Attentat in Köln:Gespräche erst nach der Genesung

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Wann die neue Oberbürgermeisterin Henriette Reker ihr Amt antreten kann, ist unsicher. Ihr Wahlkampfteam bittet, noch nicht über Koalitionen zu verhandeln.

Von Bernd Dörries, Köln

Nur wenige wissen, ob sie es weiß. Das Wahlkampfteam von Henriette Reker hat sich entschieden, keine täglichen Bulletins herauszugeben über den Gesundheitszustand der neuen Kölner Oberbürgermeisterin. Der Zustand sei stabil, die 58-Jährige werde wieder gesund. Unklar bleibt, ob Reker weiß, dass sie die Wahl am Sonntag mit 52,7 Prozent gewonnen hat - ihre Stimme konnte sie nicht abgeben, weil sie im künstlichen Koma lag. Wie lange der Heilungsprozess nach dem Attentat vom Sonntag dauern wird, ist offen; nach Angaben der behandelnden Ärzte wird Reker aber keine bleibenden körperlichen Schäden davontragen. Auch die anderen vier Opfer der Messerattacke sind auf dem Weg der Besserung.

Eigentlich sollte die neue Oberbürgermeisterin ihr Amt am Mittwoch antreten, sie wird nun bis zu ihrer Genesung von Stadtdirektor Guido Kahlen vertreten, eine zeitliche Begrenzung gibt es nicht. Kahlen gilt in Köln als einer, der schon so lange die Strippen zieht, dass Reker ihn durchaus gemeint haben könnte mit ihrer Kritik an der politisierten Verwaltung, die sie im Wahlkampf geäußert hatte.

Wie kompliziert die Zustände in Köln sind, zeigte sich am Montag, als das Wahlkampfteam von Reker sich mit einer Erklärung an die anderen Parteien wandte, mit der Bitte, dass CDU, SPD, FDP und Grüne mit ihren Koalitionsgesprächen doch bitte so lange warten sollten, bis Reker wieder gesund ist. "Wir fordern, das klare Wählervotum für Henriette Reker zu respektieren und sie als zukünftiges Stadtoberhaupt an allen wichtigen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Sie darf durch laufende Gespräche der Parteien nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Praktisch bedeutet das, den Genesungsprozess von Henriette Reker abzuwarten, bis sie sich persönlich an den politischen Weichenstellungen beteiligen kann." Der Appell zeigt, dass Reker in Köln vor einer schwierigen Aufgabe steht.

Bisher gab es im Rat eine Koalition aus SPD und Grünen, die bei der Wahl aber verschiedene Kandidaten unterstützten: Die Sozialdemokraten traten mit Jochen Ott an, Reker hatte als Parteilose die Unterstützung von CDU, FDP, Grünen und dem Bündnis "Deine Freunde", die nun auch eine formale Koalition bilden könnten, inhaltlich aber oft recht weit auseinanderliegen. Reker hatte im Wahlkampf immer betont, dass sie unabhängig von Parteien um ihre Mehrheiten kämpfen wolle. Mehr bezahlbarer Wohnraum und ein größeres Engagement für Flüchtlinge stehen ganz oben auf ihrer Agenda.

Trotz des Appells, ein Zeichen zu setzen, gingen nur 40 Prozent zu Wahl

Als Sozialdezernentin war Reker in Köln seit fünf Jahren für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. Frank S., der Attentäter, will nach Angaben der Polizei durch die Flüchtlingspolitik Rekers zur Tat gebracht worden sein. S. war in den Neunzigerjahren in seiner Heimatstadt Bonn bei der mittlerweile verbotenen Freiheitlichen Arbeiter Partei aktiv, 1994 nahm er am "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" in Luxemburg teil und wurde dort von der Polizei in Gewahrsam genommen. 2008 habe er laut Verfassungsschutz Interesse an der NPD gezeigt. Wegen der besonderen Bedeutung der Tat hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen.

Antifaschistische Netzwerke bringen S. noch mit einer ganzen Reihe anderer Aktivitäten in Verbindung, bis hin zum Anschlag auf ein Flüchtlingsheim vor zwei Jahrzehnten, was von der Staatsanwaltschaft derzeit aber nicht bestätigt wird. In jüngster Zeit sei S. sporadisch in rechtsgerichteten Online-Foren in Erscheinung getreten, sagen die Ermittler. Der arbeitslose Maler war nach Einschätzung von Verfassungsschutz-Chef Burkhard Freier aber nur "eine Randperson" im rechtsextremen Lager. Was aber nicht bedeute, dass er keine Unterstützer habe, zumindest virtuell.

Im Internet gebe es eine unglaubliche Zunahme der Hetze gegen Flüchtlinge und Aufnahmeeinrichtungen, sagte Freier im WDR. Wenn man im Netz so etwas wie virtuellen Applaus für seine Hetze erhalten habe, dann könnten "schnell aus Worten Taten werden". Viele der Täter kämen gar nicht aus dem organisierten Rechtsextremismus, sondern aus dessen Umfeld. "Wir gehen davon aus, dass rechtsextremistische Parteien und Organisationen diese Hetze im Internet bewusst schüren."

Die Kölner haben Henriette Reker zur Oberbürgermeisterin gewählt, wann die Schwerverletzte ihr Amt antreten kann, ist jedoch unklar. (Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Viele Organisationen hatten nach dem Attentat dazu aufgerufen, zahlreich zur Wahl zu gehen, um ein Zeichen gegen den Anschlag zu setzen, dennoch kamen nur 40 Prozent der Bürger zu den Urnen, das ist der schlechteste Wert in der Kölner Nachkriegsgeschichte.

© SZ vom 20.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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