Auschwitz-Prozess:"Blutdruckentgleisung"

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Angeklagt ist der ehemalige SS-Sanitäter Hubert Zafke wegen Beihilfe zum Mord. Doch er ist nicht verhandlungsfähig.

Von Hans Holzhaider, Neubrandenburg

Man hat es irgendwie schon geahnt, der Prozess gegen den ehemaligen SS-Mann Hubert Zafke, 95, angeklagt wegen der Beihilfe zum Mord in mindestens 3681 Fällen im Konzentrationslager Auschwitz, würde nicht so ohne weitere Schwierigkeiten in Gang kommen. Und so kommt es denn auch: "Sie haben sicher alle gesehen, dass ein Platz frei geblieben ist", sagt Klaus Kabisch, der Vorsitzende Richter der 60. Schwurgerichtskammer am Landgericht Neubrandenburg. Es ist der Platz, auf dem der Angeklagte sitzen sollte. Er erschien nicht.

"Gestern Mittag" - also am Sonntag - "erhielten wir ein Fax der Verteidigung", fährt Kabisch fort. "Es enthält die Bescheinigung einer Bereitschaftsärztin des Kassenärztlichen Notdienstes, die Herrn Zafke am Samstag untersucht hat." Die Söhne des Angeklagten hatten den Notdienst verständigt, weil sie ihren Vater "quasi bewegungsunfähig auf der Bettkante sitzend" vorgefunden hätten. Der Ärztin gegenüber habe er geäußert: "Ich kann nicht mehr, ich bin am Ende", und "Ich will zu Mutti" - gemeint war die vor vier Jahren verstorbene Ehefrau. Die Notärztin diagnostizierte eine depressive Störung und Suizidgefahr sowie eine "Blutdruckentgleisung" - 180 zu 100 - und erklärte den Angeklagten für "im Moment nicht transport- geschweige denn verhandlungsfähig". "Ohne den Angeklagten kann nicht verhandelt werden", stellt Richter Kabisch lapidar fest.

Der Prozess gegen Hubert Zafke ist der dritte in kurzer Folge, in dem es um den Massenmord in Auschwitz geht. Im Juni verurteilte das Landgericht Lüneburg den 94-jährigen Oskar Gröning zu vier Jahren Haft. Vor dem Landgericht Detmold läuft derzeit der Prozess gegen Reinhold Hanning, ebenfalls 94. Auch Gröning und Hanning waren (oder sind) gesundheitlich keineswegs topfit, aber bei keinem gab es ein solches Gezerre um die Verhandlungsfähigkeit. Hubert Zafke wird (unter anderem) verteidigt von Peter Michael Diestel, der in der Wendezeit die "Deutsche Soziale Union" gründete und letzter Innenminister der DDR wurde. Diestel ist ein Mann, der nie um eine knackige Formulierung verlegen ist. Das Verfahren gegen Hubert Zafke, so sprach er am Montag in die Mikrofone, sei "mit einer Todesstrafe gleichzusetzen, gegen die es kein Rechtsmittel gibt". Schon lange vor Verhandlungsbeginn präsentierte Diestel zwei Gutachten, die Zafke als verhandlungsunfähig erklärten. Eine vom Gericht beauftragte Amtsärztin schloss sich dieser Meinung an. Daraufhin lehnte die Strafkammer unter Richter Kabisch die Eröffnung der Hauptverhandlung ab. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht Rostock beauftragte Stefan Teipel, den Direktor des Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen in Rostock, mit einer erneuten Begutachtung. Teipel kam zu dem Ergebnis, Zafke sei zwar körperlich nur gering belastbar, sei aber durchaus verhandlungsfähig.

In dem Prozess soll es eigentlich um die Frage gehen, welche Mitverantwortung ein einfacher SS-Mann ("ich war doch nur der Schütze Arsch", sagte Zafke in einer Vernehmung) für den Massenmord in Auschwitz trägt. Zafke war Sanitätsdienstgrad, aber was harmlos klingt, konnte in Auschwitz tödliche Implikationen haben. Ob davon noch die Rede sein wird, wird sich am 14. März, dem nächsten Verhandlungstag, entscheiden. Diesmal soll Zafke unmittelbar vor Verhandlungsbeginn medizinisch begutachtet werden.

© SZ vom 01.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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