiert und politisch begleitet wird. Auch hiervon könnte für die zersplitterten deutschen Institutionen gelernt werden. Die Schaffung eines die Kompetenzen bündelnden Bundesministeriums für Migration und Integration bietet sich an.

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