Auschwitz-Prozess:Früherer SS-Mann bittet um Vergebung

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Der 93-jährige Oskar Gröning bekennt: "Für mich steht außer Frage, dass ich mich moralisch mitschuldig gemacht habe."

Von Robert Probst, Lüneburg/München

Oskar Gröning, an-geklagt wegen der Beihilfe zum Mord an 300 000 Juden in Auschwitz-Birkenau 1944, hat zum Auftakt des wohl letzten großen NS-Prozesses in Deutschland Reue gezeigt. "Für mich steht außer Frage, dass ich mich moralisch mitschuldig gemacht habe", sagte der 93-Jährige vor dem Landgericht Lüneburg. In seiner knapp einstündigen Aussage räumte der damalige Freiwillige der Waffen-SS die Vorwürfe der Anklage in Teilen ein. Gröning fügte hinzu: "Ich bitte um Vergebung. Über die Frage der strafrechtlichen Schuld müssen Sie entscheiden." Das Geständnis ist ungewöhnlich, weil sich NS-Täter vor Gericht oft herauszureden versuchten oder schwiegen. Oskar Gröning wurde als "Buchhalter von Auschwitz" bezeichnet. Weil er eine Banklehre absolviert hatte, wurde er 1942 in dem Konzentrationslager dafür eingeteilt, das Geld und die Wertgegenstände zu zählen, die die neu angekommenen Häftlinge zurücklassen mussten, und an die SS in Berlin weiterzuleiten. Im September 1944 wechselte er auf eigenen Wunsch in eine Einheit, die an der Front kämpfte. Nach dem Krieg kam Gröning zunächst in britische Gefangenschaft, dann lebte er mit Frau und Kindern in der Lüneburger Heide. Vor Jahren begann er darüber zu reden, was er in Auschwitz sah und tat. Er selbst beschrieb sich dabei als "Rädchen im Getriebe". Gegen ihn wurde bereits 1977 ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt stellte das Verfahren im März 1985 aber angeblich mangels Beweisen ein.

Nach dem Urteil des Landgerichts München 2011 gegen den einstigen SS-Wachmann John Demjanjuk im Vernichtungslager Sobibor zu fünf Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord bewertete die deutsche Justiz die Sachlage neu. Für Ermittlungen musste den SS-Männern anders als früher eine unmittelbare Beteiligung an einem konkreten Tötungsdelikt nicht mehr nachgewiesen werden. Allerdings wurde das Urteil gegen Demjanjuk nie rechtskräftig, weil dieser vor der Revision beim Bundesgerichtshof starb. Wie die Münchner Richter argumentiert nun auch die Staatsanwaltschaft in Lüneburg. Gröning habe "dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen unterstützt". Gröning räumte ein, zeitweise an der Rampe von Auschwitz Gepäck beaufsichtigt zu haben. "Mit der Bewachung der Häftlinge hatten wir nichts zu tun", betonte er allerdings.

In der Anklage geht es um die sogenannte Ungarn-Aktion im Sommer 1944. Damals wurden mindestens 300 000 Juden innerhalb von 57 Tagen in den Gaskammern getötet. Sollte der 93-Jährige verurteilt und für haftfähig erklärt werden, erwartet ihn eine Haftstrafe von mindestens drei Jahren. Für den Prozess sind bis Ende Juli 27 Verhandlungstage angesetzt.

Die Holocaust-Überlebende und Nebenklägerin Eva Mozes Kor aus den USA äußerte am Rande der Verhandlung Respekt für Grönings Aussage: "Er hätte sich wie Tausende andere Nazis im Schatten verbergen können. Wenige hatten den Mut, nach vor-ne zu treten. Man kann die Vergangenheit nicht ändern, aber man kann Verantwortung übernehmen."

© SZ vom 22.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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