Atommüll:Kugeln für Amerika

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In Jülich wurde jahrzehntelang an einem heliumgekühlten Hochtemperaturreaktor geforscht. Übrig geblieben sind 288 161 kugelförmige Brennelemente. (Foto: imago)

Die unklare Zukunft nuklearer Forschungsabfälle sorgt für Streit über das Endlagergesetz: Darf man Atommüll exportieren?

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Atommüll ins Ausland? Das hielt auch die Endlagerkommission von Bund und Ländern für ein Unding. "Die Kommission spricht sich für die gesetzliche Einführung eines generellen Exportverbots für hoch radioaktive Abfälle aus", entschieden die Experten der Kommission im vorigen Jahr mit großer Mehrheit. Wo käme man da hin, wenn sich die Verantwortung für den Müll einfach so exportieren ließe - statt hierzulande ein Endlager dafür zu suchen. Doch jetzt zieht ausgerechnet diese Festlegung Streit nach sich.

Eigentlich sollte der Bundestag die Empfehlungen der Kommission noch diese Woche erstmals beraten. Damit würde auch organisatorisch der Weg frei für die neue Suche nach einem Endlager, in ganz Deutschland, ohne Vorfestlegungen. Doch die Frage der Exporte bringt alle Zeitpläne ins Wanken. "Das ist der letzte große Knackpunkt", sagt Steffen Kanitz, zuständiger Berichterstatter für die Unionsfraktion. "Es geht nur noch um Jülich."

Jülich ist eine der offenen Wunden des Atomzeitalters, ein ehemaliges Forschungszentrum. In den Fünfzigerjahren, sollte es die Idee eines heliumgekühlten Hochtemperaturreaktors vorantreiben. Statt Brennstäben sollten hier radioaktive Kugeln die Atomenergie erzeugen, das Konzept galt als zukunftsträchtig, als "deutscher Siebenmeilenschritt ins Atomzeitalter". Davon übrig geblieben sind 152 Castoren mit 288 161 kugelförmigen Brennelementen. Ihr mögliches Ziel: der Nuklearkomplex Savannah River Site in den Vereinigten Staaten. Der Brennstoff, der aus den USA stammt, ließe sich dort bequem entsorgen, grundsätzliche Bereitschaft dazu hat die US-Seite schon erkennen lassen. Auch das deutsche Forschungsministerium hätte an dieser "US-Option" durchaus Interesse. Innerhalb der Bundesregierung trat es deshalb gegen ein generelles Exportverbot ein. Vorbehalte gegen jenes gibt es auch in der Unionsfraktion.

Für das Gesetz wird der Streit gefährlich. "Die Union will das Exportverbot verhindern und blockiert damit das Gesetz", sagt die Grünen-Atompolitikerin Sylvia Kotting-Uhl. "Da machen wir nicht mit." Auch die Linkspartei hat sich in Sachen Jülich immer klar positioniert: gegen jede Art von Export. "Die Empfehlung der Kommission muss eins zu eins umgesetzt werden", sagt der Linken-Politiker Hubertus Zdebel. Ob seine Fraktion das Gesetz mittragen werde, müsse sich erst noch zeigen.

Ein Kompromissvorschlag läuft darauf hinaus, die Ausfuhr von Atommüll aus Forschung und Medizin "nur aus unabweisbaren Gründen der Nichtverbreitung von Kernbrennstoffen" zuzulassen, und auch das nur, nachdem sich der Bundestag mit der Sache befasst hat. Doch selbst dieser Vorschlag ist strittig, zuletzt hatte das Forschungsministerium gar in Frage gestellt, ob solche Vorgaben überhaupt verfassungsgemäß sind. So geht die Zeit dahin.

Das ist vor allem mit Blick auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen heikel, wo der Jülicher Atommüll lagert. Gelingt es nicht, das Gesetz bis Ende März durch den Bundestag zu bringen, kann sich der Bundesrat erst im Mai damit befassen: zwei Tage vor der Landtagswahl. Die konfliktreiche Suche nach einem Atommülllager geriete so, nach drei Jahren mühseliger Vorarbeit, doch noch in die Mühlen der Wahlkämpfe: wegen 288 161 verstrahlten Kugeln im Rheinland.

In Nordrhein-Westfalen ist der Jülicher Atommüll ohnehin ein Politikum. Denn das bisherige Zwischenlager gilt als nicht ausreichend erdbebensicher, seit Jahren gibt es eine Anordnung des Landes zur "unverzüglichen Räumung". "Das hängt wie ein Damoklesschwert über uns", heißt es beim Betreiber des Zwischenlagers, der bundeseigenen "Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen". Bislang galt der Export in die USA als die schnellste Lösung, auch wenn dort immer noch Genehmigungen ausstehen und die Lage komplizierter ist, seit Donald Trump dort regiert. Bliebe noch der langwierige Bau eines neuen Zwischenlagers - oder der Transport der Castoren ins münsterländische Ahaus. Doch auch am dortigen Zwischenlager regt sich Widerstand gegen den Müll aus Jülich. Und weil überall nur Widerstände lauern, passiert seit Jahren gar nichts.

Diesen Donnerstag um zwölf treten nun alle Beteiligten im Kanzleramt an, dessen Chef Peter Altmaier lädt zum Krisengespräch; Forschungs- und Umweltministerium sind auch mit dabei. "Wir müssen eine Formulierung finden, die allen Interessen Rechnung trägt", sagt Unionsmann Kanitz. "Es wäre zu schade, wenn das ganze Vorhaben an diesem Nebenkriegsschauplatz scheitert."

© SZ vom 16.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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